1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 „Ja, das war haarscharf.“ Henry erinnerte sich ungerne daran, dass sein Sohn ihn mit dieser geheimen Aktion tatsächlich fast übertölpelt hatte. „Eines muss ich meinem Sohn und dem Grafen lassen, sie sind wirklich sehr geschickt vorgegangen. Beide sind in dieser Sache nie persönlich in Erscheinung getreten und gaben nur mündliche Befehle, nirgendwo fand sich eine Unterschrift oder ein Siegel. Ich habe eine ganze Weile gebraucht, bis ich endlich Beweise finden und den Grafen als Mitstreiter meines Sohnes entlarven konnte.“
Sobald König Henry der Verrat des Grafen klar geworden war, hatte er zurückgeschlagen. Er hatte dessen gesamte Grafschaft Leicester besetzen lassen und wollte auch die Hauptstadt samt des Grafen Burg mit einem schnellen Angriff übernehmen. Das hatte leider nicht wie gewünscht funktioniert, es gab Widerstand und aus dem Angriff wurde eine Belagerung, und aus König Henrys Strafmaßnahme war inzwischen eine längere Geschichte geworden.
Dass die Besatzung von de Beaumonts Burg Widerstand leisten würde, war zu erwarten gewesen, doch die Bürger der angrenzenden Stadt standen ebenfalls zu ihrem Grafen und verweigerten die Übergabe. Wohl auch deshalb, weil der Graf bekanntermaßen kein sehr umgänglicher Mann war und die Bürger dessen Rache fürchteten. Kaum waren die ersten anrückenden Truppen in Sicht gekommen, waren sämtliche Stadttore verrammelt worden. Alle Verhandlungsversuche waren abgewiesen worden und die logische Folge davon war eine Belagerung der Stadt und der Burg.
„Graf Beaumont hat seine Strafe bekommen“, sagte Baron Patard. „Er ist seine Grafschaft los und außerdem geächtet. Er mag auf König Louis Hoheitsgebiet auch noch Ländereien haben, aber wenigstens in England hat er keinen Rückzugsort mehr, von dem aus er gegen uns opponieren kann.“
„Nur ist er leider nicht der Einzige, der Schaden anrichten kann. Irgendjemand ist noch immer tätig auf der Insel“, hielt der Prior dagegen. „Jedenfalls hat König William von Schottland im Auftrag des Kronprinzen Besuch bekommen. Das erzählte mir ein schottischer Pilger vor einigen Tagen.“
Henry wusste das schon länger, sein Netzwerk funktionierte auch nicht schlecht.
„Ja, und der Besucher hatte leider auch Erfolg“, antwortete er. „Meinen Informationen zufolge zieht König William von Schottland gerade an der Grenze Kämpfer zusammen. Es sieht ganz so aus, als wolle der Schotte die Gunst der Stunde zu seinem Vorteil nutzen und auch ein wenig mitmischen. Ob er als Verbündeter des Kronprinzen handelt oder aus eigenem Antrieb, weiß ich nicht. Vielleicht will König William einfach nur seine Grenzen auf meine Kosten ein wenig nach Süden verschieben, während ich anderweitig beschäftigt bin.“
„Das spielt für uns keine Rolle, die Gefahr wird dadurch nicht geringer.“ Heerführer Delaborde waren die Gründe des Schottenkönigs einerlei, auf die Taten kam es an. „Den Berichten nach befindet sich die Aktion aber noch in den Vorbereitungen und der Schotte hat bei weitem noch nicht genug Krieger versammelt, um ernsthaften Schaden anzurichten. Das sollten wir unbedingt nutzen.“
„Werden wir“, antwortete Henry. „Was König William braucht, ist mehr Zeit und die werde ich ihm nicht geben. Ich habe schon Richard de Lucy, meinen obersten Justiziar in England, gewarnt. Der stellte sowieso schon an der Südküste ein Heer auf. Eigentlich war das eine Vorsichtsmaßnahme zum Schutz der englischen Küste gegen eine mögliche Invasion meines Sohnes oder seiner Genossen. Aber bei Bedarf können die Truppen natürlich auch im Norden zum Einsatz kommen und dem übereifrigen Schotten auf die gierigen Finger klopfen. Mein Befehl zum Abmarsch eines Teiles der Truppen nach Norden ist schon unterwegs. Das schottische Heer wächst mit jedem Tag und je schneller ich mit meinen Abwehrmaßnahmen bin, desto weniger Zeit hat König William.“
„Wir dürfen aber die Südküste nicht gänzlich ohne Schutz lassen“, warnte Baron Patard. „Falls der Kronprinz davon erfährt, und das wird sich nicht verhindern lassen, dann wird er auf jeden Fall eine Invasion versuchen. Selbst wenn er das bisher vielleicht gar nicht vorhat! Die unbewachte Küste wäre geradezu eine Einladung!“
„Da wird König Louis aber nicht mitziehen.“ Der Prior verschränkte die dicken Arme über seinem beträchtlichen Bauch. Sein demütiges Auftreten und seine einfache Kutte täuschten. Er stand einem recht wohlhabenden Kloster vor und war an gute, reichliche Kost gewohnt. Seit dem Morgenmahl waren schon ein paar Stunden vergangen und ihm knurrte der verwöhnte Magen. „Den Franzosen interessiert die Insel nicht und er wird dem Prinzen nicht seine Truppen mitgeben.“
„Ist auch gar nicht nötig“, antwortete der Baron. „Wenn unser Heer aus dem Wege ist, kann er auch mit wenigen Kriegern viel Schaden anrichten. Der Prinz hat genug Anhänger, auch in England, und er kann leicht zusätzlich noch Söldner zur Unterstützung anwerben.“
„Genau. Deshalb habe ich auch nicht das ganze Heer in Marsch gesetzt. De Lucy wird vor allem mit der Kavallerie aufbrechen, das muss reichen. Fußtruppen sind einfach zu langsam, die können notfalls später nachfolgen.“ Henry knurrte ärgerlich. „Mist! Um König William würde ich mich gerne selbst kümmern. Ich kann aber schlecht an zwei Stellen gleichzeitig persönlich vor Ort sein!“
Was ihm absolut nicht gefiel. Er hielt immer gerne selbst alle Fäden in der Hand und jetzt musste er sich auf schriftliche Befehle beschränken, die außerdem noch ewig unterwegs waren, ehe sie die zuständigen Leute erreichten. Der Weg nach England war weit und bei ungünstigem Wind konnte die Verbindung zur Insel auch mal über eine längere Zeit vollständig unterbrochen sein.
Aber abgesehen von den Schotten gab es wenig, was ihn nach England gezogen hätte. König Henry bevorzugte ohne Frage seine normannische Hauptstadt Rouen und er hielt sich oft dort auf, wenn er nicht gerade sonst irgendwo in seiner geliebten Normandie unterwegs war. Jedenfalls verbrachte er erheblich mehr Zeit hier auf dem Festland, als in seinem Königreich England. Die Normandie war seine Heimat, hier war er aufgewachsen und hier kamen seine Vorfahren her. Natürlich hatte er sich die Krone Englands nicht entgehen lassen, schließlich hatte er das Recht darauf, aber dabei ging es nur um Politik, um Macht und Reichtum. Sein Herz gehörte der Normandie und sicher nicht dieser feuchten, ewig dunstverhangenen Insel.
Seit der Eroberung der Insel durch Wilhelm den Eroberer hatten sich auch dort drüben viele Normannen angesiedelt und diesem regnerischen Land jenseits des Meeres ihre Kultur gebracht. Mittlerweile machten seine Landsleute sogar einen Hauptteil der herrschenden Klasse aus und in aristokratischen Kreisen wurde ausschließlich Französisch gesprochen statt dieser unverständlichen Sprache der einheimischen Angelsachsen. Trotzdem hatte Henry selbst sich in England nie so recht zu Hause gefühlt.
Aber es gab auch militärische Gründe für seine eher seltenen Besuche in England. Sein Königreich war durch die Insellage von Natur aus recht gut geschützt und das machte seine persönliche Anwesenheit unnötig. Von Schottland einmal abgesehen, musste jede Invasion zwangsläufig über das Meer erfolgen, wofür eine entsprechend große Flotte nötig war. Außerdem konnte keine Kavallerie von nennenswerter Stärke übergesetzt werden, sondern nur Fußtruppen. Das Ganze erforderte einen gewaltigen Aufwand und war außerdem von günstigen Winden abhängig, die einem feindlichen Eroberer in letzter Sekunde noch einen Strich durch die Rechnung machen konnten.
In der Normandie dagegen sah die Sache anders aus. Hier schützte kein Meer seine Grenzen. Er hatte rundherum genügend gierige Nachbarn, die ohne große Vorbereitung schnell mal mit ihren Rittern über seine Grenzen vordringen und die eine oder andere Grenzfestung erobern konnten. Er musste ständig wachsam sein, denn Neider oder ehrgeizige Emporkömmlinge, die sich einen Namen machen wollten, gab es mehr als genug.
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