Na gut. Ich reagierte meinen Ärger also zuerst an dem zunehmend schrägeren Roman ab, aber nach einer ziemlich grausigen Szene mit Peitsche und heißem Kerzenwachs hatte ich davon auch wieder genug. Flüchtete der Stotterer sich in solche Phantasien, weil er im realen Leben keinen Erfolg hatte? Oder war das eine unzulässig biographische Interpretation? Dunkel erinnerte ich mich an ein Seminar über Autorenrollen (Nebenfach Germanistik), in dem wir vor solchen Deutungen gewarnt worden waren. Trotzdem, zunächst reichte es mir von diesem eigenartigen Text. Lieber schuftete ich mich eine halbe Stunde auf dem Stepper ab, man konnte nie genug Muskeln haben! Dabei fiel mir freilich wieder die Tatsache ein, dass die Sonnenstudiomaus gestern einen Hängebusen hatte – im Gegensatz zu mir. Das hob meine Laune, und ich trabte gleich noch zehn Minuten länger, bevor ich schweißgebadet wieder abstieg, mich in meine Wohnung verzog und erst einmal ausgiebig duschte.
Ich sauste durch die Wohnung und überlegte, was ich anziehen sollte; dabei fiel mir ein, dass ich meinem Nachbarn im Moment auch einen hübschen Anblick bieten könnte – wenn nicht die Sonne so gegen die Fenster schiene, dass er gar nichts sehen konnte. Sollte ich heute Abend leicht geschürzt Jazzgymnastik machen, um mich für die Aufmunterung gestern zu revanchieren? Albern, das kam ja gar nicht in Frage! Obwohl, irgendwie hatte ich direkt Lust, mich ihm zu zeigen... Und da konnte ich Anna nicht mal um Rat fragen, das war einfach zu peinlich!
Ich verdrängte diesen Gedanken, schlüpfte schnell in Jeans und TShirt, schnappte mir die Tasche mit Geld und Schlüsseln und machte mich auf zum Salads & More. Dann musste ich eben einen Umweg laufen, um nicht zu früh anzukommen, aber jetzt musste ich raus aus der Wohnung! Was könnte ich heute essen? Den Thunfischsalat? Den indischen Krabbencocktail? Den italienischen Gemüsesalat mit Parmesanbaguette? Mit diesen Überlegungen versuchte ich mich unterwegs abzulenken, aber leider kam ich am Wäschetraum vorbei. Im Fenster hing ein entzückendes Ensemble aus blassgrauer Seide mit schmalen schwarzen Spitzenkanten. Neunundsechzig Euro für BH und zwei Slips... Paul würde toben! Ich betrat den Laden und kam nach wenigen Minuten mit einem niedlichen Tütchen in der Tasche wieder heraus. Sollte ich das heute Abend...? Nein, nicht schon wieder diese unfeinen Gedanken! Andererseits fand ich mich durchaus sehenswert, wenn man nicht gerade auf den KateMossTyp stand. Ob der Typ überhaupt guckte? Oder war ich die einzige, die sabbernd durch fremde Fenster starrte? Wirklich beschämend!
Mit leicht gerötetem Gesicht betrat ich das Salads, und Anna war tatsächlich schon da. „Ich war so neugierig, was mit Paul schon wieder los ist, da bin ich etwas früher aufgebrochen“, erklärte sie mir, leicht verlegen, und winkte dem Kellner. Sobald wir vor unseren überquellenden Tellern saßen (und wieder war mir die Thunfischsauce in den Obstsalat gelaufen, man sollte eben nicht so gierig sein), begann Anna zu fragen.
„Was war denn jetzt so furchtbar? Ich meine, er ist doch immer der gleiche alte Langweiler, oder?“
„Nein! Dieses Mal war es viel ärger! Er ist sauer, dass ich mehr verdiene als er, dabei war das wahrscheinlich bloß diese Woche, und dann wollte er Verfügung über mein Geld, und meine Wohnung verkaufen, um die Ausbildung der Kinder zu sichern, und Spitzenwäsche findet er Geldverschwendung, und wenn ich einen Witz -“
„Hol doch mal Luft!“
Ich warf ihr einen zornigen Blick zu. „- mache, schnappt er ein, und im Bett ist er langweilig, und dann das Linoleum und die Bohnermaschine und überhaupt, ich hab keine Lust mehr. Ich weiß, den hab ich sicher bis an mein Lebensende, aber -“
„- das ist kein Versprechen, sondern eine Drohung?“ „Genau!“ Wenigstens Anna verstand mich!
„Und was soll ich jetzt machen?“
„Bist du sicher, dass du ihn los bist?“
„Naja, ich denke mal, er ist sauer, und wenn ich am nächsten Freitag einfach nicht da bin... Ich hab keine Lust auf eine Grundsatzdebatte, ich komme eh nicht gegen ihn an.“
„Wieso nicht? So intellektuell überlegen kommt er mir gar nicht vor, und du bist immerhin Akademikerin!“
„Er auch. Na warte, ich glaube, das ist ihm noch gar nicht aufgefallen – vielleicht bin ich ja ohnehin viel zu intellektuell verbildet, um seinen drei Kindern eine gute Mutter zu sein und mit der Bohnermaschine einfühlsam umzugehen! Nein, er nimmt mich einfach nicht ernst. Wenn ich zetere oder protestierte, denkt er immer, das vergeht wieder, und betrachtet mich nachsichtig. Und das macht mich so rasend, dass ich nicht mehr vernünftig argumentieren kann.“
Anna pickte sich heraus, was sie am meisten verblüffte. „Paul ist Akademiker? Ist mir bis jetzt ja nicht gerade aufgefallen! Was hat er studiert? Bürgerliches Idealverhalten?“
„BWL. Der Job ist vielleicht ein bisschen unter seinem Niveau, aber er scheint sich dort sehr wichtig zu fühlen. Wenn es ihn glücklich macht... und diese Heide scheint ihn ja zu vergöttern, aber das beruht offensichtlich auf Gegenseitigkeit. Sag mal, meinst du, es wäre sinnvoll, diese Heide mal kennenzulernen?“
„Willst du ihr ein günstiges Angebot machen?“
„Vielleicht. Wenn sie so ist, wie ich sie mir nach Pauls lähmenden Erzählungen vorstelle, müsste sie für ihn eigentlich ideal sein. Viel besser als ich!“
„Keine blöde Idee... Aber wie willst du an sie herankommen, ohne Paul sehen zu müssen?“
„Weiß ich nicht. Aber ich werde Paul sicher noch ab und zu sehen, nur nicht gerade nächsten Freitag, ich brauche wirklich mal ´ne Pause.“
„Und einen anständigen Lover, einen, der dir wirklich mal zeigt, wie es geht. Paul, diese Lusche!“
„Komm, lass mich in Frieden, ja? Bis jetzt waren alle Männer solche Luschen, ich glaube, es liegt an mir. Vielleicht brauche ich einfach zu lang. Ist doch auch nicht so wichtig.“
„Nicht wichtig? Xenia, du redest wirklich wie die Blinde von der Farbe! Wenn du jemals erlebt hättest, wie es mit einem wirklich talentierten Lover ist, dann würdest du nicht mehr solchen Schwachsinn reden, das verspreche ich dir!“
„Ich will keinen talentierten Lover, das klingt so nach Handwerker. Ich will jetzt erstmal meine Ruhe, und dann mal einen Mann, in den ich richtig verknallt bin.“
„Sag bloß, in Paul warst du nie verknallt?“
Ich hob die Schultern. „Ich bin mir nicht mehr so sicher. Vielleicht war es mehr Vertrauen und das Gefühl der Geborgenheit, Zuneigung und so. Mit Herzklopfen war da nicht viel.“
„Also von Anfang an wie nach zwanzig Jahren Ehe bei anderen Leuten?“
„Kann sein. Ich hab alles falsch gemacht, was?“ Anna schüttelte den Kopf. „Wieso du? Wieso alles? Und wieso falsch? Es gehören zwei dazu, eine Beziehung in den Sand zu setzen – ich sage nur: Bohnermaschine! Und bis jetzt war er doch das, was du gesucht hast, nur jetzt nicht mehr, und jetzt kannst du ihn wohl auch nicht mehr glücklich machen. Wir treiben Heide schon noch auf und hetzen sie ihm auf den Hals. Das wird ja eine Traumfamilie, voll die sechziger Jahre! Kennst du eigentlich Pleasantville?“
„Ja doch! Stimmt, so stelle ich mir Pauls Zukunft auch vor.“ Ich kicherte in meinen Spezi hinein und holte mir noch einen üppigen Salatteller, scheiß auf die schlanke Linie, ich konnte es ja wieder abtrainieren.
Wir überlegten, wie man an Heide herankommen könnte, ohne Paul aufzuscheuchen, und planten, was wir am Wochenende unternehmen könnten. Am frühen Nachmittag brach Anna auf, um ihren umwerfenden Gerd zu treffen (und wahrscheinlich ein paar heiße Stunden zu verbringen, dachte ich nicht ohne Neid), und ich kehrte, immer noch frustriert, nach Hause zurück. Gut, die neue Wäsche munterte mich ein wenig auf, aber ansonsten bot die Wohnung wenig Anregung – ich hatte die Wahl zwischen dem abwegigen Romanmanuskript, einem mehr als schäbigen Fernsehprogramm, einer CD, die ich mal fertig gucken sollte, die mich aber eigentlich nicht interessierte, zwei angelesenen, aber eher langweiligen Romanen und der Möglichkeit, den Kühlschrank abzutauen und gründlich zu putzen. Meine Verfassung wurde wohl am besten daran deutlich, dass ich mich zunächst für den Kühlschrank entschied und ihn danach hausfrauenmäßig stolz betrachtete. Danach gewann ich meinen Verstand aber zurück und trabte zum Bahnhof. Wochenende hin oder her, in der Bahnhofsbuchhandlung gab es sicher etwas mit Leidenschaft!
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