Als Heiko dann auf der Straße vor der Schule ankam, drehte er sich um und sah sich die Schar jubelnder Schulkinder an, die aus den Eingängen strömten. Der Gag war in vollem Umfang gelungen! Heiko genoss seinen kleinen Triumph sichtlich.
Am Morgen danach wurde Heiko dann doch etwas unsicher, ob sein Aprilscherz nicht etwas zu weit gegangen war. Er hatte schon ein flaues Gefühl im Magen, als er das Klassenzimmer betrat. Vielleicht verstanden die Lehrer und der Direktor doch keinen Spaß, wenn es um die Schulstunden ging. Heiko stellte sich vorsorglich jedenfalls schon einmal darauf ein, dass ihm anständig der Kopf gewaschen werden würde.
Es geschah jedoch gegen alle Befürchtungen gar nichts. Kein einziges Wort wurde über den Streich vom Vortag verloren. Ihr Klassenlehrer, bei dem sie gleich die ersten Stunden hatten, begann den Unterricht völlig normal, als wenn nichts gewesen wäre. Und auch von keiner anderen Seite hörten sie irgendeinen Kommentar zu dem Vorfall. Ebenso in keiner der Parallelklassen erwähnte einer der Lehrer den Streich.
Vergessen konnten die Lehrer das nicht haben. Wer der Urheber davon gewesen war, hätten sie sicherlich auch leicht feststellen können. Ihr eigener Klassenlehrer kannte schließlich den Beginn des Aprilscherzes und wusste somit, dass Heiko die Sache ins Rollen brachte. So schied auch aus, dass keiner gewusst hätte, wen sie dafür verantwortlich halten sollten.
Wahrscheinlicher war, dass die Lehrer diese Verarsche nicht unnötig hochspielen wollten, weil sie doch allesamt darauf hereingefallen waren. Indem sie alle so taten, als habe tatsächlich eine Konferenz statt gefunden, nahmen sie den Schülern auch einen Teil ihres Triumphes. Die Lehrer hatten sich als Folge des Gags gemeinsam im Lehrerzimmer versammelt und bekamen dadurch dann die Gelegenheit, den Fall direkt zu besprechen und dementsprechend wohl zu einem Ergebnis. Aber die zwei Stunden hatten sie zumindest gewonnen. Denn durch das verschweigen des Streichs konnten sie auch nicht von den Schülern verlangen, dass sie diese versäumte Unterrichtszeit nachholen mussten.
Anfangs dachte Heiko noch daran, dass sie gleich an diesem Tag dazu verdonnert wurden, die beiden versäumten Unterrichtsstunden nachzuholen. Denn gerade an jenem Tag hätten sie zwei Stunden früher Schulschluss gehabt. Sie durften aber doch pünktlich, so wie es der Stundenplan vorgab, nach Hause gehen.
Einen weiteren Tag später stand auf ihrem Stundenplan das Fach Gemeinschaftskunde. Zum Ende des Unterrichts erteilte Herr Reizinger seinen Schülern eine praktische Hausaufgabe. In Zweiergruppen sollten sie sich ein öffentliches Gebäude oder ein Geschäft aussuchen und eine Studie über die Leute erstellen, die dort ein- und ausgingen. Die Schüler sollten keine Umfrage machen, das betonte er ausdrücklich. Es handelte sich nur um eine Beobachtung und deren Auswertung.
Ihr Lehrer gab ihnen eine Tabelle vor, in der sie ganz genau Uhrzeit, Anzahl und Geschlecht der Leute festhalten sollten. Zur Bestimmung des Alters gab es vier Gruppen in die sie die Besucher einteilen sollten. Die Vorgaben dafür erarbeiteten sie gemeinsam und einigten sich auf Kind, jung, mittleres Alter und Rentner.
Die Beobachtungszeit sollte sich über zwei Stunden erstrecken, in der die Schüler jede Bewegung genauestens mit Uhrzeit festhalten sollten. „Diese Tabelle dient als Grundlage für unsere nächsten Unterrichtsstunden. Das heißt: Wer glaubt, er könnte sich die Arbeit schenken, wird sie unbedingt nachholen, denn diese Tabelle ist unverzichtbar. Und wer von euch glaubt, er könne irgendwas in die Tabelle eintragen, Hauptsache er hat etwas auf der Hand, wird erleben, dass das ganz schnell auffällt, wenn wir damit arbeiten. Außerdem lasse ich mir für diejenigen noch eine empfindliche Strafe einfallen, die bis zur nächsten Gemeinschaftskundestunde diese Aufgabe nicht erbracht haben. Weil dadurch der Unterricht verzögert wird“, gab ihnen Herr Reizinger noch drohend mit auf den Weg. Und sie kannten ihren Lehrer. Wenn der von einer empfindlichen Strafe sprach, gab es da nichts zu lachen.
Eine Woche später sammelte Herr Reizinger zunächst einmal alle ausgefüllten Tabellen ein. Seine Drohung hatte gefruchtet. Alle Schüler hatten die Aufgabe erledigt und sich auch durchweg große Mühe damit gemacht. Der Lehrer war außerordentlich zufrieden und gut gelaunt, fiel Heiko auf, und das kam ihm seltsam vor. Es lag nicht daran, dass sie alle so brav die gestellte Aufgabe erledigten, wie sich gleich darauf herausstellte.
„Nun zu euren Tabellen“, nahm der Lehrer das Thema auf. „Hierzulande gibt es verschiedene Traditionen, wie ihr alle wisst. Und manches Mal im Leben ist so manche Mühe umsonst. Oft verbindet man das eine nicht mit dem anderen oder erkennt nicht sofort einen Zusammenhang“, sprach er in Rätseln.
Danach ließ Herr Reizinger seine Worte durch eine kleine Pause wirken, bevor er mit breitem Grinsen fort fuhr: „So zum Beispiel die Tradition jemanden in den 1. April zu schicken.“ Beim Schlagwort 1. April ahnte Heiko, dass nun die Abrechung für den Aprilscherz folgen würde.
Ohne weitere Erläuterung warf Herr Reizinger den Stapel Blätter mit den mühevoll erstellten Tabellen demonstrativ in den Papierkorb und freute sich über seine gelungene Revanche. Aus den Reihen der Schüler kam in diesem Moment ein Aufschrei, als sie verstanden, was er mit ihnen angestellt hatte. Die Proteste waren selbstverständlich alle auch im Spaß, denn sie zeigten sich ebenso als gute Verlierer, wie es die Lehrer auch taten. Den Rest der Stunde nutzte Herr Reizinger als Anlass um mit ihnen über die Entstehung des Brauchtums, jemanden in den 1.April zu schicken, zu sprechen. So lernten die Schüler auf interessante und unvergessliche Weise wieder einmal mehr etwas dazu. Die Umstände sorgten dafür, dass keiner von ihnen jemals die Entstehung des Brauches vergessen würde.
Sie erfuhren, dass es diesen Brauch seit Anfang des 17. Jahrhunderts gab und dass dieser auch in Frankreich, Holland und England üblich ist. Der Scherz lag ursprünglich darin, jemanden etwas besorgen zu lassen, was es gar nicht gab, oder was man gar nicht brauchte. Daraus leiteten die Wissenschaftler ab, dass der Brauch aus Frankreich zu uns kam, weil Karl der IX im Jahre 1564 den Neujahrstag vom 1. April auf den 1. Januar verlegte. Wer diese Umstellung damals verpasste, traf seine Vorbereitungen zum Neujahrsfest eben umsonst. Das waren dann wiederum Daten, die Heiko bis an sein Lebensende wusste und sich daran erinnern konnte.
Ein weiterer Streich von Heiko, für den ihm seine Mitschüler dankbar sein mussten, wurde dagegen nie entdeckt. Es handelte sich um einen spontanen Einfall aus einer Notlage heraus. Die Situation kam dadurch zustande, dass Heiko mit einigen seiner Mitschüler kurz bevor die Religionsstunde begann, feststellten, dass sie vergessen hatten, den Text eines Kirchenliedes auswendig zu lernen, was ihre Hausaufgabe war.
Ihr damaliger Religionslehrer, ein Pfarrer, gab ihnen sehr oft das auswendig Lernen eines Liedes bis zur folgenden Stunde auf, was er dann zu Kontrolle abhörte. Sie sprachen anschließend über den Sinn des Textes und zum Schluss sangen sie das Lied noch gemeinsam. Es ergab sich so also meist ein identischer Ablauf der Religionsstunde.
Wenige Minuten vor dem Eintreffen des Pfarrers der fraglichen Stunde stellte die Mehrheit der Klasse fest, dass sie wieder einmal nicht den Text gelernt hatten. Kirchentexte zu pauken galt unter ihnen auch nicht als cool und so rebellierten sie durch nicht lernen dagegen an, jedoch mit schlechten Gewissen, wenn es darauf ankam. Heiko sah sofort auf die Uhr, um die noch verbleibende Zeit, bis der Herr Pfarrer kommen würde, festzustellen. Bis zum Klingeln waren es noch genau drei Minuten und mit der üblichen Verspätung des Kirchenmannes von cirka zwei Minuten blieben ihm also noch fünf. Das musste reichen!
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