Kim Bergmann
Schein oder Nichtschein
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Inhaltsverzeichnis
Titel Kim Bergmann Schein oder Nichtschein Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1 Kapitel 1 Die mitreißenden Wellen der Rebellion klatschten an den kühlenden Fels um sie herum, ertränkten die Vernunft, nahmen ihren Leichnam mit sich fort und ließen Wut und Entschlossenheit zurück. Oh ja, lange Zeit über waren sie zwar nicht glücklich gewesen, hatten sich aber mit den Gegebenheiten arrangiert - bitter genug für ein so stolzes altes Volk. Doch nun hatte die Situation geändert: Sie war nicht mehr tragbar. Bnad blickte voller Besorgnis über sein Volk hinweg. Die Stimmen, die nach Rache und nach Aufstand riefen, wurden immer lauter, und er konnte es ihnen nicht verdenken. Er teilte ja ihre Qualen, und er teilte ihre Wut. Sie alle hatten recht (bis auf den Quotenfeigling, bei dem die Angst vor Vergeltung die Lust zur Rebellion überwog), aber was würden die Konsequenzen sein? Das letzte Mal, als sie aufbegehrt hatten, stand noch in demütigender Deutlichkeit vor seinem inneren Auge. Allerdings konnte es so tatsächlich nicht weitergehen. Auch wenn Bnad gutmütig war und über eine schier unendliche Geduld verfügte, merkte er, dass ihre Grenzen gefährlich strapaziert wurden. Und so schob er seine Bedenken beiseite und erhob seine dröhnende Stimme: "Hört mir zu! Ich weiß, dass sie bald für eine Weile fort sein werden, ich hörte, wie sie sich darüber unterhielten. Wenn wir eine Chance haben, dann ist es also sehr bald. Passt auf..." Und er setzte seinem Volk einen Plan auseinander, der ebenso simpel wie wirkungsvoll schien. Die Köpfe seiner Zuhörerschaft wandten sich einander zu, erstaunt und zuversichtlich. Das war genial! Genau so würden sie vorgehen! Hauptsache, es änderte sich etwas, und zwar bald, denn die Alternative war nicht auszudenken. Sie dagegen bereiteten sich lachend und schwatzend auf ihren Aufbruch vor. Keine Vorahnung trübte ihre Hochstimmung. Woher sollten sie auch wissen, dass nichts wieder sein würde, wie es gewesen war? Der Gott Der Omnipräsenz betrachtete beide Gruppen und lachte leise in sich hinein. Das versprach, spaßig zu werden.
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Impressum neobooks
Die mitreißenden Wellen der Rebellion klatschten an den kühlenden Fels um sie herum, ertränkten die Vernunft, nahmen ihren Leichnam mit sich fort und ließen Wut und Entschlossenheit zurück. Oh ja, lange Zeit über waren sie zwar nicht glücklich gewesen, hatten sich aber mit den Gegebenheiten arrangiert - bitter genug für ein so stolzes altes Volk. Doch nun hatte die Situation geändert: Sie war nicht mehr tragbar.
Bnad blickte voller Besorgnis über sein Volk hinweg. Die Stimmen, die nach Rache und nach Aufstand riefen, wurden immer lauter, und er konnte es ihnen nicht verdenken. Er teilte ja ihre Qualen, und er teilte ihre Wut. Sie alle hatten recht (bis auf den Quotenfeigling, bei dem die Angst vor Vergeltung die Lust zur Rebellion überwog), aber was würden die Konsequenzen sein? Das letzte Mal, als sie aufbegehrt hatten, stand noch in demütigender Deutlichkeit vor seinem inneren Auge.
Allerdings konnte es so tatsächlich nicht weitergehen. Auch wenn Bnad gutmütig war und über eine schier unendliche Geduld verfügte, merkte er, dass ihre Grenzen gefährlich strapaziert wurden. Und so schob er seine Bedenken beiseite und erhob seine dröhnende Stimme: "Hört mir zu! Ich weiß, dass sie bald für eine Weile fort sein werden, ich hörte, wie sie sich darüber unterhielten. Wenn wir eine Chance haben, dann ist es also sehr bald. Passt auf..." Und er setzte seinem Volk einen Plan auseinander, der ebenso simpel wie wirkungsvoll schien. Die Köpfe seiner Zuhörerschaft wandten sich einander zu, erstaunt und zuversichtlich. Das war genial! Genau so würden sie vorgehen! Hauptsache, es änderte sich etwas, und zwar bald, denn die Alternative war nicht auszudenken.
Sie dagegen bereiteten sich lachend und schwatzend auf ihren Aufbruch vor. Keine Vorahnung trübte ihre Hochstimmung. Woher sollten sie auch wissen, dass nichts wieder sein würde, wie es gewesen war?
Der Gott Der Omnipräsenz betrachtete beide Gruppen und lachte leise in sich hinein. Das versprach, spaßig zu werden.
Es wurde Morgen, der Zeit nach zumindest. Allerdings erschien keine Sonne am Horizont. Sie sandte nicht ihre lebensspendenden Strahlen aus, um das Dunkel zu verscheuchen, erwärmte nicht den Boden, weckte nicht die Blumen und kitzelte nicht die Eidechsen aus ihren Felsspalten hervor. Kein Vogel schwang sich auf in den Himmel, sie zu begrüßen. Es wurde einfach nur Morgen, und die Sonne ging nicht auf über dem Dorf Druht.
Die Einwohner von Druht waren wegen des Fernbleibens der Sonne zwar überrascht, aber nicht ernstlich besorgt. Das lag nicht auf ihrer Linie. Die Menschen hier waren erdverbunden und vernünftig. Ein plötzlicher Aufruhr, händeringendes Fragestellen zu einem Thema, über das niemand genauer Bescheid wusste - so etwa war einfach nichts für sie. Jeder hat mal das Recht zu verschlafen, sagten sie und machten sich an ihr Tagwerk, oder sie nutzten die günstige Gelegenheit und verschliefen ebenfalls.
*
Helge hätte sehr gern zu Letzteren gehört, doch das duldete sein Onkel nicht. Der Onkel hieß Salomo und war seines Zeichens Schuhmachermeister. Sein Verstand, wiewohl scharf, hatte einen recht engen Horizont, und beinahe alles in seiner Sichtweite hatte mit Schuhen zu tun. Er liebte es, an ihnen zu arbeiten, mochte den Duft des Leders und die vertrauten Handgriffe. Er mochte es, was die Schuhe über die Menschen aussagten, die sie trugen. Das war das einzige bisschen Fantasie, das er sich manchmal zugestand. Petitessen wie eine nicht aufgehende Sonne würden ihn nicht daran hindern, pünktlich in seiner Werkstatt zu sitzen, soviel war sicher. Und er würde es überhaupt nicht einsehen, dass sein Neffe und Lehrling nicht pünktlich aufstand, nur weil die Sonne trödelte.
So zog Helge sich seufzend in eine sitzende Position und schob die Beine aus dem Bett. Es war kalt und dunkel, und der Junge hätte eine ganze Menge Dinge dafür gegeben, sich einfach wieder unter die warme Decke kuscheln zu können. Aber erstens hatte er gar keine Menge an Dingen, die er geben könnte, und zweitens wusste er genau, dass Weiterschlafen ein Ding der Unmöglichkeit war. Also hievte er sich hoch, stolperte zum Tisch hinüber und wusch sich das Gesicht mit dem kalten Wasser aus der Waschschüssel. Düster betrachtete er sein nasses Antlitz im Spiegel. Wie jeden Morgen zählte er sich missmutig auf, was er gern alles ändern würde:
1. seinen Namen,
2. seinen Onkel,
3. seinen Beruf,
4. sein Aussehen,
5. sein Alter.
Helge hatte schon oft versucht, seinen Onkel dazu zu bewegen, ihn bei einem anderen Namen zu rufen als bei dem, den seine Eltern ihm aufgezwungen hatten, als er sich noch nicht hatte wehren können. Natürlich waren seine Versuche nie von Erfolg gekrönt gewesen.
"Das wäre pietätlos", erklärte Salomo in schöner Regelmäßigkeit streng. "Dein Name ist immerhin das Letzte, was deine Eltern dir noch gegeben haben, bevor..."
Bevor, ja! Bevor sie am Tage von Helges Namensgebungsfest unter dem Zusammenwirken von Alkohol, einer pferdelosen Kutsche, einem Abhang und einer ziemlich dummen Idee tödlich verunglückt waren. Dieser Unfall war nicht einmal völlig absurd gewesen, denn Namensgebungsfeste zeichnen sich auf Glandor durch unbarmherzige Länge aus, da jeder einzelne der zahlreichen Götter persönlich angerufen werden muss, und Trinken ist ein guter Zeitvertreib. Das jedenfalls dachten Helges Eltern sich, bevor sie dann gar keine Zeit mehr zu vertreiben hatten. Die Gäste konnten somit gleich zur Doppelbeerdigung bleiben, und Helge kam unter Mitnahme seines verhassten Namens in die Obhut seines Onkels.
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