Das kam bei Julia öfter vor, wenn Mike – Biker-Mike, aber sonst war er harmlos – wieder mal zu lange an einer seiner Maschinen herumgeschraubt, einen Kennenlerntag vergessen oder mit Motoröl herumgekleckert hatte. Bei Julia war schnell alles scheiße , aber auch ebenso schnell alles voll geil – niemand konnte sich so gut amüsieren.
„Was hat er denn gemacht?“, fragte ich, auf der Bettkante sitzend und das verstrubbelte blonde Haar streichelnd. „Nichts!“, erklang es dumpf ins Kissen.
„Okay, was hat er dann nicht gemacht?“
„Nichts...“
„Julia, er muss doch irgendwas gemacht haben, warum wärst du sonst hier?“
Ich stand auf und suchte nach einem Kaffeebecher, dann schenkte ich ihr ordentlich ein. „Jetzt komm mal hoch und trink deinen Kaffee. Ich will ihn nicht im Bett haben. Und dann erzähl mir, warum du so durch den Wind bist, wenn Mike gar nichts gemacht hat.“
Sie wälzte sich herum und griff nach dem Becher, nahm einen großen Schluck und gab ihn mir zurück. „Zucker?“
„Ist leider aus. Milch auch, sorry. Also, was liegt an?“
Sie starrte mich finster an. „Kann ich bei dir pennen?“
„Klar – aber du siehst ja, wie eng es hier ist.“
„Egal. Ich kann Mike nicht mehr ab.“
„Also hat er doch was angestellt?“
„Nein. Ich hab ihn einfach satt.“
„Ohne dass er nervt? Hast du was Besseres gefunden?“
Sie nahm mir den Becher wieder aus der Hand und trank. „Boah, da kriegt man ja einen Herzschlag. Das hat er mich auch gefragt.“
„Ob du einen anderen hast?“
„Wie kommst du darauf?“ Ausweichend. „Wenn er dir plötzlich nicht mehr gefällt, ohne dass er etwas angestellt hat, vergleichst du ihn doch mit einem anderen, oder?“
„Meinst du?“
Noch ausweichender! „Julia, spuck´s aus. Wer geistert dir im Kopf herum?“
„Er ist so entzückend“, seufzte sie und hätte beinahe den Kaffeebecher fallen lassen. Im letzten Moment fing ich ihn auf – wenn ich mich schon mal aufraffte und das Bett frisch bezog, wollte ich das nicht gleich wieder tun müssen.
Dabei fiel mir ein, dass ich nicht wusste, wo der Schlafsack war. Na, später.
„Wer ist entzückend?“
„Blond – und so klug... richtig kultiviert...“
Armer Mike, da konnte er nicht mithalten. Herzensgut, zuverlässig, hilfsbereit – aber er konnte nur über Motorräder und Actionfilme reden. Andererseits: Seit wann hatte Julia es denn so mit der Kultur? Sie las Heftchenromane vom Typus Magische Begegnung am Strand und liebte Reich und schön ...
„Inwiefern ist er kultiviert?“
„Er geht ins Theater“, antwortete sie ehrfürchtig und schaute versonnen vor sich hin, „und wenn irgendwo klassische Musik läuft, dann weiß er, von wem das ist. Und wir waren essen, im Médoc, da hat er mit dem Kellner richtig französisch gesprochen...“
Angeber. Julia konnte man in puncto E-Musik alles erzählen, ins Theater gingen andere Leute auch, und – „Mensch, Julia, du hast doch auch Französisch gelernt, schon vergessen? Warum beeindruckt dich das alles so?“
„Bei ihm wirkt das so lässig, und dann ist er auch so toll angezogen. Ohne Krawatte – aber total schick. Er ist so richtig kreativ ... Er macht irgendwas mit Public Relations. Wie das schon klingt...“ Wieder starrte sie in die Ferne, als sähe sie sich dort Seite an Seite mit ihrem Liebsten in den Sonnenuntergang reiten.
Ich seufzte. Julia hatte doch auch ein paar Semester studiert, bevor es ihr zu blöde wurde und sie sich einen Bürojob suchte. Warum tat sie jetzt so, als zöge dieser Kerl sie aus der kulturellen Gosse? Warum war sie plötzlich so kleinmädchenhaft? „Wie heißt denn dieser Wunderknabe?“
„Sei nicht so spitz. Frank heißt er – ist das nicht ein schöner Name? Ach...“
„Geht so“, murmelte ich. Ich kannte keinen Frank, außer diesem miesen Suhrbier. Und den Namen hatte ich noch nie so toll gefunden. Tom war schöner, eindeutig. Ach ja... „Und hast du was mit diesem Zauberfrank?“
„Noch nicht so richtig... wir treffen uns ab und zu nach der Arbeit und er sagt, mit mir kann man sich so gut unterhalten... ich verstehe ihn, ich kann gut zuhören...“
„Sagt er.“ Uralte Platte!
„Ja, sagt er!“ Julia funkelte mich an. „Er sagt, ich habe so ein unverbildetes Urteil, und das ist selten!“
„Also hält er dich für ein Naivchen?“
Julia sah mich wütend an und machte Anstalten, vom Bett zu krabbeln.
„Okay, okay“, gab ich nach, „ich nehm´s zurück. Und dafür hast du Mike verlassen?“
„Ich kann Mike nicht mehr ertragen, er hat so gar kein – kein - “
„ Savoir vivre ?“, schlug ich vor, fast gar nicht höhnisch.
„Ja – genau.“ Ihr Lächeln erlosch. „Du verarschst mich!“
„Nein, nein. Aber bist du Mike gegenüber nicht ein bisschen unfair?“
„Ja, aber was soll ich machen? Ich liebe jetzt eben Frank...“
„Und er liebt dich?“
„Ja! Hat er gesagt! Keine Sorge, ich fall dir nicht lange zur Last, ich such mir schnell eine eigene Wohnung. Aber mit Mike – das geht nicht mehr, und es ist eben doch Mikes Wohnung. Natürlich, wenn er ein Kavalier wäre...“
„Dann wäre er aber ganz schön bescheuert“, konnte ich mir nicht verkneifen. „Warum soll er seine Wohnung dir und seinem Nachfolger überlassen? Er kann doch nicht mal was für eure Trennung!“
„Wenn er nicht so – so stumpfsinnig gewesen wäre... doch, ich finde, er ist schon auch schuld.“ Ich rutschte vom Bett. „Na gut. ich suche mal den Schlafsack. Hast du Hunger?“
„Nein“, seufzte Julia. „Vor lauter Liebe habe ich gar keinen Appetit mehr.“
Sie ließ sich zurückfallen und schaute glücklich und ein bisschen dämlich drein. Das irritierte mich. „Wenn du jetzt so glücklich bist – wieso hast du dann so geheult, als du hier angekommen bist?“
„Weil Mike so gemein war. Er hat doch glatt gesagt Dann geh doch! , als ich ihm die Wahrheit gestanden habe. Wie findest du das?“
„Was hätte er denn sonst sagen sollen?“, fragte ich verblüfft. „Wieso kämpft er denn gar nicht um mich?“
Woher bezog Julia eigentlich ihr Weltbild? Ernsthaft aus diesen Heftchenromanen? Eine Frau mit Abitur? Mit vier Semestern Kommunikationswissenschaften? „Das tut er sicher noch, wenn er sich von diesem Schock erholt hat“, behauptete ich wider besseres Wissen. Wenn Julia schon länger so doof war wie heute, konnte Mike froh sein, dass er sie los war! Himmel, welcher Dämon hatte ihr denn so den Kopf verdreht? Sie war doch sonst ganz vernünftig?
Ich ging den Schlafsack suchen und entdeckte ihn schließlich auf dem Kleiderschrank ganz hinten, entstaubte ihn unauffällig, öffnete den Reißverschluss und bezog ihn mit dem erstbesten Bezug. Ein Reservekissen hatte ich wenigstens noch. Ich warf alles aufs Bett und Julia guckte befremdet.
„Wir sollen in einem Bett schlafen?“
„Siehst du denn ein zweites? Natürlich, wenn du lieber in der Badewanne oder auf dem Fußboden pennen willst, aber ich hab keine Isomatte, die hab ich im letzten Urlaub ruiniert.“
„Kannst du nicht auf dem Boden...?“
„Nein, Julia. Das ist meine Wohnung, ich muss morgen um sieben zur Arbeit antreten und brauche meinen Schlaf. Du kannst gerne hier pennen, aber aus meinem Bett vertreibt mich niemand.“
Sie zog einen Flunsch und runzelte die Stirn. „Wieso musst du um sieben anfangen? Du arbeitest doch in der Werbung?“
„Nicht mehr, die haben mich gefeuert. Ich arbeite im Feinkostkeller, und die fangen früher an.“
„Als was?“
„Regale auffüllen. Bis ich was Besseres finde.“
„Aber das kannst du doch nicht machen!“
„Du siehst doch, dass ich kann. Ich brauche ab und an auch mal was zu essen, und die zahlen immerhin ein bisschen was. Ohne schriftliche Kündigung – ach, was soll´s...“ Julia hörte schon gar nicht mehr zu. „Wer macht denn dann morgen das Frühstück?“
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