Vielleicht sollte ich auch mal das Fenster... Wenigstens ein bisschen!
Mit einem zusammengeknüllten Stück Küchenrolle und dem Glasspray ging ich an die Arbeit und betrachtete mir eine Viertelstunde später zufrieden mein Werk. In diesem Moment kam die gerade untergehende Sonne hinter einer Wolke hervor und beschien das Fenster, das total verschmiert war – ich hatte den Dreck nur verteilt und nichts geputzt. Scheußlich. Also, noch mal, und mit mehr Wasser!
Nach dem zweiten Durchgang waren die Fenster immerhin bloß noch streifig. Also, als Putzfrau brauchte ich es nicht zu versuchen, dazu war ich wirklich zu schlecht. Immerhin sah man, dass ich geputzt hatte, und das reichte doch vorerst! Ich wischte noch eine dicke Schicht aus Staub und toten Fliegen vom Fensterbrett, saugte das Gröbste auf und spülte die Gardinen aus. Immer neue graue Wolken quollen im Spülwasser auf. Äh!
Schließlich wurde das Wasser aber doch etwas klarer, und ich hängte die ausgedrückten Gardinen über den Handtuchhalter. Hunger hatte ich. In letzter Zeit hatte ich so wenig gegessen, da musste ich doch eigentlich was abgenommen haben? Sechzig Kilo hatte ich beim letzten Mal gewogen, an Neujahr... Die Waage – wo war die Waage? Seitdem ich mal eine Phase gehabt hatte, in der ich mich dreimal täglich frustriert gewogen hatte, hatte ich sie verräumt, aber wohin? Wo hatte ich sie an Neujahr gefunden?
Ganz unten im Kleiderschrank... nein. Im Küchenschrank, unter der Spüle – Bingo! Ich trug sie ins Bad, zog die Schuhe aus und stieg drauf. Zweiundsechzig, Mist aber auch! Hatte ich seit Neujahr dermaßen viel gefuttert?
Mit dem üblichen Frust trug ich sie wieder zurück und nahm mir vor, die vielen verknüllten Plastiktüten, die auch unter der Spüle wohnten, mal aufzubrauchen und keine neuen mehr zu kaufen. Also strich ich eine ordentlich glatt, faltete sie klein und verstaute sie in meiner Tasche, damit ich sie bei Einkäufen immer griffbereit hatte.
Sehr wohl organisiert! Der Gipfel an Spießigkeit wäre es natürlich, so einen Einkaufswagenchip am Schlüsselbund hängen zu haben – aber so effizient wollte ich nun auch wieder nicht sein, das war zu öde und unspontan.
Ich sah mich weiter tatendurstig um. Ach ja, eine Kiste mit Schotter...
Ich hatte keine Kiste, natürlich. Also nahm ich eine weitere Plastiktüte und sammelte allerlei herumliegenden Kram ein, Zeitschriften, Handspiegel, Haarschleifen, Krimi, Kassenzettel... ich war ja blöd, das Zeug konnte doch zum Teil in den Müll, zum Teil gehörte es ganz woanders hin! Also leerte ich die Tüte wieder aus und sortierte. Die Sache mit der Kiste war eben wieder eine meiner üblichen Schnapsideen.
Jedenfalls sah es jetzt schon beträchtlich ordentlicher aus. Klarer, irgendwie. Die Bücher müsste ich vielleicht mal übersichtlicher... ich stopfte die quer liegenden zwischen die anderen und brachte sie mit einem Handkantenschlag auf Linie. So! Jetzt fand ich zwar sicher nichts mehr, aber es sah gut aus. Ziemlich gut wenigstens.
Und die alten Zeitschriften kamen jetzt endgültig auf den Stapel im Müllhäuschen. Sofort! Hinterher fiel ich wirklich aufs Bett und döste, begleitet vom monotonen Geräusch der Tropfen, die aus den nassen Gardinen in die Badewanne fielen. Immerhin, ich hatte für fast zwei Wochen etwas anzuziehen. Und die Kostümjacke konnte ich doch mal in die Reinigung bringen, dann taugte sie noch als Blazer. Den Rock warf ich wohl besser weg, der überzeugte nicht mehr. Zu eng war er auch.
Fernsehen? Lesen? Vielleicht kapierte ich den Krimi ja jetzt? Ich wälzte mich zum Lichtschalter und suchte dann nach dem Krimi. Jetzt konnte mir natürlich jeder reingucken, weil die Gardinen immer noch im Bad vor sich hin tropften.
Übrigens hatte ich immer noch Hunger. Ich wühlte im Küchenschrank herum und fand noch eine halbe Tafel Schokolade – nein, lieber etwas Würzigeres! Also kochte ich mir eine ordentliche Portion Spaghetti und streute Parmesan darüber – das aß ich furchtbar gerne, ohne Sauce.
Satt und zufrieden stapelte ich dann Teller, Topf, Besteck im Spülbecken und weichte es ein. Zum Abspülen reichte es nicht mehr, für heute war ich wirklich fleißig genug gewesen. Was gab´s denn im Fernsehen? Kurz vor sieben... Vorabendserien, bei denen ich mich nie auskannte. Doch lieber den Krimi? Irgendwie war ich unruhig; ich humpelte ins Bad und prüfte, wie nass die Gardinen noch waren. Zu nass auf jeden Fall.
Krimi! Und am besten noch mal von vorne.
Ich schaffte es wenigstens, zu kapieren, warum die Lacklederblondine dem anderen Typen ein falsches Alibi verschaffte (so hatte sie dann auch gleich eins!) und kam bis zu der Stelle, an der eine zweite, ähnlich zugerichtete Leiche aufgefunden wurde. War die Blondine eine Serienkillerin und nicht die Beauftragte der Versicherung? Was ging´s mich an, ich hätte lieber gewusst, wer diese Schwarzmüller – nein, Schwarzmeier – umgelegt hatte. Und warum.
Die Polizei konnte doch nicht ernsthaft glauben, ich sei es gewesen? Ich hatte die Frau praktisch nicht gekannt!
Diese blöden Gardinen, jeder konnte reingucken! Wieso hatte ich nicht bis zu meinem freien Tag gewartet? Oder sie frühmorgens gewaschen, dann hätte ich sie abends gleich wieder aufhängen können! Aber Staubsaugen wollte ich doch noch; heute hatte ich wirklich Hummeln im Hintern – sehr ungewöhnlich. Der Teppich wurde tatsächlich etwas heller und verlor den Grauschleier, den ich seit Monaten gezüchtet haben musste. Ich spülte auch gleich noch meinen Spaghettiteller ab und wunderte mich zunehmend über mich selbst – hatte ich jetzt den absoluten Putzwahn? War das eine Ersatzbefriedigung, weil es im Job so schlecht lief? Oder wollte ich mich als perfekte Hausfrau präsentieren, falls doch mal der Traummann (Tom!!) an die Tür klopfte?
Jetzt sah es hier eigentlich recht zivilisiert aus, mal abgesehen von den restlichen Wäschestapeln im Flur. Ich stopfte sie in die zwei Reisetaschen: morgen, wenn ich dann nicht noch müder war – aber Müdigkeit schien mich anscheinend nur noch anzutreiben! Ich drückte die tropfenden Enden der Gardinen mit einem frischen Handtuch aus, weil ich die Geduld verlor, und hängte sie dann wieder auf.
Deutlich heller – und als ich die Heizung hochdrehte, damit sie schneller trockneten, verbreitete sich angenehmer Waschmittelduft in der Wohnung. Dann konnte ich ja auch noch das Bad putzen! Wozu ein schlechter Krimi einen nicht motivieren konnte... Wenigstens frische Handtücher – und das Waschbecken polieren – und die Zahnpastaspritzer vom Spiegel – naja, und den grauen Rand aus der Wanne.
Ja, jetzt sah es hier einigermaßen zivilisiert aus! Ich warf noch schnell einige längst leere Duschbadflaschen weg und fand mein Werk gut. Jetzt war aber wirklich Feierabend angesagt, um Viertel nach acht würde doch wohl etwas Brauchbares im Fernsehen kommen, oder? Nichts Besonderes. Ich verfolgte eher desinteressiert den recht lahm dargestellten Mord an einem zwielichtigen Priester und hatte nichts dagegen, als es gegen neun Uhr klingelte.
10: Donnerstag, 13. Februar 2003
Durch den Spion konnte man mal wieder gar nichts erkennen – niemand stellte sich in geeigneter Entfernung auf. Ich sah nur etwas Rotes, legte die Kette vor und öffnete. „Du?“
Aufschluchzen. Ich knallte die Tür zu, löste die Kette und riss die Tür wieder auf. „Komm rein!“ Julia, meine Freundin seit dem ersten Semester, wankte schluchzend in die Wohnung, eine riesige Reisetasche hinter sich herziehend.
„Hast du dich mit Mike gestritten?“
Sie heulte noch lauter und warf sich aufs Bett. „Kaffee?“
„Schnaps!“, stöhnte sie in mein frisch bezogenes Kopfkissen.
„Hab ich nicht, tut mir Leid. Kaffee, Wasser oder Apfelsaft.“
„Dann Kaffee. Ach, Heike, es ist alles so scheiße...“
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