Sie schenkte uns Wein nach und zündete sich eine Zigarette an. „Aber der nächste Kerl ist solo, darauf achte ich ganz streng. Wir sollten ein Detektivbüro aufmachen, das solche Kandidaten überprüft. Wäre sicher eine Marktlücke!“
„Au ja, und wir kommen ordentlich rum, wenn wir aushäusigen Kerlen durch die Bars und Discos nachschleichen. Tolle Idee! Und die wirklich hübschen reservieren für uns selbst!“
„Genau.“ Anna stand auf und zog ihr Sweatshirt zurecht, das das Wälzen auf dem Sofa etwas übel genommen hatte. „Apropos hübsch...“ Sie starrte aus dem Fenster. Ich reckte den Kopf. „Ja, das ist dieser Magnus. Vielleicht sollte ich ihm mal vorschlagen, Vorhänge anzubringen.“ Hatte das echt geklungen oder hatte Anna gemerkt, dass ich auch gerne ein bisschen geglotzt hätte? Sie warf mir einen spöttischen Blick zu. „Du guckst natürlich immer taktvoll weg, was?“ Das würdigte ich keiner Antwort.
„Zieh doch mal dein Hemd aus“, feuerte sie Magnus halblaut an und quietschte entzückt auf, als er ihr den Gefallen tat. „Jetzt verstehe ich die Bürschlein, die früher im Damenbad durch die Löcher in der Holzwand gespannt haben. Das macht ja richtig Spaß! Los jetzt, Hosen runter!“
Ich riskierte einen Blick. Nein, das tat Magnus nun doch nicht, wohl auch besser so. Außerdem musste ihm doch klar sein, dass er gut zu sehen war, wenn er mich beim Sport hatte beobachten können? Er lief nur durch seine Wohnung und räumte hier und da ein bisschen auf. Erwartete er seine Freundin oder hatte er es nur gerne ordentlich? Ich trank mein Glas aus und schenkte mir nach. „Anna, du auch noch?“
„Was?“ Sie starrte immer noch gebannt hinüber.
„Ob du noch Wein willst? Jetzt komm da weg, das sieht er doch. Findest du das nicht peinlich? Oder wir machen wenigstens das Licht aus“, schlug ich vor.
„Gut, noch einen Schluck. Dann gehe ich ohnehin heim, ich bin morgen mit Putzen dran“, seufzte sie. Anna wohnte in einer reinen Frauen-WG, in der männliche Gäste zwar gerne willkommen waren (anders hätte sie ihren Männerkonsum auch kaum regeln können), aber ein hoher Grad an weiblicher Intoleranz gegenüber Schmutz und natürlicher Unordnung herrschte. Ich hatte immer den Verdacht, dass mindestens zwei ihrer Mitbewohnerinnen kehrwochengeschädigte Schwäbinnen waren, auch wenn Anna das vehement bestritt.
Jedenfalls musste sie, wie sie mir ausführlich in jammerndem Ton schilderte, morgen das Bad, das Gästeklo, die Küche und den Flur auf Hochglanz polieren und alles feucht aufwischen. Bitter, am Samstagmorgen. Andererseits bewohnte sie in der etwas schäbigen, aber hinreißenden Altbauwohnung ein riesiges sonniges Zimmer für eine lächerliche Miete und kam abgesehen vom Putzplan mit ihren Mitbewohnerinnen hervorragend aus.
Ich brachte sie zur Tür, damit sie sich für ihre Hausfrauenpflichten fitschlafen konnte, und bot ihr noch an, sich an Paul zu wenden, wegen der Bohnermaschine für den Flur. Anna schien zu überlegen, wie sie mir diese Gemeinheit angemessen heimzahlen konnte, dann bückte sie sich elegant, hob etwas vom Abtreter auf und drückte es mir in die Hand. „Wenn man vom Teufel spricht! Und tschüss...“
Sie sprang die Treppen hinunter, während ich verblüfft auf den Umschlag starrte. Paul schrieb Briefe? Das hatte er ja auch noch nie gemacht! Neugierig riss ich den Umschlag auf.
Xenia,
dass du an unserem Freitag einfach nicht zu Hause bist, finde ich schäbig. Ich dachte, in einer Woche hättest du dich wieder beruhigen können. Sicher bist du mittlerweile wieder vernünftig und siehst ein, dass meine Pläne für unsere Zukunft auch für dich das Richtige sind! Bitte bring mir morgen um zehn den Kaufvertrag und die Eigentümerprotokolle vorbei, ich werde sie für den Verkauf brauchen.
Paul
P.S.: Ich habe doch das braune Linoleum ausgelegt, es sieht gemütlicher aus.
Der Schrei, den ich ausstieß, erschreckte den älteren Herrn, der gerade drei Türen weiter seinen Schlüssel aus der Tasche zog. Er zuckte zusammen, sah sich scheu nach mir um, sperrte dann besonders hastig auf und verschwand schleunigst in seinen sicheren vier Wänden, bevor ich noch einen hysterischen Anfall kriegen konnte.
Tatsächlich stand ich kurz davor, mich hinzuwerfen und mit Händen und Füßen auf den Boden zu trommeln. Er wollte sofort meine Wohnung verkaufen? Braunes Linoleum? Ich sollte wieder vernünftig sein? Was hieß denn überhaupt vernünftig? War er jetzt völlig übergeschnappt? Und dieser Tonfall, so herrisch! War er immer schon so gewesen und ich hatte es nur nie gemerkt? Oder hatte die Tatsache, dass ich in einer einzigen Woche mal anständig verdient hatte, seine übelsten Instinkte zutage gefördert? Mit was für einem Spinner war ich da eineinhalb Jahre lang zusammen gewesen? Und wen, um Himmels willen, hätte ich da beinahe geheiratet? Da konnte ich ja noch froh und dankbar sein! Ich verschwand wieder in meiner Wohnung und lauschte befriedigt dem Knall nach, mit dem ich die Tür ins Schloss geschmettert hatte. Pauls Hals hätte dazwischen stecken sollen! Der hatte ja wohl wirklich mehr als einen Schuss, oder, um einen unserer Eltern-Schockier-Sprüche zu reaktivieren, den Arsch meilenweit offen!
Ich hatte schon den Hörer in der Hand, um ihn anzurufen und ihm mal ganz deutlich die Meinung zu sagen, aber an einem Freitagabend um Viertel nach elf? Normalerweise lag er da leise schnarchend neben mir, während ich mich darüber ärgerte, dass er schon wieder zu schnell fertig gewesen war. Was tat er wohl heute? Zu Hause sitzen und schmollen? Ich würde korrekt bleiben und ihn um Punkt zehn morgen früh anrufen, wahrscheinlich, um nach zwei Minuten hysterisch in den Hörer zu schreien. Vielleicht sollte ich mir aufschreiben, was ich sagen wollte, damit er mich nicht so leicht mit seiner väterlichen Art aus dem Konzept brachte? Gute Idee, ich griff sofort nach Papier und Kuli und machte mir Notizen. Auf jeden Fall wurde die Wohnung nicht verkauft, er durfte mir auch keine Vorschriften mehr machen und überhaupt – es war aus.
Aus, Schluss, Basta, hasta la vista, Baby!
Was für ein Idiot! Und das alles nur, weil ich einen Mann gesucht hatte, der mich nicht spontan für irgendeine Schnapsidee sitzen lassen würde? Lieber sitzen gelassen werden! Den wurde ich ja nie wieder los, wenn ich nicht aufpasste... Lieber ein Ende mit Schrecken, gleich morgen Vormittag, als ein Schrecken ohne Ende, wie diese Ehe es zweifellos werden würde. Nicht mit mir! Ich trabte, Selbstgespräche führend, durch die Wohnung, brutalisierte die Sofakissen und trat gegen die Tischbeine, um meine Aggressionen abzureagieren. Von Angesicht zu Angesicht durfte ich Paul morgen nicht gegenübertreten, dann würde ich mich wahrscheinlich vergessen und gewalttätig werden. Dieses Hemd machte ich doch mit einer Hand fertig, schließlich war ich gut trainiert!
Bei meinen Wanderungen war ich wieder zum Fenster gelangt. Drüben war ja immer noch Licht? War seine Freundin nicht gekommen? Trieben sie´s im Schlafzimmer und hatten vergessen, das Licht auszumachen? Nein, da kam er gerade wieder ins Bild, immer noch in schwarzen Jeans und mit nacktem Oberkörper.
Wahrscheinlich lag seine Tussi irgendwo außer Sichtweite auf einem Sofa herum und räkelte sich verführerisch. Jetzt ging er zur Tür. Kam sie vielleicht jetzt erst? Das konnte mir ja nun wirklich gleichgültig sein! Ich wollte mich schon, ärgerlich über meine Neugierde, abwenden, als er die Tür öffnete und zurückprallte.
Hoppla, was war denn da los? Zwei Männer betraten die Wohnung und drängten Magnus ins Wohnzimmer zurück. Die beiden gefielen mir nicht besonders. Sogar auf die große Entfernung konnte man die Brillantine im Haar sehen, den bulligen Körperbau, die groben Gesichter, die beeindruckenden Hände Marke Familienpizza. Was kannte er denn für Leute? Kannte er die beiden überhaupt? Sein Hinterkopf – mehr sah ich jetzt nicht mehr – strahlte irgendwie Ratlosigkeit aus. Dann nahm ich halb eine hastige Handbewegung wahr und Magnus´ Kopf verschwand. He – die hatten ihn in den Bauch geschlagen! Das ging zu weit!
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