1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Spät abends klingelte das Telefon. Ob ich auch ein handschriftliches Manuskript abtippen könnte? Etwa sechshundert Seiten? „Eine Dissertation?“, fragte ich geschäftsmäßig zurück.
„Nein, äh – einen Roman.“ Anscheinend ein Erstlingswerk, so verlegen klang die Stimme am anderen Ende.
„Kein Problem. Ohne Fußnoten geht das ohnehin schneller. Das kommt dann auf zwei Euro pro getippte Seite. Wollen Sie das Manuskript selbst vorbeibringen oder mit Citykurier schicken?“
„Ich bringe es Ihnen morgen früh vorbei, wenn es sie nicht stört, so am Sonntag...“
„Nein, ich habe morgen gut Zeit, damit anzufangen.“
Gut, das konnten rund 200 Euro sein, je nachdem, wie arg er gekritzelt hatte. So ein schüchternes Stimmchen – der traute seinem Herzenserguss wohl keine allzu große Qualität zu? Mir konnte es egal sein, er bekam seinen Ausdruck und zwei CDs, dazu die Rechnung. Die Suche nach einem Verlag war dann sein Problem!
Als ich schon fast im Bett lag – herrlich, alleine, ohne Paul, der sich im Dunklen hastig auf mir abarbeitete – klingelte das Telefon schon wieder. Gundula, die Krimis aus dem Amerikanischen übersetzte. Sie sei spät dran, das Manuskript müsse am Freitag beim Verlag sein, und sie habe zur Zeit solche Rückenschmerzen, dass sie nur im Liegen mit der Hand schreiben könne – rund dreihundert Seiten, könnte ich das noch schaffen?
„Klar doch. Bring es mir morgen früh vorbei, ich fange gleich an.“
Sechs Seiten pro Stunde schaffte ich locker, wenn ich mich beeilte, sogar noch mehr. Das würde eine harte Woche! Gundula hatte auch jedes Mal eine andere Begründung dafür, dass sie ihre Übersetzungen nicht selbst tippte! Warum sagte sie nicht einfach die Wahrheit? Ich komme mit meinem Computer nicht zurecht? Rückenschmerzen waren jedenfalls neu. Zufrieden vergrub ich den Kopf im Kissen, das noch leicht nach Pauls Seife duftete, und beschloss, in der kommenden Woche das Geld nur so zu scheffeln und außerdem Kontakt zu Heide aufzunehmen. Wenn sie schon dermaßen oberschlau war, sollte sie mich ruhig beraten!
Tatsächlich tauchte Gundula am Sonntagmorgen um halb sieben auf; ich nahm gähnend, mit verstrubbeltem Haar und schlampig zugebundenem Morgenrock ihre Kladde entgegen und warf einen flüchtigen Blick hinein. Ziemlich lesbar. Ich versprach ihr, sie könne es am Donnerstagabend wieder abholen, obwohl mir dabei selbst etwas mulmig wurde. Andererseits würde intensivste Arbeit mich von dem fruchtlosen Nachdenken über Paul abhalten...
Ich hatte schon eine Datei eingerichtet und die ersten dreieinhalb Seiten getippt, geduscht und mich angezogen (Jogginghose und ausgeleiertes T-Shirt, wozu war Sonntag), einen etwas ältlichen Müsliriegel verdrückt und die Wohnung flüchtig aufgeräumt, als es um acht wieder klingelte.
Durch den Spion sah ich mir völlig unbekannten Mann, etwas über mittelgroß, dünn, schwere Hornbrille, starker Adamsapfel, das Hemd bis zum Kragen geschlossen, aber ohne Krawatte, etwas, was ich als Gipfel des schlechten Geschmacks empfand. Ich öffnete mit vorgelegter Kette, der Typ sah aus, als wollte er mir den Wachturm andrehen oder Blindenware verkaufen. Hausierer und die Zeugen Jehovas kamen hier gerne am Sonntagmorgen und wunderten sich dann über die fehlende Begeisterung. „Guten Tag – äh – ich bringe das Manuskript. Soll ich gleich etwas bezahlen?“
Ich bat ihn erleichtert herein. Er überreichte mir einen zerfledderten Schnellhefter, zahlte hundert Euro an, füllte ein Auftragsformular aus (schließlich kannte ich ihn ja noch gar nicht), stotterte noch ein bisschen herum und schlich dann wieder davon. Na, das konnte ja ein langweiliger Text sein! Aus dem Tagebuch eines Schneckensammlers oder so... Er sah nicht aus, als könnte er sich irgendwelche aufregenden Geschichten ausdenken.
Ich packte den Schnellhefter auf den Schreibtisch und setzte mich wieder an Gundulas Übersetzung. Bis zum Abend hatte ich immerhin über hundert Seiten geschafft und schon einmal einen neugierigen Blick in den Schnellhefter geworfen. Offenbar eine recht tempoarme Liebesgeschichte! Als am Montag der Kurier alle fertigen Aufträge abgeholt und mehrere neue gebracht hatte, war ich bei Gundulas Manuskript schon fast in der Mitte angekommen und sehr zufrieden mit mir. Ich sah die Neueingänge schnell durch, erledigte zwei kleinere Arbeiten sofort und legte sie wieder in den Ausgang (der Kurier kam nachmittags noch einmal), kochte mir ein Süppchen aus der Tüte und tippte verbissen weiter.
Schön, dass der Laden so gut lief, aber etwas langweilig war mir schon, immer nur fieberhaft tippen, immer alleine dasitzen... Mein Leben lang wollte ich das auch nicht machen! Damit war ich wieder mal bei Paul angekommen und beschloss, mir eine Stunde Mittagspause auf dem Balkon zu gönnen, die Sonne schien gerade so angenehm. Paul... Mein Leben lang mit der Bohnermaschine herumfahren – war das mein Traum? Auch nicht! Ich musste ihn unbedingt umerziehen, das klappte bestimmt, egal, was Anna sagte. Gut, vorgestern hatte ich noch keinen Erfolg gehabt, aber ich musste mir nur eine bessere Methode ausdenken... Nicht jetzt, es war zu warm zum Denken. Ich setzte den Walkman auf und zündete mir eine Zigarette an. Herrlich war es hier draußen! Ich könnte mich richtig bräunen, auch wenn Paul mir daraufhin Heides Warnungen vor Hautkrebs ausrichten ließe. Gegenüber hörte man heftiges Geräume. Ich schob die Sonnenbrille ein bisschen beiseite und linste hinüber. Ach, Knackarsch baute seinen Liegestuhl auf. Niedlich! In Badeshorts kam sein Rücken besonders gut zur Geltung. Ich betrachtete ihn eine Zeitlang unauffällig und widmete mich dann wieder meinem Roman. Schließlich war die Stunde vorbei, die ich mir gesetzt hatte, und nicht ohne Bedauern kehrte ich mit sanft geröteten Armen wieder an meine Tastatur zurück. Ohne den engen Abgabetermin hätte ich vielleicht geschwächelt, aber Gundula würde mich erwürgen, wenn ich am Donnerstagabend nicht fertig war. Der Typ von gegenüber sonnte sich den ganzen Nachmittag, bis sein Ostbalkon endgültig im Schatten lag. Auf meinen knallte natürlich immer noch die Sonne, aber ich hämmerte stur weiter auf die Tasten ein. Bei Seite 204 machte ich Schluss und legte eine neue Datei für den Stotterer an.
Der Roman begann wirklich sterbenslangweilig, und ich war in Versuchung, am Rand eine Spalte mit Hinweisen anzubringen, wo er kürzen, raffen und sich kräftiger ausdrücken sollte. Andererseits ging mich das nichts an, seine Lektorin war ich nicht, und so tippte ich die eher öden Szenen kommentarlos ab. Abends schuftete ich mich noch eine Stunde im Fitnesscenter ab – wenn man den ganzen Tag nur am Schreibtisch gesessen hatte, tat das richtig gut. Danach eine heiße Dusche und ab ins Bett!
Der Dienstag war ebenfalls strahlend schön. Bis die Sonne am frühen Nachmittag auf meinen Balkon schien, hatte ich Gundulas Übersetzung tatsächlich fertig – neuer Rekord, so viel hatte ich noch nie in so kurzer Zeit geschafft. Andererseits passte bei zwölf Punkt und eineinhalbzeiligem Abstand nicht besonders viel auf eine Seite, und die dreihundert Seiten, von denen sie gesprochen hatte, kamen nicht annähernd zusammen, genau genommen waren es nur 278. Erleichtert druckte ich die letzten zwanzig Seiten aus, legte den ganzen Stapel in eine frische Mappe, zog den Text zweimal auf CD, packte sie dazu, legte die Rechnung bei und schob alles beiseite. Erst den täglichen Kleinkram, wieder Mahnschreiben, zwei Prospekttexte, für die ein Layout zu entwerfen war, eine kurze, aber kniffelige Seminararbeit, die fast nur aus Fußnoten bestand...
Ich müsste mal in die Stadt, beschloss ich, ich hatte fast keine Hüllen und keine CDs mehr. Die CDs kosteten höchstens zwanzig Cent pro Stück, aber ich stellte sie, hübsch beschriftet, den Kunden mit einem Euro in Rechnung: Bis jetzt hatte keiner protestiert. Erst noch eine Stunde sonnen und die nächsten zehn Seiten des faden Romans tippen, nahm ich mir vor, dann könnte ich mich aufmachen. Und auf dem Rückweg vielleicht wirklich mal die Kiste durch die Waschanlage fahren, um Paul eine Freude zu machen...
Читать дальше