1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 „Du bist reicher als ich.“
„Quatsch! Du hast doch das Häuschen, das muss mehr wert sein als diese Wohnung und das mickrige Depot.“
„Da liegt eine Hypothek drauf. Du bist reicher als ich. Würdest du mich dein Geld verwalten lassen?“
„Nein.“ Auch wenn er jetzt sauer wurde, aber das ging zu weit. „Ich kann das sehr gut selbst.“
„Das glaube ich nicht. Ich lasse mich regelmäßig beraten, in meiner Sparkassenfiliale, also bin ich immer aktuell informiert. Wer hat dir deine Anlagen empfohlen?“
„Niemand. Ich kann so was selbst beurteilen. Auch wenn es dich erstaunt, aber ich verstehe eine ganze Menge von der Börse. Meine Fonds haben sich in der Krise alle prima gehalten. Warum soll ich das nicht selbst machen, wenn ich es gut kann?“
„Weil ich dich beschützen möchte. Das ist doch meine Aufgabe!“
„Aber Paul, wovor denn schützen? Und wenn ich wirklich mal fix handeln muss, geht das via Internet ohnehin viel schneller. Du trabst doch immer noch brav zur Bank, um zu traden, oder?“
„Dieses Internet ist mir suspekt“, knurrte er, ließ sich aber nicht lange ablenken.
Das Dessert, Nusseis mit Aprikosensauce, schmeckte ihm zwar, aber den Schock hatte er noch nicht überwunden.
„Was ist die Wohnung wert?“
Ich zuckte die Achseln. „Die momentanen Immobilienpreise habe ich nicht so ganz im Kopf. Naja, ziemlich neu, zwei Zimmer, gute Lage, solide Bausubstanz, Balkon, Infrastruktur – ich schätze zwischen zweihundert und zweihundertfünfzig. Warum?“
„Das Geld sollten wir in Ausbildungsversicherungen für die Kinder investieren.“ Wie bitte?
„Ich will die Wohnung nicht verkaufen. Die kann man doch prima vermieten, und wenn die Kinder studieren, können sie hier wohnen.“
„Unsinn. Wir verkaufen sie, so bald wie möglich.“
Ich warf meinen Löffel klirrend in die Eisschüssel. „Paul, es reicht! Wieso wir? Ist dir klar, dass das meine Wohnung ist? Ich entscheide, ob sie verkauft wird! Ich laufe doch auch nicht rum und sage, wir verkaufen dein Häuschen!“
„Das ist ja wohl etwas anderes.“ Allmählich wurde er auch sauer. Ich erkannte, dass er heute versuchte, meine Unterwürfigkeit zu testen, und bis jetzt immer schmählich gescheitert war. „Das ist genau das Gleiche! Jeder kümmert sich um seinen Besitz, oder?“
„Du redest wie so eine grässliche Emanze. Als nächstes willst du noch Gütertrennung!“ „Natürlich! Was hätte ich von Gütergemeinschaft? Du verkaufst all meinen Besitz und ich darf nicht einmal den Boden in deinem Haus aussuchen, das ist ja auch nicht unser Haus!“
„Hochinteressant!“ Er schleuderte seine Serviette von sich. „Sei mal ganz ehrlich: Willst du mich überhaupt noch heiraten?“ Ich zögerte. Ehrlichkeit oder Takt? „Danke, alles klar!“ Paul stand so heftig auf, dass der Stuhl umkippte, holte seinen Wein aus der Küche, sah kurz auf die Uhr und verschwand grußlos. Ich kicherte hilflos, als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war. Wollte er gucken, ob er zum Krimi noch zurechtkam? Und dass er den Wein wieder mitnahm – das war wohl als Strafe für mich gedacht?
War es jetzt aus? Ich glaubte es nicht so recht, aber im Moment war es mir auch egal, weil ich so wütend auf ihn war. Ich überlegte, ob ich Anna anrufen sollte, um ihr alles brühwarm zu tratschen, aber als ich flüchtig aus dem Fenster sah, bemerkte ich, dass gegenüber wieder Licht brannte. Schnell löschte ich meine eigene Beleuchtung und stellte mich ans Fenster. Zuerst konnte ich nur den ungehinderten Blick in die Wohnung genießen, aber dann kam der gut aussehende Mieter ins Bild, heute in weißem Hemd und schwarzen Hosen, richtig schick, ein bisschen piratenmäßig. Im Licht der Deckenlampe schimmerten seine braunen Haare nahezu golden. Fasziniert betrachtete ich ihn. Wirklich, ein attraktiver Mann... Ob er eine Freundin hatte?
Er hatte.
Plötzlich streckte er die Hand aus und eine andere Hand legte sich hinein. Er zog sie zu sich, der Hand folgte eine Frau. Sehr blond, sehr braungebrannt, sehr schlank, in einem kurzen roten Kleid mit Carmen-Ausschnitt. Ich betrachtete sie missmutig, während sie von ihrem Gastgeber ein Glas Sekt entgegennahm. Die war schlanker als ich, eindeutig. Gut durchtrainiert, die Waden wirkten fest und wohlgeformt – und knackbraun. Sonnenstudio, dachte ich abfällig und staunte über mich selbst. War ich etwa neidisch? Ich kannte den Kerl doch gar nicht!
Sie stießen miteinander an, dann nahm er ihr das Glas aus der Hand und stellte es ab. Besser als Kino! Ich spürte den leisen Krampf im Bauch, der sich stets unmittelbar vor einer Liebesszene einstellte, den kleinen Gleich-küssen-sie-sich-Stich. Tatsächlich, sie küssten sich, und zwar nicht kameragerecht, sondern richtig leidenschaftlich. Das Gefühl in meinem Bauch verstärkte sich. Gott, wie peinlich – wurde ich jetzt etwa beim Zugucken erregt? Wie ein mieser Spanner... Aber den Blick abwenden konnte ich auch nicht.
Ich schenkte mir rasch ein Glas Wein ein, um dem Sekt drüben etwas entgegenzusetzen, und ließ den Blick dann nicht mehr vom Fenster. Die beiden küssten sich immer noch, er arbeitete sich langsam ihren Hals entlang und begann an dem Carmenausschnitt zu zerren.
Als der Ausschnitt über ihre makellos braunen Schultern glitt und er begann, ihre Schultern zu küssen, spürte ich meine eigene Erregung. Ich wusste, ich sollte sofort damit aufhören, die Vorhänge zuziehen, das Licht einschalten, vielleicht etwas arbeiten – aber ich war völlig unfähig, mich zu rühren, und starrte gebannt hinüber. Sie streiften sich gegenseitig die Oberteile ab – ach, dieser wunderschöne, kräftige Rücken – und pressten sich eng aneinander.
Als sie sich kurz voneinander lösten, konnte ich einen Blick auf ihren Busen werfen, und voll weiblicher Solidarität stellte ich tief befriedigt fest, dass er ziemlich hing. Meiner war hübscher, eindeutig, rund und fest. Während die beiden auf ein Sofa sanken und damit leider zum Teil aus meinem Blickfeld verschwanden, stellte ich zu meiner Beschämung fest, dass mein Atem schwer ging. Es fehlte nur noch, dass ich zum Vibrator griff. Wahrscheinlich bewahrte mich nur die Tatsache davor, dass ich gar keinen hatte.
Wenn gegenüber weiterhin so Spannendes zu sehen war, überlegte ich, schon wieder weniger verlegen, sollte ich mir vielleicht einmal einen anschaffen? Mit Paul war in dieser Hinsicht ja kaum zu rechnen! Ich konnte auch schlecht jetzt daherkommen und ihm sagen, dass er seit über einem Jahr alles falsch gemacht hatte – Übrigens, ich habe immer nur so getan als ob? So gemein war ich nun auch wieder nicht, und es gab auch ohne das noch genügend Streitpunkte. Ich warf einen letzten bedauernden Blick auf den Prachtrücken und den gelegentlich – ziemlich rhythmisch – auftauchenden festen kleinen Hintern und war überzeugt, dass die Sonnenbanktussi gegenüber es nicht nötig haben würde, ihren Höhepunkt vorzutäuschen und hinterher zur Selbsthilfe zu greifen. So einen Mann müsste man mal kennen lernen! Leider war der Typ von gegenüber ja schon vergeben...
Frustriert ging ich zu Bett. Nicht einmal Pauls schwache Vorstellung hatte ich heute gehabt, aber ich wollte ihn im Moment wirklich nicht mehr sehen. Was sollte jetzt werden? Ich dachte an Scarlett O´Hara und beschloss, morgen darüber nachzudenken.
Am Samstag sah ich nur eine Lösung: Anna anrufen. Ich jammerte ihr alles vor, was Paul an Unfassbarem gesagt hatte, und registrierte erst, als ich ihr unwilliges Grunzen hörte, dass es gerade mal Viertel vor sieben war. „Hab ich dich geweckt?“
„Was ist das für eine Frage? Guck doch mal auf die Uhr! Pass auf, wir treffen uns um zwölf im Salads und essen ordentlich zu Mittag, ja? Und dann erzählst du mir alles genau, jetzt kann ich der Sache noch nicht so ganz folgen...“ Der Hörer schien ihr aus der Hand zu fallen.
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