Ich wühlte mich durch meine Schubladen, bis ich den königsblauen Badeanzug gefunden hatte, packte ein Handtuch und den Roman von dem arroganten, aber insgeheim liebesbedürftigen Marquis ein und trabte über die Straße ins Helenenbad. Gut gefüllt, dafür, dass es erst seit diesem Wochenende wieder geöffnet hatte!
Unter der großen Trauerweide war leider schon alles belegt, dort trieb sich eine größere Clique herum, Leute etwa meines Alters, zum Teil mit Babys. Ich kannte keinen, hatte auf Kindergeschrei auch keine rechte Lust und verzog mich an die Hecke hinter dem Becken, wo man seine Ruhe hatte und auch bei Bedarf wenigstens Halbschatten fand. Immerhin war meine Pralinenwampe nicht mehr so beängstigend groß wie gestern, das Tanzen hatte offenbar etwas genutzt. Ich streckte mich aus und döste, später schwamm ich energisch durch das große Becken, briet dann ein bisschen in der Sonne, las die zu Herzen gehende Geschichte fasziniert zu Ende, döste wieder ein bisschen und stellte mir einen Mann wie den Marquis vor. Statt der hautengen Pantalons der Mode von 1816 natürlich genauso enge, wohl gefüllte Jeans... Die kurzen, schwarzen Locken konnten so bleiben... statt des Phaetons einen Audi TT oder einen netten Jaguar... Auf die Jagd musste er meinetwegen auch nicht gehen, lieber tanzen – oder Ski fahren... Gegen den immensen Reichtum war weiter nichts einzuwenden... Gemütlich... warm und wohlig....
Ich wachte wieder auf, als die Sonne schon ziemlich tief stand und ich im Schatten schon beinahe fröstelte. Schnell streifte ich Jeans und TShirt über und verließ das Bad wieder; im San Carlo nahm ich mir eine Tüte Eis mit und gönnte mir einen ausführlichen Schaufensterbummel. Jetzt musste ich ja nicht mehr für die Ausbildung der drei fiktiven Kinder sparen – wenn ich gut verdiente, konnte ich mir auch etwas gönnen!
Und ich wusste auch, was ich mir morgen gönnen wollte – eine neue Haarfarbe, am besten diesen Rouge-noir-Ton. Müsste mir doch stehen, überlegte ich vor einem spiegelblanken Schaufenster. Und die Haare ein bisschen kürzer!
Und da, im Jeansland gab es richtig gute T-Shirts – ein tolles Rosa! Weiße Jeans dazu? Oder war ich dafür zu dick? Blödsinn! Ich merkte sie mir für demnächst vor, mit dem erfreuten Gedanken an Pauls ärgerliches Gesicht, wenn er mich beim Einkaufen sehen könnte. Er hätte sicher gefunden, dass ein gut waschbarer Putzkittel und ein Flanellnachthemd für mich völlig ausreichten. Na gut, noch etwas weiße Baumwollwäsche und ein zweiter Kittel, zum Wechseln. Nicht mit mir, Paul!
Am Montag tippte ich rasch die letzten beiden Kapitel – die ätherische Blondine verschwand erbost, als sie dem guten Freund angeboten wurde, und der Held fand schließlich eine Seelenfreundin, die der Unterwerfung mehr abgewinnen konnte. Abblende, happy end. Sollte ich den Autor darauf hinweisen, dass das unlogisch war? Der Held hatte doch zuerst gar keinen Geschmack an freiwilliger Unterwerfung gefunden? Ach, was ging es mich an! Ich druckte den Rest aus, legte zwei CDs an, schrieb die Rechnung abzüglich Vorauszahlung und packte alles in eine meiner Mappen. Der Kurier brachte mir mehrere Kleinaufträge von Stammkunden und nahm den Roman gleich mit. Sehr gut, dann musste ich mir das Grinsen auch nicht verkneifen! Die Kleinaufträge waren alle furchtbar dringend, also arbeitete ich zügig weiter und verschob die Haarfärbeaktion auf Dienstag... Nachmittags wurde alles wieder abgeholt und der Kurier brachte das neueste Elaborat von Professor Gieffenbach. Er verfocht die These, dass die Italienpolitik der Sachsenkaiser völlig verfehlt war (wie ich mittlerweile wusste, war diese Debatte seit etwa 1875 überholt) und fand im Jahrbuch der Otto-Gesellschaft immer noch einen Platz für seine giftigen Aufsätze, in denen er längst verstorbene Kollegen mit Spott und Hohn übergoss und zu mehr wissenschaftlicher Sorgfalt aufforderte. Zu seinem Leidwesen verlangte das Jahrbuch, so hirnrissig es inhaltlich sein mochte, die Beiträge auf CD, und Gieffenbach, ein Gelehrter der alten Schule, schrieb noch mit der Hand, den spinnwebfeinen Zügen zufolge noch mit einem richtigen Federhalter.
Ich überschlug den Umfang: fünfunddreißig Seiten, mit Fußnoten – vielen, vielen Fußnoten. Getippt etwa sechzehn Seiten – naja, ein fünfunddreißig Euro. Ich ging sofort an die Arbeit und war bei Sonnenuntergang damit fertig. Damit musste ich insgesamt etwa dreihundert Euro verdient haben – für einen Tag wirklich nicht übel, allerdings hatte noch keiner wirklich bezahlt. Ich aß schnell eine Kleinigkeit – Pralinés konnte ich sobald nicht mehr sehen – warf mich in ein sexy Sportoutfit und begann wieder zu meiner CD zu tanzen. Schade, dass ich schlecht gucken konnte, ob er guckte! Obwohl – warum eigentlich nicht? Ich schlich mittendrin in die dunkle Küche und linste vorsichtig. Mit schien so, als sähe ich seine Silhouette am Fenster, aber das konnte ich mir auch einbilden, also tanzte ich munter weiter. Vielleicht kam ich so wenigstens zu einer noch knackigeren Figur! Und einen Ausgleich für das viele Sitzen brauchte ich schließlich auch...
Erst am Mittwoch kam ich nachmittags dazu, mir die Haare zu färben. Auf das Schneiden verzichtete ich, mir gefiel die Länge. Und in Rouge noir sahen sie noch besser aus,
frecher und auffälliger.
Ich musste sofort am Abend Anna treffen, um ihr meinen neuen Look vorzuführen. Sie war gerne bereit, mit mir ins Florian zu gehen, klang am Telefon aber verdächtig gedämpft. Gab es bei ihr doch Ärger im Paradies?
Ich brezelte mich sorgfältig auf, drückte dem Kurier, der heute reichlich spät kam, einen Stapel Mappen in die Hand und kontrollierte mein Konto – sehr gut, ein Drittel der offenen Rechnungen war mittlerweile bezahlt. Pünktlicher zahlte ich selbst meine Rechnungen ja auch nicht! Wirklich, ich kam sehr gut alleine zurecht, ich brauchte wirklich keinen Beschützer wie Paul, der dann nur alles besser wusste!
Im Florian saß Anna in der hintersten Ecke. Als ich ihr gegenüber auf die Bank rutschte, wusste ich gleich, warum sie sich hier versteckte – alles kalte Wasser und alles Make-up hatte gegen ihre dick verheulten Augen nichts ausrichten können. „Mensch, Anna, was ist denn passiert? Du siehst total fertig aus!“
Sie schluchzte auf. „Gerd ist verheiratet, das Schwein!“
Hm. Was sollte man dazu sagen?
„Hat er dir das gebeichtet oder bist du ihm auf die Schliche gekommen?“
„Teils, teils“, murrte sie. „Erst hatte ich schon einen Verdacht, er konnte am Wochenende immer nicht. Dann hab ich ihn mal verfolgt, bis in ein gepflegtes Eigenheim in Moosfeld, mit Roller und Kinderfahrrad im Garten. Das sagt ja wohl alles!“ Ein erneuter Schluchzer.
„Ich weiß nicht“, gab ich zu bedenken, „dort könnte er doch auch Freunde oder Verwandte besucht haben?“
„Hab ich mir auch überlegt. Ich bin ja nicht blöd, Xenia! Aber erstens stand an der Tür sein Name, zweitens stand im Telefonbuch unter dieser Adresse Gerd und Annika Bergmann – ich hätte mich schon wundern sollen, als er nur eine Handynummer hatte – und drittens habe ich ihn gefragt, da hat er es auch zugegeben.“
„So eine Ratte!“
„Und diese doofen Sprüche! Mit seiner Frau ist er nur noch wegen der Kinder zusammen, sie versteht ihn nicht “
„Das hat er wirklich gebracht? Das hat im alten Athen schon nicht mehr gezogen!“
„Hat er. Unverdrossen!“
„Unglaublich! Hat er wirklich geglaubt, damit kommt er durch?“
„Offensichtlich. Er hat die Arme ausgebreitet und geflötet! Ach Anna, das hat doch mit uns nichts zu tun. So toll wie mit dir war es mit Annika nie, da läuft doch seit Jahren nichts mehr.“
„Das heißt im Klartext wahrscheinlich, dass die gute Annika bald ein neues Kind kriegt. So ist es in einschlägigen Romanen jedenfalls immer. Was ärgert dich mehr, dass du auf den Kerl hereingefallen bist oder dass du ihn jetzt zum Teufel jagen musst?“
Читать дальше