Äh. Das Männer immer so blind sein müssen! Die nutzte ihn doch nur aus. Weil er so süß war, weil er bei MediAdvert viel besser Bescheid wusste als sie, weil er wahrscheinlich auch viel mehr verdiente, weil... weil sie einfach eine miese kleine Kuh war. Gut, vielleicht liebte sie ihn ja wirklich, aber sie war auf jeden Fall die Falsche für ihn, weil ich nämlich die Richtige war, so einfach war das.
Schlecht gelaunt lümmelte ich vor dem Fernseher, ohne das Kulturmagazin weiter zu beachten. Wie konnte ich Tom klar machen, dass Carla die Falsche war? Ich konnte doch nicht ewig in seiner Gegend herumlungern! Wieso hatte er sich eigentlich noch nicht bei mir gemeldet? Er musste doch gemerkt haben, dass ich nicht mehr da war? Dass man mich gefeuert hatte?
Im Moment sollte ich ihm besser ohnehin nicht auflauern, stellte ich fest, geistesabwesend mein Kinn reibend – ich kriegte schon wieder einen neuen Pickel.
Wo wohnte diese Carla eigentlich? Dazu müsste ich wissen, wie sie mit Nachnamen hieß, Mist! Wenn er sich dauernd bei ihr herumtrieb, traf ich ihn ja nie!
Ich schlurfte ins Bad und begutachtete den Pickel – na, es ging noch, er hatte sich größer angefühlt. Sicherheitshalber kramte ich aber doch die Peeling-Waschcreme aus dem Sammelsurium in meinem Schränkchen heraus und schrubbte mir das Gesicht ganz gründlich, bevor ich Pickelcreme auftrug. Sollte ich mir vielleicht die Haare schneiden? Neues Leben, neue Frisur? Nein, sie gefielen mir ganz gut, und wenn ich das selber machte, wurde es ja doch bloß schief. Lieber nicht.
Aber wenn ich morgen Abend noch mal zwei Ladungen in den Waschsalon trug – und vielleicht mal Staub saugte – und das Fenster putzte: Dann sähe es hier doch gar nicht mehr so furchtbar aus?
Trotzdem fand ich mein Leben öde – doofe kleine Wohnung, peploser Job (Werbung hatte eben doch mehr Glamour), kein Liebhaber, weil Tom einen Geschmack hatte wie ein Pferd, die Bullen im Genick, weil eine Tussi umgebracht worden war, mit der ich gerade mal einen Satz gewechselt hatte. Und von Idioten umzingelt. Wenigstens konnte es kaum noch schlimmer werden, fand ich, als ich endlich in mein immerhin frisch bezogenes Bett kroch und das Licht löschte. Um sieben Uhr musste ich antreten, also sollte ich um halb sechs spätestens aufstehen – bitter! Da war´s ja noch total dunkel! Aber wenn ich gleich am ersten Tag verpennte, war ich den Job schneller wieder los, als mir lieb sein konnte. Los jetzt, schnell einschlafen, es war ohnehin schon fast elf – nur noch sechseinhalb Stunden... Ich fühlte mich sehr ausgebeutet, wie ich mit fest geschlossenen Augen dalag und natürlich länger warten musste, bis ich endlich wegpennte.
9: Donnerstag, 13. Februar 2003
Wenigstens war ich pünktlich angetreten, stellte ich, sehr zufrieden mit mir fest, als ich am nächsten Vormittag über eine riesige Palette gebückt dastand und die Kisten vorsichtig öffnete.
Knabbergebäck in Massen! Und weil es sich um ein Sonderangebot für die Sonderverkaufsfläche handelte ( Alles für Ihre Faschingsparty !), musste auch jede Tüte ausgezeichnet werden, mit einem giftgrünen Supersparpreis-Etikett, auf dem 1.19 € stand. Ich klickte mit der Preispistole, popelte ab und zu die verklebten Etiketten aus dem Schacht und schichtete die Chipstüten dann gefällig auf, zwischen die Luftschlangenrollen und die Sektflaschen. Pappnasen gab es hier auch und dazu den Hinweis, dass man alles für eine perfekte Verkleidung auf der Sonderfläche im dritten Stock fände.
Klick – klick – klick – und auspacken. Klick - klick – klick – und auspacken... Das ging ziemlich aufs Kreuz, stellte ich bald fest und richtete mich ächzend auf.
Ein richtiger Verkäufer, höchstens zwanzig, kam vorbei und musterte mein Kunstwerk. „Ja, okay, aber geht das nicht ein bisschen schneller? Wir haben noch mehr einzuräumen!“
„Wenn die Pistole nicht immer verkleben würde, ginge es wirklich etwas schneller“, monierte ich. Er nahm sie mir aus der Hand, untersuchte sie, sagte „Die ist völlig in Ordnung“, und drückte sie mir wieder in die Hand.
„Warum kleben dann die Etiketten immer im Schacht fest?“
„Halten Sie sie gerade“, riet er mir und ging weiter. Arrogantes Bürschlein. Gerade halten? Was sollte das nützen? Wütend klebte ich weiter. Kaum war ich damit fertig, wurde ich zum Obst geschickt, vergammeltes Zeug aussortieren. Wie sollte man dabei den strahlend weißen Kittel so strahlend weiß halten? Als ich fertig war, sah ich jedenfalls nicht mehr ganz so gepflegt aus wie am Morgen, und dabei war es noch nicht einmal Zeit für die Mittagspause.
Als nächstes Fünfminutenterrinen. Schön, die musste man nur einräumen!
Ich schleifte die leeren Kartons ins Lager zurück, wo man mir sofort einen Palettenwagen voller Milchprodukte zeigte.
Nach einem Rüffel, weil ich die fettarmen zu den normalen Joghurten hatte stellen wollen, ging ich wieder an die Arbeit – frierend. Vor der Kühlung war es frischer, als man sich träumen ließ, wenn man nur als Kunde davor stand, um nach zwei Bechern Kirschjoghurt zu suchen.
Leicht fröstelnd arbeitete ich weiter, zeigte ratlosen Kunden, wo die Butter, der Lieblingskäse und der fettfreie Quark (bäh!) standen und kam mir ungemein effizient und fleißig vor. Schließlich betrachtete ich mir mein Werk zufrieden. „Träumen Sie nicht! Im Lager stehen noch drei weitere Wagen!“, erklang eine barsche Stimme hinter mir und ich machte mich seufzend wieder auf den Weg ins Lager. Als die Mittagspause kam, war ich so müde, dass ich mir kaum noch vorstellen konnte, wie ich die drei Stunden am Nachmittag noch überstehen sollte. Hier konnte ich nicht einmal einkaufen und so Zeit sparen, um heute Abend ganz, ganz früh ins Bett zu gehen, denn hier war mir alles viel zu teuer. Im Billigmarkt kostete das meiste knapp die Hälfte.
Matt kaute ich an meiner Breze und stand dann mühsam wieder von dem umgedrehten Biertragerl auf, das im Pausenraum den Stuhl ersetzte. Taten mir die Füße weh! Ich schlurfte zurück zu den Paletten mit Pralinenschachteln, die ich für die Pause einfach stehen gelassen hatte, und begann, die Schachteln einzusortieren – die alten nach vorne, die neuen nach hinten, wie angeordnet.
Nach den Pralinen kamen Marmeladengläser, von denen mir noch beinahe eines runtergefallen wäre, dann wirklich eine Putzaktion, weil ein Kunde einen dieser ekligen Milchschläuche nicht richtig festgehalten hatte, dann Süßkram für die Wühltische vor den Kassen – die Kinderfallen -, Getränkedosen (erstaunlich, dass die sich nach Einführung des Dosenpfands immer noch verkauften), Nudeltüten und Fischkonserven.
Immerhin, gegen halb vier hatte ich fast alle Lieferungen eingeräumt (nun gut, ich war nicht die einzige Hilfskraft hier), die Gänge zwischen den Regalen sahen ziemlich ordentlich aus, alle Kisten, Paletten und Drahtgeflechtwagen standen sauber aufgereiht im Lager und ich war nahezu tot.
Frau Zenker fand, ich müsste noch etwas flotter werden, aber für eine Anfängerin hätte ich mich schon ganz ordentlich gehalten, und schrieb mir die ersten acht Stunden auf. Ich sollte morgen wiederkommen und am Samstag auch, dafür könnte ich dienstags frei haben und mittwochs zwei Stunden früher gehen. Im März freilich käme eine fest angestellte Hilfskraft wieder, die im Moment nur im Krankenhaus läge, dann müsste man eben mal sehen...
Mein ganzes Leben wollte ich hier auch nicht verbringen! Vielleicht sollte ich zu Hause mal an einer neuen Bewerbung basteln. Aber ein Zeugnis hatte ich von MediAdvert auch noch nicht gekriegt. Ob die meinen Brief schon hatten? Gestern eingeworfen... sie konnten noch gar nicht reagiert haben.
Immerhin, Viertel vor vier, und ich war für heute schon fertig! Doch gar nicht so übel, oder? Auf kaputten Füßen schlich ich zum Bus und dann nach Hause, wo ich es mannhaft vermied, mich hinzusetzen – ich wäre ja nie mehr hochgekommen! – und sofort die Wäschetaschen und mein Kleingeld packte.
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