Alles frei erfunden!
ImprintFehlstart. Kriminalroman
Elisa Scheer
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
Copyright: © 2015 Elisa Scheer
ISBN 978-3-7375-6066-5
1: Dienstag, 11. Februar 2003
Als ich aufwachte, wusste ich sofort, dass ein perfekter Tag vor mir lag. Einen Moment lang räkelte ich mich mit geschlossenen Augen und genoss die Vorfreude – beruflich der Meistercoup, und privat: Vielleicht würde Tom mich heute fragen, ob wir nach der Arbeit etwas trinken gehen würden? Er war ja so süß! Und wir passten perfekt zusammen, fand ich – er war Schütze, und ich war Wassermann, er war rothaarig, ich war rothaarig (wie rothaarig würden dann erst unsere Kinder sein?), er war die idealen zwei Jahre älter als ich, achtundzwanzig seit dem letzten November, und er hatte keine blöden Hobbys wie Fußball oder Motorräder hochfrisieren... Sogar Geschmack hatte er, aber das war in der Werbung vielleicht nicht so ungewöhnlich.
Herrlich... mein erster Job, und gleich so eine wichtige Präsentation!
Verdammt still war es hier – wieso brabbelte denn der Radiowecker nicht vor sich hin? Ich hatte ihn doch auf sechs Uhr gestellt? War es noch zu früh? Wahrscheinlich, das musste die Vorfreude sein. Ich öffnete die Augen. Helles Tageslicht, ziemlich hell wenigstens.
Scheiße!! Es war zwanzig nach sieben! O Gott – um halb neun musste ich bei Hamm sein, um die Präsentation vorzubereiten! Ich schoss aus dem Bett, schlug mir den großen Zeh schmerzhaft an der Badezimmertür an und starrte in den Spiegel. Bravo!
Die Haare standen mir wüst zu Berge, die musste ich schnell noch waschen. Und da – ein Pickel unter dem Mundwinkel! Den konnte man abdecken, bis jetzt spürte ich ihn eher, als dass man ihn sehen konnte. O Gott, ich sah aus wie das sprichwörtliche Huhn unterm Schwanz! Omas grobe Sprüche...
In Eile wusch ich mir das Gesicht, putzte mir die Zähne, verkniff es mir, an dem Pickel herumzudrücken - der war noch nicht so weit - und sprang unter die Dusche. Mit tropfnassen Haaren fischte ich dann nach einem Handtuch. Äh, das war muffig. Und feucht von gestern, ich hätte es doch über die Heizung hängen sollen. Und ich hätte die Heizung hochdrehen sollen, es war saukalt hier. Bibbernd trocknete ich mich ab und versuchte, die nassen Zotteln auszukämmen.
Plötzlich knackte es und der Kamm zerbrach; eine Hälfte fiel in hohem Bogen ins Klo. Wieso machte ich auch nie den Deckel zu! Ich fischte sie angewidert heraus und schrubbte mir die Hände. Ersatzkamm... Ersatzkamm – nein, den hatte ich im letzten Urlaub verloren. Mit der übrigen Hälfte entwirrte ich meine langen, glatten Strähnen und föhnte sie ein bisschen an. Zehn nach halb acht. Ich hatte mir das Kostüm doch gestern herausgehängt, oder?
Nein, ich hatte es mir heraushängen wollen und es dann doch vergessen. Ich stolperte über herumliegende Kleider, Zeitschriften, Bücher und zwei abgegessene Teller ins Zimmer zurück und riss die Schranktüren auf. Immerhin, da hing es ja, korrekter grauer Wollstoff. Mäßig schick, aber so viel Geld konnte ich auch wieder nicht ausgeben. Und dazu... das grau-weiß gestreifte T-Shirt?
Ich suchte es. Ich fand es auch. Und der Erdbeermarmeladenfleck war in der Wäsche nicht wirklich rausgegangen, merkte ich jetzt. Mist! Vielleicht das himbeerrote? Nein, das biss sich mit meinen roten Haaren, es war ein Fehlkauf, eindeutig.
Das blassgelbe... ja, gute Idee. Bloß – wo war es? Ich blätterte den Stapel T-Shirts durch und wurde fündig. Leider auf dem Schrankboden. Zerknüllt und muffig, das hatte ich schon mal angehabt. Der Rest passte nicht zum Kostüm oder war total ungebügelt. Also doch das gestreifte. Die Jacke musste dann eben zubleiben. Zehn vor acht. Wäsche... Strumpfhosen – Laufmasche. Mein Traumtag fing ja wirklich toll an, es konnte nur noch besser werden.
Ich fand eine andere, auch mit Laufmasche, aber ganz oben. Schnell kleckste ich farblosen Lack darauf und hoffte das Beste. Schwarze Pumps mit halbhohem Absatz... Tasche... Handy, Geld, Filofax, um professionell zu wirken...
Der linke Schuh saß irgendwie verdächtig locker, aber darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht mehr nehmen. Fünf vor acht, eine Viertelstunde brauchte ich mit dem Auto bis in die Zollinger MiniCity... Fönen! Und schminken!
Ich fönte meine Haare wenigstens vorne und band sie dann mit einer schwarz-silbernen Spange zurück. Gar nicht übel. Make up, Puder, etwas Kajal – verschmiert, Scheiße aber auch. Ich besserte den Kajal mit einem Ohrenstäbchen aus, wartete, bis meine Augen nicht mehr tränten, und tuschte mir rasch die Wimpern. Lippenstift, Parfum, Autoschlüssel. Halt, Mantel an!
Und schnell gehen durfte ich auch nicht, draußen war es mal wieder glatt und verschneit. Ich stakste in den Hof, fegte den Neuschnee vom Wagen und stieg ein. Wenigstens lagen die Poster, die Mappe mit der Präsentations-CD und die Tüte mit den Demoverpackungen noch brav auf dem Rücksitz. Ich schnallte mich an und drehte den Zündschlüssel. Nichts. Noch mal.
Wieder nichts. Und es klang sehr nach sterbendem Schwan. Fünf nach acht!
Also wieder raus aus dem Auto, das Material gerafft, das Handy gegriffen.
Ja, die Taxizentrale würde einen Wagen schicken. Rheinbergerstraße 17, sie hatten verstanden. In zehn Minuten.
Das wurde knapp. Ich stellte mich mit dem rutschenden Kram an die Straße und hielt fieberhaft Ausschau nach dem Taxi. Schnell, Mensch!
Und jetzt begann es auch noch zu schneien! Wütend warf ich das Handy in die Tasche zurück und versuchte, die Poster vor dem Nasswerden zu schützen – aber wenn ich sie unter meinen Mantel steckte, verknitterten sie – wie sah denn das aus! Endlich, das Taxi!
Ich ließ mich auf den Rücksitz fallen, verknitterte dabei die Poster nun doch und stieß die Adresse hervor. Hier drin musste einer eine ganz, ganz billige Zigarre geraucht haben, es stank erbärmlich. Und es war heiß. Ich spürte förmlich, wie sich mein frisches Make up wieder auflöste.
Immerhin, um fünf nach halb rannte ich schleudernd auf den Haupteingang der Hamm KG zu. Tom wartete schon in der Halle, und von seinem üblichen sonnigen Lächeln war nichts zu sehen. „Wo bleibst du denn?“, zischte er.
„Auto hat versagt“, keuchte ich. „Komm, bauen wir auf!“
Wir rannten in den zweiten Stück, wo sich, wie man uns mitgeteilt hatte, der Präsentationsraum befand. Noch niemand da, wenigstens etwas. Nur die Geräte standen herum. Laptop, Beamer, nichts verkabelt, nichts aufgebaut.
„Du machst die Präsentation“, sagte Tom plötzlich, als ich noch versuchte, die feuchten Poster zu glätten. „Wir müssen so toll sein, dass sie die anderen gar nicht mehr zu Kenntnis nehmen. Eine irre Chance, dass wir die ersten sind.“
„Wir haben doch auch ein irres Konzept“, antwortete ich und packte unseren Kram aus. „Gibt´s hier kein Verlängerungskabel? Und wieso kannst du das nicht machen?“
„Ich bin heute nicht richtig konzentriert. Die Macht der Liebe...“ Er grinste entzückend. Ich lächelte zurück. „Meinst du, mir geht es anders?“
„Sie ist so zauberhaft“, murmelte er und reichte mir ein Verlängerungskabel, das er unter dem Konferenztisch entdeckt hatte. Sie? Da hatte ich mich ja wohl verhört!
„Von wem sprichst du?“, fragte ich kokett und wartete darauf, dass er sagte Na, von dir natürlich. Ich führe schon Selbstgespräche, so verknallt bin ich .
„Von Carla. Ist sie nicht wunderschön?“
„Welche Carla?“, fragte ich mit tauben Lippen und rückte den Laptop zurecht, bevor ich ihn hochfuhr.
„Die kennst du doch, diese schnuckelige Schwarzhaarige, die am ersten in der Finanzabteilung angefangen hat. Die mit den grünen Kulleraugen.“
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