Alles frei erfunden! Jede Ähnlichkeit mit real existierenden Personen, Firmen und Einrichtungen ist reiner Zufall.
ImprintDas große Aufräumen. Kriminalroman
Elisa Scheer
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
Copyright: © 2016 Elisa Scheer
ISBN 978-3-7375-6398-7
Als erstes warf sie ihre Schultasche in die Ecke, dann schleuderte sie die Schuhe von den Füßen, tappte auf Strümpfen ins Wohnzimmer und warf sich aufs Sofa. Heulen hätte sie mögen!
So ein Scheißtag aber auch - alles war schief gegangen.
Die Achte hatte gemault, weil sie die Schulaufgabe noch nicht fertig hatte. Die hatte sie in der Woche vor den Herbstferien schreiben lassen, also waren die zwei Wochen noch lange nicht vorbei. Naja, lange – am Mittwoch war Termin. Das würde sie schon noch schaffen, die erste Aufgabe hatte sie ja schon fast durch.
Der Kurs war dünn besucht und unlustig. Alle sagten, die neue Q 11 sei so ein fleißiger Jahrgang, nett und pflichtbewusst. Ihr war das noch nicht so wirklich aufgefallen. Und – Mist, sie hatte die Absenzen nicht aufgeschrieben. Das hatte sie sich doch extra vorgenommen! Ob die das einkalkulierten? Bei der Körner können wir schwänzen, die schreibt uns nicht auf? Und dann fragten sie immer wieder das Gleiche, weil sie nicht zugehört hatten - waren die bei anderen Kollegen genauso?
Die beiden Geographiekurse waren jedenfalls nicht besser als der Mathekurs. Und das Seminar – das hatte sie sich auch nicht selbst ausgesucht, das hatte sie geerbt. Schon bei der Vorstellung hatte es geheißen: „Die Kollegin, die Megacities angeboten hat, hat leider eine Risikoschwangerschaft. Sie müssten das Seminar übernehmen.“ Sie hatte stumm und wenig begeistert genickt, sie wusste ja nicht einmal, wie man so ein Seminar aufziehen sollte. Das wusste sie jetzt eigentlich immer noch nicht so genau.
Und ihre eigene siebte Klasse war heute mal wieder unausstehlich gewesen. Der ewige Hickhack zwischen Tina und Sophia in der letzten Reihe, Rafael, der dauernd laut rülpste, was die anderen Jungs zu Begeisterungsstürmen hinriss, Lukas und Nini, die dauernd krähten Versteh ich nicht! ... furchtbar.
Wie machten das die anderen? Vierundzwanzig Wochenstunden, das war ja nicht zu schaffen!
Hatte sie jetzt schon einen Burnout? Kaum angefangen, schon fix und alle? Wieso wirkten die anderen so munter? Die hatten doch auch nicht weniger zu tun – eher mehr? Die schreckliche Wintrich zum Beispiel, die hatte immerhin zwanzig Stunden und war obendrein Mitarbeiterin in der Schulleitung. Oder die Suttner als Herrin der Oberstufe. Na, wahrscheinlich hatten die einfach schon mehr Übung.
Und bestimmt eine tolle Putzfrau. Missmutig sah Maja sich um.
Scheußlich. Sie wohnte jetzt seit neun Wochen hier, und die Wohnung war einfach entsetzlich. Die Lage ging, ein Stück hinter der Uni, sie konnte sogar zu Fuß zur Schule gehen.
Was hatte sie denn auch erwartet?
Onkel Karl-Heinz hatte die Wohnung neu gekauft, irgendwann in den Achtzigern. Dann war er gestorben, Mama hatte die Bude geerbt und sie vermietet. Immerhin hatten diese superordentlichen Spießer das senffarbene Bad weiß kacheln lassen. Wenigstens etwas.
Leider hatten sie sich nicht an Onkel Karl-Heinz´ grausigen Tapeten gestört. Im Wohnzimmer zum Beispiel senfgelb, geprägt, schimmernd – unglaublich: Wer stellte so etwas her? Dazu passend goldgelber, stark abgenutzter Teppichboden.
Und jetzt musste sie hier vegetieren. Zu allem Unglück das auch noch.
In dieser goldenen Hölle. Fehlten bloß noch goldene Fronten in der Küche – aber die war einfach aus Kiefernholz.
Sie schloss die Augen: am besten ein Schläfchen! Dann riss sie die Augen wieder auf. Nein, für so was hatte sie keine Zeit, sie war schließlich total im Stress.
Die Schulaufgabe!
Der Beitrag für die Fachsitzung!
Die Aufstellung für die Wintrich!
Der Unterricht für morgen!
Klamotten für morgen!
Ihre Haare, ihre Augenbrauen, ihre Haut, ihre Speckröllchen. Ihre Fingernägel. Ihr – überhaupt alles!
Alles war Mist. Und sie war selbst schuld. Eindeutig.
Sie stand auf und streckte sich. Halb sechs… hatte sie so lange in der Schule herumgehangen? Unlustig schlurfte sie ins Arbeitszimmer, wo sich auf dem Schreibtisch (den sie schon hatte, seitdem sie ins Gymnasium gekommen war, und das war jetzt siebzehn Jahre her) Papiere, Ordner, Mappen, Bücher, ihr Notenbüchlein und alles Mögliche andere türmte.
Wie sollte man da denn arbeiten? Musste sie aber. Wo war jetzt die Schulaufgabe der 8 b?
Sie setzte sich, nachdem sie zwei Mappen, eine Formelsammlung, eine leere Bäckertüte und zwei Kugelschreiber vom Schreibtischstuhl entfernt hatte. Gründlich suchen war angesagt!
Sie stapelte alles einigermaßen stabil auf, warf die Bäckertüte (und mehrere weitere, die unter dem Krempel auftauchten) ins Altpapier und fand ganz unten schließlich die Schulaufgabe. Sogar mit Notenliste und halber Musterlösung – offenbar hatte sie mal ganz solide angefangen.
Der Blick auf die Notenliste verriet ihr noch mehr: angefangen ja – aber offenbar schnell wieder aufgehört. Sie hatte gerade bei zehn Leutchen die erste Aufgabe geschafft.
Also, weiter machen!
Was hätten die gleich wieder rechnen sollen? Auf welche Rechenschritte wollte sie Punkte geben? Sie studierte die Musterlösung und begann dann, nach dem Rotstift zu graben. Ah, hier!
Einer der Stapel neigte sich und fiel schließlich vom Tisch.
Maja war schon halb aufgestanden, aber dann beschloss sie, erst einmal ordentlich zu korrigieren.
Fünf weitere schaffte sie, dann machte sich tiefe Lustlosigkeit breit. Sie starrte einige Minuten in die Luft, dann stand sie doch auf und sammelte die heruntergefallenen Zettel wieder auf. Als sie sich, den Stapel in der Hand, wieder aufrichtete, erstarrte sie: Was war das denn – letzte Mahnung? Wieso hatte sie das zwar geöffnet, aber offensichtlich den Inhalt nicht zur Kenntnis genommen? Sollte sie das jetzt nicht schnell bezahlen?
Aber dazu brauchte sie ihr Handy, überlegte sie, wegen der TANs. Und wo das nun wieder steckte… Nein, noch fünfmal Aufgabe eins! Was, schon Viertel nach sechs? Ihr Magen knurrte.
Na, wenigstens zwei.
Nach Nummer siebzehn stellte sie sich auf die Waage. Mit etwas Herumrutschen, stärkerer Belastung links und Luftanhalten kam sie auf 88,6 Kilo. Heftig. Sie benutzte die Toilette und versuchte es noch einmal. Immerhin waren das doch bestimmt, na, zweihundert Gramm Flüssigkeit gewesen? Jetzt wog sie exakt 89 Kilo. So ein Blödsinn aber auch. Und die braune Cordhose saß verdammt stramm. Im Spiegel fand sie sich furchtbar. Aber ihr Magen knurrte trotzdem.
Na gut, noch zwei.
Neunzehn. In der Küche fanden sich eine halbe Tüte Kartoffelchips, die eklige Sorte, die so penetrant nach künstlichem Käsearoma schmeckte, eine steinharte Semmel, die sie vergessen hatte einzufrieren (letzte Woche oder so), ein Joghurt von Mitte Oktober, zwei matschige Bananen, eine Tafel Schokolade, weiß mit Crisp (lecker fettig) und eine Tütensuppe. Spargel mit Croutons. Von 2008! Die musste ja dann schon mit umgezogen sein – und da war sie schon überaltert gewesen. Toll.
Sie schüttete die Chips auf einen Teller und kehrte ins Arbeitszimmer zurück.
Wieder zwei.
Moment – hatte sie die Steigung vorhin bepunktet? Ja, hatte sie. Gut, jetzt waren es einundzwanzig. Noch sieben!
Nach jedem Exemplar aß sie eine Handvoll Chips und schüttelte sich. Wieso hatte sie nicht die mit Chili gekauft? Um halb acht war sie mit der ersten Aufgabe fertig - in dem Tempo schaffte sie das Ding bis Mittwoch nie.
Wenn sie gewusst hätte, wie viel Stress so ein Lehrerdasein mit sich brachte… und dabei hieß es, Mathe und Geographie seien noch am harmlosesten!
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