„Und wie nennt Ihr dann die Belagerung von Verneuil-sur-Avre, vom Kronprinzen und König Louis sogar persönlich angeführt?“, fragte Francois Delaborde sofort zurück.
„Ach, solche kleineren Übergriffe sind doch nur Spielereien. Die Stadt ist an der Seine strategisch gut gelegen und deshalb ein lohnendes Ziel für jeden Eindringling, aber es ist eben nur eine Stadt. Sollen sie Verneuil doch ruhig einnehmen, die wird dem Prinzen und Louis nichts nutzen.“
Der Heerführer schnaubte verächtlich. „Sie werden Verneuil gar nicht bekommen. Der Versuch alleine ist lächerlich! Für genau solche Fälle wurden die Befestigungsanlagen immer perfekt in Schuss gehalten. Die Mauern sind in tadellosem Zustand, die Brunnen gut gewartet und Vorräte sind immer für mehrere Monate eingelagert.“ Er wandte sich jetzt König Henry zu. „Natürlich sind auch entsprechend gut ausgewählte Leute in dieser Stadt, Männer, auf die Ihr Euch unbedingt verlassen könnt, Majestät. Eure treuen Gefolgsmänner Hugh de Lacy und Hugh de Beauchamp befehligen die Verteidiger und sie haben, wie erwartet, keine größeren Probleme damit, sich die Feinde von Leib zu halten.“
„Davon gehe ich aus.“ Henry kratzte sich gedankenverloren den Bart. „Trotzdem müssen wir die Situation im Auge behalten. Momentan ist ein Eingreifen nicht notwendig, aber bei Bedarf werden wir den Eingeschlossenen sofort zu Hilfe kommen.“
„Aber nicht Ihr persönlich.“ Prior Guillaume erhob sofort Einspruch. „Ihr müsst an Eure eigene Sicherheit denken und dürft nicht leichtsinnig den Schutz der Burg verlassen. Hier in Rouen seid Ihr sicher. Werdet Ihr gefangen, dann ist das unweigerlich das Ende Eurer Herrschaft. Der Kronprinz ist ja schon zum Mitregenten gekrönt und kann die Regierungsmacht jederzeit legal übernehmen, während Ihr auf Nimmerwiedersehen in irgendeinem Kerker verschwinden würdet. Bestenfalls.“
„Richtig, aber meine persönliche Anwesenheit wäre in diesem speziellen Fall auch nicht nötig. Sir Francois ist nicht ohne Grund mein oberster Heerführer, er würde das schon in meinem Sinne erledigen“, gab Henry zurück. „Ich spare mir einen persönlichen Einsatz für einen wichtigeren Grund auf.“
„Wir müssen aber nicht nur die Hauptakteure beobachten“, warf ein anderer Aristokrat mit kratziger Stimme ein. Er hüstelte, griff sich einen Becher Wasser von einem kleinen Beistelltisch und nahm einen Schluck, bevor er weitersprach. „Es gibt genügend Mitläufer, die die Gelegenheit nutzen wollen und sich gegen Euch erheben könnten. Der Graf von Flandern hat den Anfang ja schon gemacht und andere könnten dem Beispiel folgen.“
Besagter Graf von Flandern und dessen Bruder Matthew von Boulogne hatten Henry vor wenigen Jahren erst die Treue geschworen. Doch das hatte sie nicht davon abgehalten, jetzt gegen ihn in den Kampf zu ziehen. Der Graf hatte Ende Juni in einer schnellen, unerwarteten Attacke die Stadt Aumâle eingenommen, und, von seinem Erfolg angestachelt, hatte er sich danach die Burg von Driencourt vorgenommen. Und sich daran die Zähne ausgebissen.
„Aumâle kann ich mir später leicht zurückholen, wenn die dringenderen Probleme aus der Welt geschafft sind“, meinte Henry leichthin. „Und die Belagerung von Driencourt hat er ja nicht lange durchgehalten. Zum Glück ist der Graf von Flandern nicht der fähige Heerführer, für den er sich selbst hält.“
„Der Flame hat weder die Fähigkeiten noch die nötige Geduld. Es war zu erwarten, dass er bald mit ziemlicher Wut im Bauch weiterziehen würde.“Francois Delaborde sprach aus, was alle dachten. „Ich wundere mich nur, warum er sich von seinem nächsten Ziel, Arques, auch nach nur kurzem Angriff wieder zurückgezogen hat.“
„Vielleicht hat die heftige Gegenwehr der Städter den Feigling erschreckt“, warf Graf Phillip ein und strich sorgfältig eine Falte auf seinem goldbestickten Wams glatt.
„Und dann beendet er gleich den ganzen Feldzug und kehrt mit eingezogenem Schwanz nach Flandern zurück? Wegen der Gegenwehr einer einzigen Stadt?“ Der Heerführer verzog das wettergegerbte Gesicht. „Verzeiht, Sir Phillip, aber das glaubt Ihr doch selber nicht!“
Prior Guillaume hob die Hand und stoppte den Disput. „Die Erklärung ist einfach: Aberglaube ist schuld. Ein Mönch aus der Gegend von Arques war letztens zu Gast bei uns im Kloster und hat davon erzählt.“
„Wie bitte, Aberglaube?“, fragte König Henry verwirrt.
„Nun, wie Ihr wisst, hat Euch der Graf von Flandern vor fünf Jahren die Treue geschworen, ebenso wie dessen Bruder, Matthew von Boulogne. Letzterer ist beim Angriff auf Arques getötet worden, und, wie es der Teufel will, fiel er genau am Jahrestag seines Eides.“
Francois Delaborde pfiff leise durch die Zähne. Er wusste aus Erfahrung, wie nachhaltig solche dummen Zufälle einen Feldzug beeinflussen konnten. Nicht nur der flämische Graf war ein abergläubischer Mensch, diese Eigenschaft teilte er mit den meisten Kämpfern in so ziemlich jedem Heer.
„Wie mir berichtet wurde, sah der Graf in diesem Unglück einen Wink des Himmels, ein böses Omen, sozusagen als Strafe für den Eidbruch. Er zögerte, was natürlich nicht unbemerkt geblieben war, und schon hatte sich Unruhe im Heer ausgebreitet. Die Männer erwarteten schon fast weitere himmlische Strafen, wenn sie den Angriff fortführen würden, sozusagen gegen den Willen Gottes. Dieses Risiko war dann wohl auch dem Grafen zu hoch. Jedenfalls gab er den Angriff auf und zog sich nach Flandern zurück.“
„Das war es also.“ Henry nickte verstehend. „Von mir aus soll er ziehen, ich werde ihn nicht verfolgen lassen. Die Schmach der Niederlage ist Strafe genug.“
„Ein Widersacher weniger. Für den Kronprinzen ist das auf jeden Fall ein herber Rückschlag.“ Baron Pierre Patard brachte die Sache kurz und knapp auf den Punkt.
„Und man kann das Geschehene so auslegen, dass sogar Gott auf Eurer Seite ist, Majestät“, fügte Prior Guillaume lächelnd hinzu. „Wirklich nicht schlecht. Jetzt muss sich das nur noch herumsprechen.“
„Nur keine Angst, dafür werde ich schon sorgen.“ Henry grinste breit. Alles in allem lief es in Frankreich recht gut für ihn. „Ich denke, ich habe die Situation im Griff, und soweit ich es überblicken kann, drohen im Augenblick keine wirklich großen Aktionen vonseiten der Rebellen oder Louis. Aber an anderer Stelle müssen wir wachsam sein, nämlich in England.“
„Das glaube ich nicht.“ Graf Phillip schüttelte den Kopf. „Nach dem verpatzten Versuch Anfang des Jahres, als der Kronprinz versuchte, über diesen Graf Beaumont in England eine zweite Front aufzubauen, hat er sicher genug.“
„So sehe ich das auch“, stimmte der Prior zu. „Es gibt keinerlei Berichte oder auch nur Gerüchte über Maßnahmen des Kronprinzen auf der Insel.“
„Ich weiß nicht recht.“ Heerführer Delaborde bezweifelte, dass der Prinz so schnell aufgab. „Er muss ja nicht persönlich die Hand im Spiel haben, für so etwas hat er schließlich seine Leute. Der Prinz kann sehr charmant sein, freigiebig und lebenslustig ist er sowieso und er weiß, wie man Freunde gewinnt. Das kommt ihm jetzt zugute, denn so kann er genug Anhänger gewinnen, die unauffällig für ihn um Verbündete werben, oder Intrigen spinnen. Wie dieser Robert de Beaumont, der Graf von Leicester. Dem wäre es im Frühjahr doch fast gelungen, einen Bürgerkrieg in England anzuzetteln, ohne dass wir auch nur das Geringste geahnt hatten.“
Das stimmte. De Beaumont selbst war, um keinen Verdacht zu erregen, demonstrativ auf dem Festland mit dem Kronprinzen unterwegs gewesen, hatte Burgen belagert und auch das Vergnügen nicht zu kurz kommen lassen. Währenddessen waren dessen Vasallen an den verschiedensten Stellen aktiv gewesen und hatten Unfrieden gestiftet, wo sie nur konnten. Und sie hatten ihre Arbeit gut gemacht, sehr gut sogar.
Читать дальше