Ich nickte lächelnd. „Ich weiß doch, was du magst! Setz dich ruhig schon!“
Beim Essen wartete ich, bis sich bei ihm erste Sättigung und Zufriedenheit eingestellt hatten, und fragte dann besonders teilnehmend nach seiner Arbeit. Paul blühte sofort auf.
„Der Aufsichtsrat hat uns heute speziell gelobt, für unsere gute Arbeit mit den Chipkarten für das Datenzentrum. Heides gute Ideen! Ich wüsste gar nicht, was ich ohne sie täte.“
„Welche Position hat Heide in eurer Abteilung eigentlich inne?“, fragte ich, ein Stück Knödel auf der Gabel, und betete innerlich, dass er mir das nicht schon mehrmals erläutert hatte. Offenbar nicht, was mich direkt erstaunte, denn er gab eifrig Auskunft. „Heide ist meine persönliche Assistentin, und zwar die beste, die ich je hatte. Weißt du noch, diese Angela, die vor einem Jahr plötzlich ein Kind gekriegt hatte? Ganz schön rücksichtslos!“
„Warum? Du willst doch auch nicht, dass ich arbeite, wenn wir Kinder haben, oder?“
„Aber du wirst doch nicht warten, bis schon ein Baby unterwegs ist, und dann einfach aufhören, egal, ob es der Firma schadet oder nicht, Mäusle! Du wirst bei einer für deine Firma geeigneten Gelegenheit möglichst kurz nach unserer Hochzeit aufhören und vorher, wie es sich gehört, deine Nachfolgerin einarbeiten. Diese Angela hat plötzlich aufgehört, angeblich wegen des Mutterschaftsurlaubs, und dann wollte sie doch glatt eine Teilzeitstelle haben. Da habe ich aber Protest eingelegt!“
„Sie ist in Erziehungsurlaub gegangen? Aber dann muss sie doch schon hochschwanger gewesen sein! Und das ist dir nicht weiter aufgefallen?“
„Ach, Mäusle, ich bin doch ein Mann!“
Ach was, dachte ich rebellisch und legte erwartungsvoll den Kopf schief.
„Woher soll ich wissen, wann es bei einer werdenden Mutter so weit ist? Mich hat sie jedenfalls überrascht.“
“Und was hattest du gegen eine Teilzeitkraft?“
„Ich finde, man muss sich entscheiden, Familie oder Arbeit. So ist das doch nichts Halbes und nichts Ganzes.“
„Du meinst, frau muss sich entscheiden? Männer betrifft das doch gar nicht? Die können doch beides haben.“
„Ja, sicher – aber sag mal, Xenia, was hast du denn heute? Du widersprichst mir heute dauernd. Hast du dich über irgendetwas geärgert?“
„Nein, ich frage doch nur nach. Aber ein bisschen unfair ist das schon. Du wirst erfolgreicher Abteilungsleiter und Familienvater sein, und mir bleibt nur der Abwasch, weil ich mich ja entscheiden muss. Wer sagt das eigentlich?“
„Aber Mäusle, so ist nun mal das Leben. Ich kann dir das Kinderkriegen doch nicht abnehmen, das hat Mutter Natur eben so eingerichtet!“ Er lächelte mir nachsichtig zu, während er seinem Gurkensalat den Garaus machte.
„Das Kinderkriegen, ja, aber das Kinderaufziehen könntest du mir theoretisch schon abnehmen, nicht?“, antwortete ich leichthin und sammelte das Geschirr ein. Als ich mit dem Dessert zurückkam, saß Paul immer noch mit versteinertem Gesicht da und dachte offenbar über meine letzte Bemerkung nach. Geistesabwesend löffelte er Eis und Cassis-Sauce, ohne zu bemerken, dass er diese Sauce noch nie gegessen hatte.
„Meinst du das jetzt ernst? Du willst weiterarbeiten? Was ist bloß los mit dir, Xenia? Wir waren uns doch immer einig!“
„Ich weiß nicht, ob ich das wirklich will. Aber du solltest nicht alles so selbstverständlich nehmen! Und einig – ich habe mich wohl einfach gefügt.“
Paul sah mich misstrauisch an und schien zu überlegen, ob er darauf eingehen oder meine Zickigkeit einfach ignorieren sollte. Er entschied sich für Letzteres, denn er wechselte das Thema.
„Bei dir ist ein Knopf aufgegangen.“
Ich tat so, als sei ich überrascht, machte aber keine Anstalten, das T-Shirt weiter zuzuknöpfen. Paul schüttelte leicht den Kopf und aß sein Dessert auf, ohne den Geschmack irgendwie zu kommentieren. Ich räumte ab, während er den Fernseher einschaltete und die Weingläser zum Sofa trug. Alles wie immer! Als ich neben ihn rutschte, warf er mir einen kurzen Blick zu. „Du bist heute seltsam. Und der Knopf ist ja immer noch auf!“
„Stört dich das? So sieht man doch die schöne Spitze viel besser!“ Ich zog den Ausschnitt ein bisschen auseinander, um Paul meine Neuerwerbung zu zeigen. Erwartet hatte ich ein lüsternes Funkeln, denn meine runden Brüste sahen in der dunkelblauen Spitze wirklich verlockend aus, fand ich, aber Paul funktionierte nicht wie im Werbespot.
„Xenia, was soll das? Und warum gibst du unnütz Geld für solchen Schnickschnack aus?“
„Schöne Wäsche ist doch nicht unnütz“, murrte ich neben ihm und knöpfte mich frustriert wieder zu.
„Doch, weil sie ja nie jemand sieht. Jetzt lass das mal, ich möchte den Krimi sehen.“
Während Paul fasziniert die Handlung verfolgte – ich kannte auch diesen Fall schon – saß ich verstockt neben ihm und überlegte, ob ich ihm den Spaß verderben sollte. Er nahm meine Reize nicht wahr! Er war total altmodisch! Er nahm mich nicht ernst! Ich steigerte mich langsam in echte Wut hinein, Wut, die mich mittendrin sagen ließ „Der harmlose Nachbar war´s, weil er in die Tochter verknallt war.“
Damit verschwand ich in der Küche, wo ich die Spülmaschine ziemlich lautstark ausräumte. Paul kam nicht hinterher, sondern starrte verbissen weiter auf den Bildschirm, wie mir meine gelegentlichen Kontrollblicke verrieten. Jetzt war er eingeschnappt!
Als in der Küche beim besten Willen nichts mehr zu tun war, kehrte ich notgedrungen ins Wohnzimmer zurück. Der Krimi war zu Ende, und Paul hatte schon zu seiner Wissenschaftsserie gezappt. Er wollte also nicht darüber reden?
Ich ertrug brav die Sendung und hoffte darauf, dass er wenigstens hinterher etwas zu sagen hatte. Tatsächlich, er schaltete den Fernseher aus und wandte sich mir zu.
„Warum bist du heute so komisch? Fühlst du dich nicht gut?“
„Doch, ich fühle mich prima. Aber ich finde, wir sind zu festgefahren. Wir machen immer das Gleiche. Langweilt dich das nicht?“
„Warum sollte es? Ich finde das beruhigend. Und ich dachte, du empfindest das genauso!“
„Ja, bis jetzt vielleicht schon, aber ach, ich weiß auch nicht – heute nervt mich das ein bisschen. Ich glaube, du legst die Regeln ganz alleine fest.“
„Was willst du eigentlich?“
Ich seufzte. Er verstand offenbar gar nichts. „Dass wir auch einmal machen, was ich möchte. Und auch mal was anderes!“
„Zum Beispiel?“
„Dass wir vielleicht mal ins Kino gehen, am Freitag. Dass wir uns vielleicht auch mal an einem anderen Tag treffen. Dass du meine Spitzenwäsche schön findest. Dass du nicht als selbstverständlich annimmst, dass ich mein ganzes Leben zu Hause verbringen werde. Für den Anfang war´s das.“
Ich sah ihn gespannt an. Paul setzte sich aufrecht hin und räusperte sich, dann hob er die linke Hand, um seine Argumente herzuzählen. Alter Oberlehrer, dachte ich mir ärgerlich.
„Erstens. Nach der Arbeit bin ich müde, und es ist mein letzter Wunsch, von einer Menge Leute umgeben Popcorngeraschel zu hören und diese Filme zu sehen – alles nur Sex und Gewalt.“
„Es gibt auch andere Filme. Und Filmkunstkinos, da gibt´s kein Popcorn“, wandte ich ein, aber er wischte das beiseite.
„Zweitens. Unter der Woche muss ich früh schlafen gehen, um am nächsten Morgen für die Arbeit frisch zu sein. Heide sagt auch, dass man mindestens acht Stunden schlafen sollte. Und den Samstagabend willst du ja wohl nicht im Ernst vorschlagen, du weißt doch, dass ich da meine Eltern besuche. Oder gönnst du ihnen das nicht? Ich dachte, du magst meine Eltern?“
„Sicher mag ich sie“, verteidigte ich mich, „ich kenne sie zwar nicht so gut, aber sie sind nett. Warum greifst du mich gleich an? Wir könnten doch mal unter der Woche nach deiner Arbeit kurz in ein Café gehen, oder ein bisschen bummeln, oder am Sonntagnachmittag irgendwo hinfahren?“
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