„Dann erklär´s mir! Ich verstehe wirklich nicht, was dir an Paul gefällt. Sicher, er ist ein herzensguter Kerl “
„Eben! Und er ist zuverlässig!“
„Ich finde, Zuverlässigkeit wird überschätzt“, behauptete Anna und trank ihr Glas nachdrücklich aus.
„Finde ich nicht. Schau, du bist in einer braven Familie aufgewachsen, alle haben dich behütet und sich um dich gekümmert, deshalb brauchst du das jetzt wohl nicht mehr. Ich brauche es noch, und Paul kann es mir geben. Mir ist das wichtiger als Spannung!“
„Warum brauchst du das noch? Wegen deiner Eltern?“
Ich brummte zustimmend. Anna kannte die Geschichte doch! Meine Eltern waren reizend gewesen, aber sehr unbeständig. Vielleicht waren sie auch zu jung gewesen, als ich auf die Welt kam, beide noch nicht einmal zwanzig. Wenn sie da waren, kümmerten sie sich intensiv um mich, aber sie waren oft nicht da, sie reisten zu gerne, und immer in Gegenden, die sich für ein kleines Mädchen nicht eigneten, in den australischen outback, nach Indien (letzte Nachwehen des Hippietums), zum Mardi gras nach New Orleans... Also wurde ich bei Mamas Eltern abgestellt, bei Freunden oder bei Nachbarn, und in den frühen Jahren fühlte ich mich dann immer sehr verlassen, ich konnte nicht glauben, dass sie wiederkämen, und überlegte verzweifelt, was ich falsch gemacht haben könnte, um sie zu vertreiben. Mit elf hatte ich mich an die Situation gewöhnt und war nun sicher, dass sie zurückkämen. Und dann kamen sie tatsächlich nicht mehr zurück – eine Hängebrücke im Regenwald war offenbar doch morscher gewesen, als sie aussah.
Ich blieb bei meiner Großmutter, bis ich volljährig war, dann legte ich das Geld aus der (ungewohnt bürgerlich abgeschlossenen) Lebensversicherung krisenfest an und zog in eine eigene kleine Wohnung, fest entschlossen, emotional nie wieder von einem Menschen abhängig zu sein. Sie machten sich ja doch alle aus dem Staub! Als meine Großmutter vor drei Jahren gestorben war, war dieses Gefühl wieder sehr stark geworden. Ich kannte auch nur zwei Sorten Menschen: brave, zuverlässige, ein bisschen langweilige, wie Paul, und die schillernden Persönlichkeiten, die Sachen sagten wie Morgen? Morgen kann ich nicht, ich habe gerade beschlossen, ein halbes Jahr durch Thailand zu trampen, um mich selbst zu finden. Verstehst du doch, ja? Da konnte man nur nicken und den Betreffenden im Geiste abhaken. Und wieder hatte ich es nicht geschafft, jemanden festzuhalten! Paul dagegen blieb, auf ihn konnte ich mich verlassen, und das war mir mehr wert als alle Spontaneität. Nur Anna war spontan und blieb bei mir – aber bei Freundinnen war das ja etwas anderes.
„Ach, Anna, du kennst mich doch! Und bei Paul weiß ich doch, woran ich bin.“
„Stimmt, ich kenne dich. Und deshalb bin ich auch sicher, dass dir dieses Leben auf die Dauer nicht genügen wird. Du langweilst dich doch jetzt schon, gib´s zu!“
„Ein bisschen“, bekannte ich ungern, „aber was soll ich machen? Diese Abenteuertypen verunsichern mich zu sehr. Und Paul ist wirklich ein lieber Mensch.“
„Zu lieb. Und zu festgefahren. Warum ist er eigentlich so? Waren seine Eltern auch so flippig wie deine?“
„Nein, die sind genau wie er. Aber er mag sie und wollte wohl genauso leben. Sonst würde er ja wohl kaum sein Leben in seinem alten Elternhaus verbringen wollen. Die Hütte ist das größte Handicap“, gestand ich, „ich finde sie scheußlich.“
„Aber Paul renoviert sie doch?“
„Ja, aber er stellt den Originalzustand wieder her, sie wird nicht modernisiert. Wenn er fertig ist, haben wir ein Museum der sechziger Jahre. Und die Möbel sind so solide, die halten noch ewig. Deshalb gibt es auch keinen Grund, etwas Neues zu kaufen. Das Schlimmste sind die schwachen Stromleitungen. Für Spülmaschine und Trockner wird das nicht reichen, vom Platz ganz zu schweigen. Aber Paul findet ohnehin, dass die Wäsche im Trockner kaputtgeht und von Hand gespültes Geschirr schöner glänzt.“
Ich verstummte ärgerlich. Das hatte ich Anna gar nicht erzählen wollen, es war ja Wasser auf ihre Mühle!
„Also Paul ist manchmal schon schräg drauf, finde ich. Aber du musst wissen, was du willst. Ein Leben ohne Spülmaschine! Oder will er den Abwasch machen?“
„Aber nein! Wenn ich mich um die Kinder kümmere, muss ich doch ohnehin zu Hause bleiben, dann fällt auch das Abspülen in mein Ressort. Das haben wir schon festgelegt.“
„Du meinst, er hat das festgelegt? Bist du eigentlich
sicher, dass er wirklich so anhänglich ist? Vielleicht bleibt er vor allem bei dir, weil du dir wirklich alles gefallen lässt?“
„Glaubst du echt?“ Der Gedanke erschreckte mich etwas. „Weiß ich nicht. Könnte doch sein, oder? Du bist einfach die Idealfrau für ihn, du bist mit allem zufrieden. So etwas findet er doch nie wieder!“
„Du hältst mich für blöde, oder?“, fragte ich leise.
„In dieser Hinsicht schon etwas“, antwortete sie brutal. „Xenia, du bist jung, gescheit, hübsch. Kannst du nicht mehr vom Leben verlangen als einen Mann, der zuverlässiger ist als deine Eltern? Vielleicht brauchst du mal einen Psychologen, der dir hilft, deine Kindheit aufzuarbeiten.“
„Lass mich bloß damit zufrieden! Das hat mir Pauls Vorgänger schon vorgeschlagen, als er fand, dass ich mich zur Klette entwickelte.“
„In dieser Hinsicht hatte er vielleicht nicht Unrecht. Und möchtest du nicht wenigstens einmal im Leben einen guten Liebhaber haben?“
„Gibt´s das überhaupt? Du hast doch mal erzählt, Männer schaffen es eh nie, eine Frau wirklich zu befriedigen!“
„Das hab ich mal gesagt? Ich rede auch viel Schwachsinn, wenn der Tag lang ist... Natürlich gibt es Männer, die das können. Nicht alle, aber manche
eben schon. Wenn ich da an Gerd denke....“
„Ist das dein Neuer?“
Anna nickte versonnen, und ihre blauen Augen funkelten, offenbar erinnerte sie sich an eine unvergessliche Nacht. „Traumhaft, sag ich dir. Gut, in mancher Hinsicht ist er ein bisschen seltsam, aber im Bett...“
„Seltsam? Inwiefern?“ Anna hatte schon immer seltsame Typen angezogen, vielleicht weil sie so harmlos aussah mit ihren blauen Augen, ihren blonden Locken und ihrer Surf Girl-Ausstrahlung. Ich wirkte im Vergleich dazu mit dunklen Augen, lockigem, dunkelrotem Haar und der eher üppigen Figur wohl zu exotisch. Anna war Werbeplakat, ich war eher Gustav Klimt, hatten wir mal festgestellt.
„Ich kann es so genau noch nicht sagen. Im Bett ist er normal, nur eher besser, ansonsten – naja, er ist Vegetarier “
„Das warst du doch auch schon mal?“
„ steht auf Stummfilme, liebt Bergsteigen “
„Echt krank!“, spottete ich.
„ und will später mal auf einem Einödhof leben, ganz im Einklang mit der Natur.“
„Brr!“
„Könntest du mal aufhören, zu spotten?“
„Warum? Du nimmst über Paul doch auch kein Blatt vor den Mund! Darf ich das etwa nicht?“
Anna musste lachen. „Stimmt. Bist du bei Paul eigentlich auch so frech?“
„Nein, er versteht es nicht so ganz, wenn ich über etwas spotte. Ironie findet er destruktiv, er hat es gerne, wenn ich positiv bin und immer das Gute in allem sehe.“
„Mich juckt es schon, wenn das bloß höre“, murrte Anna, „kann man ihn nicht mal aus seiner spießigen Selbstzufriedenheit schütteln? Und jeden Freitagabend musst du selbst zu Ende bringen, was er angefangen hat?“
Ich nickte verlegen. „Hattest du überhaupt schon mal einen anständigen Orgasmus bei ihm?“
„Nein... Woran erkennt man eigentlich einen anständigen Orgasmus?“
Anna sah mich mit zusammengekniffenen Augen an und wedelte den Rauch ihrer Zigarette weg. „Wenn du es erlebst, weißt du´s. Beschreiben kann man das nicht! Ich werde mal nach einem wirklich guten Lover für dich Ausschau halten.“
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