Zumal beide Seiten zuverlässig ihr Abkommen erfüllten, blieb ihr Frieden mit den Inselbewohnern die ganze Zeit über erhalten.
Von Zeit zu Zeit lieferten die Dörfer eine Ziegenherde, nicht zu vergessen auch einige Fässer des köstlichen, schweren Moskatelweins.
Die Drachen beschützen im Gegenzug die Inselbewohner vor den Piraten, welche immer wieder die Insel überfallen, dort geraubt, gebrandschatzt und vor allem junge Männer und Frauen in die Sklaverei verschleppt hatten.
Das übermütige, junge Drachenjungvolk raubte den Bauern zwar in Ausnahmefällen die eine oder andere Ziege, aber Vater Hervín wachte streng darüber, dass dies nicht überhandnahm und die Nachkommen keine Gebäude und vor allem nicht die Menschen selbst angriffen.
Die kleinen "Missgeschicke" der wilden Bande konnte Hervín stets leicht mit etwas Gold aus der Welt schaffen, dass sie von den Piraten erbeutet hatten.
So blieben die El Dragóns in ihren mittlerweile gemütlich eingerichteten Höhlen und Grotten eines mächtigen, im Norden der Insel gelegenen Vulkans auch vollkommen unbehelligt; die ganze Umgebung war den Drachen überlassen worden.
Es waren zuerst recht magere Zeiten, aber sie überlebten - und das war das Wichtigste!
Im Übrigen entwickelte sich die Insel durch die Anwesenheit der Drachen recht erfreulich. Ohne die Piratenüberfälle war ein ruhigeres Leben eingekehrt und langsam gedieh ein bescheidener Wohlstand.
So wuchsen auch die Ziegenherden, was wieder Hervín's Clan zugutekam und nur die Wasserknappheit blieb ein Problem.
Alle Drachen hatten sich längst von dem Wahn befreit, der ihnen einst von Zastro suggeriert worden war, nur eine Jungfrau könne den Hunger und den Durst eines Drachen wirklich stillen.
Genau diese verrückte Idee mit den Jungfrauen hatte in der Auseinandersetzung zwischen Drachen und Menschen dereinst dem Fass den Boden ausgeschlagen und die Menschen endgültig zu ihren unversöhnlichsten Feinden gemacht.
Jede Menge strahlender Helden hatten sich nämlich gefunden, die es als ihre heilige Ritterpflicht angesehen hatten, diese Jungfrauen zu retten.
Etliche waren erfolgreich gewesen - und die Zahl der Drachen schrumpfte auf diese Weise immer mehr.
Allein Hervín war klug genug gewesen, angesichts des rasanten Niedergangs seiner Spezies zu erkennen, dass die Allianz mit dem Dämon vielleicht, nein - ganz sicher ein großer Fehler gewesen war und nun endlich wieder ein friedliches neben einander mit den Menschen gesucht werden sollte.
Wie er es dann auf "seiner Insel", wie er sie inzwischen stolz nannte, auch erreicht hatte.
Dies war die Zeit, auf welche Liliana und ihr Gefolge so lange hatten warten müssen.
Als Margót mit großem Ächzen und Stöhnen ihr insgesamt siebtes, aber im Rahmen der Familienplanung letztes Gelege von 12 Eiern produziert hatte, lag es für die Feenkönigin nahe, ihr Drachenei endlich den El Dragóns wieder unter zu schieben; ein jedes hatte einen Durchmesser von fast eineinhalb Fuß.
Mutter Margót hatte das Herz auf dem rechten Fleck, konnte aber nur bis zehn zählen.
So fiel es ihr auch weiter nicht auf, dass eines Tages in dem mehrere Meter breiten Nest - dem Bett des ehelichen Schlafzimmers - dreizehn anstatt zwölf Dracheneier lagen, die sie nun viele Monate bebrüten musste. Das sah zwar ein wenig anders aus, aber auch dies erweckte bei ihr keinen Argwohn.
Hervín bekam das Gelege fast nie zu Gesicht – er hatte sämtliche Pranken voll zu tun, die immer neuen Gelüste seiner Frau zu befriedigen; jeder treue Ehemann erinnert sich sicher gerne an diese „schöne“ Zeit, in der seine Holde am "Brüten" war und ihn manchmal nachts um Drei Uhr wegen eines unstillbaren Heißhungers auf Senfgurken oder Karamellpudding aus dem Bett getrommelt hatte.
Als tatsächlich im nächsten Frühjahr die ersten drei Dracheneier unruhig hin und her rollten und sich so das baldige Schlüpfen der Drachenküken ankündigte, seufzte sie erleichtert auf.
Die vielen Monate des Brütens waren stets eine höchst langweilige Zeit.
Nicht aus dem Haus zu können, und in allem auf ihren immerhin stets aufmerksamen Hervín angewiesen zu sein, war für sie schon hart.
Zwei Wochen später brach die erste Schale auf und mit vorwitzigem Schnattern wagte sich das erste ihrer neuen Drachenkinder in die Welt.
Mutter Margót schmolz wie üblich beim Anblick eines jeden dieser zappeligen Drachenküken dahin; freudig begrüßte sie eines nach dem anderen, bis nur noch ein Ei übrig war.
Dreimal darf man raten, welches…!
Und das wollte einfach nicht schlüpfen, es lag sogar weiterhin vollkommen bewegungslos mitten im Nest, rührte sich einfach nicht. Also musste Margót weiter brüten!
Auch die Fee Liliana, die natürlich das Geschehen insgeheim mit großer Aufmerksamkeit beobachtete, wurde allmählich besorgt: Hatte sie vielleicht bei ihrem Zauber einen Fehler gemacht – lebte dieses Ei vielleicht schon gar nicht mehr und wären all ihre Mühen umsonst gewesen? Nein - das konnte, durfte nicht sein!
Ganz gegen ihre Art wurde sogar die Fee unruhig.
Auch Margót wurde immer ungeduldiger, als sich auch in der nächsten Woche nichts bewegte.
Oder doch?
Sie überlegte bereits manchmal, ob mit diesem Ei vielleicht etwas nicht stimmte (wie recht sie doch mit diesem Gedanken hatte!!!) und ob sie es zur Sammlung der „Ungeschlüpften“ geben solle.
Liliana musste eingreifen, obwohl sie das eigentlich gar nicht wollte.
Sie ließ Margót in einen tiefen Schlaf sinken und ihre Körpertemperatur um einige Grad ansteigen, sodass etwas passieren MUSSTE.
So geschah es auch nach wenigen Stunden, dass Margót - völlig verschwitzt - von einem Zwicken an ihrem weichen Drachenbauch geweckt wurde. Und als sie nachschaute, woher dieses Zwicken käme, entdeckte sie ein krähendes Drachenkind, das sogleich an seiner Mama hinauf zu klettern versuchte und sich schließlich an ihre breite rechte Wange zu schmiegte, sobald sich Margót erschöpft etwas zur Seite gewälzt hatte.
Und beide schlummerten sanft und glücklich ein.
Vom ersten Moment an war dieser kleine Drache anders als alle anderen ihrer Kinder, denen sie bis dahin das Leben geschenkt hatte; seine Haut war auch auffallend heller, als die seiner Geschwister.
Zum Andenken an ihren freundlichen und sanften Lieblingsonkel nannte sie den Kleinen „Guillermo “, aber bald nur noch mit dessen Kosenamen kurz: „Willi“.
Hervín betrachtete den kleinen Sonderling etwas skeptisch, obwohl er ihn auch ganz "süß" fand.
Waren es nicht zuerst nur 12 Eier gewesen? - Er konnte nämlich zählen!
Nun ja - das Schlüpfen des 13. hatte deutlich länger gedauert - vielleicht hatte Margót – von ihm unbemerkt – ein Ei "nachgelegt"? Könnte ja durchaus sein!
Dennoch war das alles sehr merkwürdig - Hervín würde Willi gut im Auge behalten!
Abgesehen von seinem von Anfang an höchst unterschiedlichen Verhalten - und abgesehen von seiner deutlich helleren Hautfarbe - glich der kleine Willi seinen zwölf „Geschwistern“ zunächst wie ein Ei dem anderen. Lauter kleine, echte El Dragóns, wie Hervín nicht sparte, immer wieder festzustellen.
Nach einer gewissen Zeit aber bemerkten Margót und er, dass die noch weiche Haut der zwölf kleinen Drachen, welche zuerst geschlüpft waren, allmählich dunkler wurde; bei Willi hingegen hellte sie sich immer weiter auf.
Sie entschieden sich, ihn für einen Albino zu halten (Mutters Idee!), solches gab es durchaus auch manchmal bei Drachen und die Eltern dachten sich erst einmal nichts weiter dabei.
Die zwölf anderen waren sämtlich kleine Raufbolde – egal, ob weiblich oder männlich; Willi dagegen hing ihr ständig mit einer Klaue an ihrem langen Drachenschwanz, hätte am liebsten den ganzen Tag mit ihr geschmust.
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