„Vielleicht solltet Ihr König Louis nachgeben. Noch hält sich der Schaden in Grenzen und der Franzose ist kein rachsüchtiger Mann. Über seine Forderungen werdet Ihr Euch sicher einigen können.“ Prior Guillaume setzte auf Diplomatie, wie Henry normalerweise auch. Ein Krieg war immer mit hohen Verlusten verbunden, die Henry gerne zu verhindern suchte. Diesmal jedoch glaubte er nicht mehr an eine friedliche Lösung.
„Prior, Ihr verkennt die Lage. Mit König Louis hätte ich gar kein Problem, wenn mein machtgieriger Sprössling nicht wäre. Louis ist seit jeher mein Lehnsherr hier in Frankreich, ihm würde ich mich unterwerfen. Nun ja, wahrscheinlich, das käme natürlich auf die Bedingungen an. Aber immerhin ist seine Tochter mit meinem Sohn verheiratet und ich denke, mit ihm würde sich auf diplomatischem Wege eine Einigung finden lassen. Leider ist jetzt jedoch mein Sohn als Verbündeter von Louis an den Verhandlungen beteiligt und dessen Forderungen kenne ich ja, die sind schlichtweg unerfüllbar. Ich würde einen guten Teil meiner Herrschaft verlieren, an meinen eigenen Sohn! Nicht nur hier auf dem Festland, sondern auch in England! Nein. Klein beigeben würde mich letztlich vielleicht sogar meinen Thron kosten, das kommt also auf keinen Fall infrage.“
Wenn es um Belange im französischen Raum ging, war Henry seinem Lehnsherrn König Louis Gehorsam schuldig, keine Frage. Dummerweise hatte sich nun aber Henrys rebellierender Thronerbe, der nur mit seinen Brüdern und den paar Kämpfern aus ihren unbedeutenden Ländereien keine Chance gegen den despotischen Vater sah, an seinen Schwiegervater König Louis gewandt und ihn um Unterstützung gebeten. Und diese hatte er auch bereitwillig bekommen.
Nun saß Henry in der Zwickmühle, denn den Forderungen seiner Söhne, allen voran seines Thronerben, würde er nie nachgeben. Es fehlte noch, dass er sich von seinen eigenen Kindern Vorschriften machen ließ! Doch jetzt war plötzlich König Louis der Schutzpatron des Prinzen. Jetzt stellte der die Forderungen, und wenn Henry ablehnte, verweigerte er damit seinem Lehnsherrn den Gehorsam. Und das wiederum würde sich der Franzose sicher nicht gefallen lassen.
Auch diese verfahrene Situation war durch Henrys eigenes Verschulden entstanden. Henry selbst hatte schon vor Jahren seinen ältesten Sohn, der ebenfalls den Namen Henry (der Jüngere) trug, zur Vermeidung von Erbstreitigkeiten zu seinem Mitkönig krönen lassen. Aber nur auf dem Papier. Der Grund war einfach: Henry konnte nicht teilen. Von Kindheit an für ein Leben als Herrscher erzogen, hatte er teilen nie gelernt und er wollte es auch nicht lernen. Er war gerne der Alleinherrscher, ihm gehörte die ungeteilte Macht über seine Ländereien und genau so wollte er es haben. Sogar seine Frau, Königin Eleonore, hatte er von allen Regierungsgeschäften ausgeschlossen, und er dachte nicht im Traum daran, für seinen habgierigen Sohn irgendetwas zu ändern.
Henry hatte dem Kronprinzen nicht mehr gegeben, als den klangvollen Titel des Mitregenten und ein paar unbedeutende Grafschaften, in denen der junge Mann keinen großen Schaden anrichten konnte. Keine Macht, keine Teilhaberschaft an den Einkünften des Königreiches, keine Entscheidungsgewalt ging an den Kronprinzen. Die Regierungsgewalt lag weiter einzig und allein in Henrys Hand.
Natürlich hatte dem Kronprinzen das nicht gefallen, aber anfangs hatte er kein großes Problem daraus gemacht. Der junge Prinz genoss sein Leben in vollen Zügen. Immer auf sein Vergnügen aus, zeigte er wenig Verantwortung oder Pflichtgefühl und regierte seine Grafschaften nach Gutdünken. Über die Folgen machte er sich keine großen Gedanken. Es lief doch alles ganz gut, auch ohne dass er wie sein despotischer Vater ständig nur arbeitete und alles und jeden kontrollierte.
Allerdings war dieses ausschweifende Leben leider sehr kostspielig. Also erhöhte der Prinz die Steuern, zog Gelder von anderen Stellen ab, lebte weiter wie bisher und erhöhte erneut die Steuern. Natürlich wusste der Prinz, dass es nicht ewig so weitergehen konnte, deshalb wandte er sich schließlich an seinen Vater und forderte sein Recht auf Mitherrschaft ein. Und natürlich wollte er sich auch seinen Anteil an den Einnahmen nicht entgehen lassen.
Henrys Reaktion darauf war klar, doch der Prinz gab nicht nach. Unzählige Male hatten sie sich gestritten deswegen, immer wieder, doch Henry war hart geblieben. Das verantwortungslose Verhalten seines Sohnes war ja auch wirklich kein Anreiz, seine Meinung zu ändern. Er vertraute nach wie vor niemandem. Selbst seiner Frau nicht, oder besser: Ihr schon gar nicht, und so fristete sein Sohn, wie auch Königin Eleonore, weiter ein Leben in Bedeutungslosigkeit, geschmückt mit edlen Titeln ohne Wert. Und jetzt versuchte der verärgerte Prinz, diesen Zustand mit Gewalt zu beenden.
„Wenn Ihr Verhandlungen für sinnlos haltet, dann bleibt nur Kampf“, meinte Graf Phillip gleichmütig. Für den unerfahrenen jungen Grafen war das ganze Theater kein ernstes Problem. „Das ist ja nicht weiter dramatisch. Wir alle sind Gefechte gewohnt und entsprechend gut gerüstet für einen Kampf, wir haben genügend geübte Krieger und verlässliche Verbündete. Selbst einen offenen Krieg können wir durchaus gewinnen, wenn wir unsere Möglichkeiten geschickt nutzen. Falls König Louis und Euer Sohn es tatsächlich soweit kommen lassen, und das bleibt noch abzuwarten. Es fragt sich, ob sie den Mut dazu haben.“
Henry betrachte den jungen, geckenhaft gekleideten Aristokraten mit leichtem Kopfschütteln. Er selbst legt keinen Wert auf Äußerlichkeiten und Prunk, trug einfache Kleidung und immer einen kurzen Mantel. Obwohl die Mode am Hofe zurzeit lange Überwürfe vorgab, was ihm prompt den Spitznamen Henry „Kurzmantel“ eingebracht hatte. Der Graf jedoch war immer nach dem allerneuesten Trend und übertrieben erlesen gekleidet. Oder wie weniger wohlmeinende Höflinge dazu sagten: aufgeputzt wie ein Pfau, und er gab sich gerne herablassend, um seine mangelnde Kampferfahrung zu kaschieren.
Aber er war wohlhabend und konnte von seinen beträchtlichen Ländereien viele Kämpfer rekrutieren, und damit war er für Henry ein wichtiger Mann. Da war ein wenig Nachsicht schon angebracht. Schließlich konnte er nicht riskieren, dass der Graf aus beleidigter Eitelkeit die Fronten wechselte und zum Kronprinzen überlief. Er wäre nicht der Erste, der sich von den Versprechungen des Prinzen locken ließ. Außerdem hatte der junge Bursche einen klugen Kopf und manchmal, vielleicht gerade wegen seiner Unerfahrenheit, recht gute Einfälle, auf die die alten Hasen mit ihren eingefahrenen Methoden nie kommen würden.
Francois Delaborde, Henrys oberster Heerführer, kam einer Erwiderung seines Königs mit leicht angesäuerter Miene, aber höflichem Tonfall zuvor. Auch ihm war klar, dass man diesen Mann nicht leichtfertig verprellen durfte.
„Bei allem Respekt vor Eurer Meinung, Sir Phillip, aber wir können nicht einfach mal eben den König von Frankreich angreifen! Wir müssen warten, bis er den ersten Schritt macht, erst dann haben wir das Recht uns zu wehren. Außerdem dürfen wir König Louis auf keinen Fall unterschätzen, auch wenn er sich bisher nicht sehr ehrgeizig gezeigt hat. Er kann ganz Frankreich unter Waffen stellen! Der Franzose hat jetzt die perfekte Gelegenheit, seine Macht zu festigen und er wäre dumm, wenn er den Aufstand des Kronprinzen nicht für seine Zwecke nutzt. Es ist ja bekannt, dass ihm die Normandie zu mächtig geworden ist, nur konnte er bisher nichts dagegen unternehmen. Jetzt aber schon.“
„Bis jetzt hat es noch keine wirklich großen Aktivitäten gegeben, die auf größere militärische Schritte hindeuten“, hielt Baron Pierre Patard dagegen, ein schon älterer, zurückhaltender Mann. „Wir werden immer auf dem Laufenden gehalten von unseren Spionen, die überall entlang der Grenze zwischen der Normandie, dem französischen Kronland und den anderen Nachbarn, und auch in der Nähe von potenziellen Gegnern im eigenen Land postiert sind. Niemand kann sich unserer Grenze auch nur nähern, ohne dass wir sofort davon erfahren.“
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