Wir machten uns auf in den Wald, um ein lauschiges Plätzchen zu suchen, wo wir uns beraten konnten. Die zwei Hasen, die uns dabei über den Weg liefen, hatten einfach Pech. Nach einer kleinen Viertelstunde kamen wir auf eine Lichtung, die weit genug von der Burg entfernt war, dass wir ein Lagerfeuer entzünden konnten, ohne dabei Gefahr zu laufen, entdeckt zu werden. Trockenes Holz für das Feuer war rasch gefunden, Während ich noch darüber nachdachte, wie man wohl einen Hasen ausnimmt und aus der Decke schlägt, hatte der Bogner bereits mit dieser Arbeit begonnen. Er tat sie mit einer Geschicklichkeit und in einer Geschwindigkeit, die den erfahrenen Wilddieb verriet. Fasziniert schaute ich ihm zu.
Mit dem Messer öffnete er die Bauchhöhle eines der Hasen, sodass die Eingeweide sichtbar wurden. Dann hielt er ihn mit einer Hand an den Vorderläufen fest, bog den Körper zurück, sodass er auch die Hinterläufe zu fassen bekam, und schleuderte dann den Hasen nach vorn, ohne dabei die Läufe loszulassen. Der Tierkörper blieb in seiner Hand, während die Eingeweide in die Büsche flogen. Anschließend zog er das Fell ab und verfuhr mit dem anderen Hasen in gleicher Weise. Auf Stöcke gespießt brieten die Tiere wenig später über dem Feuer. Geschmacklich entsprach unser Mahl keineswegs meinen Vorstellungen. Es ist ein Unterschied, ob man gut abgehangenes, wohlmöglich mariniertes Fleisch auf den Grill legt oder, wie wir, sehr frisches Fleisch über offenem Feuer brät. Wir besaßen ja nicht einmal Salz zum Würzen. Unsere gesamten Vorräte lagen in Reinalds Handwagen, und der stand gut verwahrt in der Burg. Immerhin wurden wir satt und das war die Hauptsache.
Hagen lag neben dem nur noch glimmenden Feuer und stocherte mit einem Holzspan in den Zähnen.
„Nun, ist dir inzwischen ein Einfall gekommen, Roger?“ fragte er, seinen Zahnstocher in die Glut werfend.
Da war sie, die Frage die ich gefürchtet hatte. Nun hieß es Farbe bekennen. Um noch ein wenig Zeit zu gewinnen, schaute ich zu, wie das Holz Feuer fing und kurz aufflammte, ehe ich antwortete.
„Nicht wirklich. – Ich hörte, dass der Sternberger Leute sucht, die mit einer Waffe umgehen können. Wir sollten versuchen, uns bei dem Grafen als Bogenschützen zu verdingen. Wenn‘s klappt, wären wir schon einmal in der Burg. Wir müssten dann nur noch herausfinden, wo man unsere Gefährten gefangen hält, die beiden befreien und aus der Burg verschwinden.“
„Nur noch...“, lachte Hagen. „Mann, es dürfte schon schwierig genug sein, zu den Kerkern zu gelangen, doch anschließend ungesehen aus der Burg verschwinden?“ Er kratzte sich am Kopf. „Das halte ich für unmöglich. Die Torwache wird uns kaum die Brücke herunterlassen und uns eine gute Reise wünschen. Zudem sind wir zu Fuß den Rittern hoffnungslos unterlegen.“
Damit hatte er fraglos recht, doch so schnell wollte ich mich nicht geschlagen geben.
„Dann müssen wir uns eben in der Burg Pferde besorgen.“
Der Bogner nickte bedächtig.
„Ja, selbstverständlich - und uns dann obendrein mit den Stallknechten herumschlagen.“
„Ja, zum Teufel, was sollen wir denn dann tun?“ explodierte ich. „Ihnen mit einem Pfeil einen Fehdebrief ans Burgtor nageln? Ich kann nicht hier herumsitzen und nichts tun, verstehst du? Mein Weib ist da drin!“
Schon erstaunlich! Ich meinte es wirklich so, wie ich es sagte! Wenn ich am Abend vorher noch darüber gerätselt hatte, was mir Silvia eigentlich bedeutete, bezeichnete ich sie jetzt bedenkenlos als mein Weib und war bereit, mich mit jedem zu prügeln, der das in Frage stellen wollte.
Hagen lächelte schwach.
„Ich glaube nicht, dass dein Plan funtionieren wird, aber die Art, wie wir in die Burg gelangen können, scheint mir die einzig richtige zu sein.“
Noch den ganzen Nachmittag beratschlagten wir, wie wir unsere Gefährten befreien könnten, kamen jedoch immer wieder auf den ersten Plan zurück. So man uns als Söldner einstellte, mussten wir uns ja frei bewegen können und unseren Arbeitsplatz kennen lernen.
Wenn wir bei dieser Umschau in die Nähe des Kerkers gerieten, so hatten wir uns eben verlaufen. Problematisch blieben natürlich die Befreiung und die Flucht. Wir hofften darauf, dass die Burg nachts nicht stark bewacht wurde, da zur Zeit ja Frieden im Lande herrschte. Es müsste also möglich sein, die Torwachen zu überwältigen und dann zu fliehen. Die Dämmerung sank bereits als wir uns entschlossen, endlich ein Nachtlager zu bauen. Wir schlugen etliche Zweige von Fichten und Tannen, die wir schuppenförmig übereinander legten. Darauf kam ein großer Haufen Laub und fertig war das Bett.
„Nicht so angenehm wie ein Strohsack und ein paar Felle, doch für die heutige Nacht muss es genügen“, sagte Hagen, der meinen misstrauischen Blick auf unser Lager bemerkt hatte. „Ihr werdet doch wohl nicht alt, Herr Roger? Willst du mir weis machen, dass ein Krieger wie du ständig in einer Herberge übernachtet hat?“
„Zumindest in den letzten Jahren ist mir ein solches Bett erspart geblieben“, grinste ich verlegen. „Man wird eben bequem.“
Wir entzündeten das Lagerfeuer neu, hielten es aber sehr klein, um zu vermeiden, dass sein Schein durch einen dummen Zufall entdeckt würde. Noch eine ganze Weile unterhielten wir uns, unterließen es aber, über unser Vorhaben am nächsten Tag zu sprechen. Irgendwann krochen wir in unseren Laubhaufen und versuchten zu schlafen.
Silvia war eben im Begriff das Lagerfeuer zu entzünden, als Reinald lauschend den Kopf hob. Jetzt vernahm auch sie den gedämpften Hufschlag. - Auf dem Waldweg näherten sich Reiter. Noch bevor die beiden auch nur einen Gedanken an Flucht verschwenden konnten, waren sie von vier Reitern und acht Soldaten zu Fuß umstellt. Der Anführer der kleinen Schar war ein junger Mann mit langen blonden Haaren, der einen Harnisch trug. Auf den Schabracken seines Pferdes leuchtete ein goldener Stern.
„Schaut an! Ein frommer Bruder mit seiner Gespielin!“ rief einer der Ritter, der, obwohl es gerade erst Mittagszeit war, schon einen stark angetrunkenen Eindruck machte. „Dieses Pfaffenvolk treibt‘s auch immer ärger! Wir stören wohl Euer Schäferstündchen, Mönchlein? – Nun, Ihr hättet die Nacht abwarten sollen ... Doch was tut Ihr? Im hellen Licht des Tages wollt Ihr‘s am Wegesrand treiben.“
Er schüttelte in gespieltem Entsetzen den Kopf und erntete für seine Vorstellung Gelächter aus den Reihen seiner Begleiter.
„Ja Mönchlein, vor Euch seht Ihr die Wächter des Zölibats“, fuhr er durch den Erfolg ermuntert fort. Er beugte sich vertraulich zu Reinald hinunter. „Nun werden wir uns um das Weib kümmern. Es ist nur um Euretwillen, auf dass Ihr nicht der fleischlichen Versuchung erliegt. Aber Ihr werdet einsehen, dass Euer Verhalten Strafe verdient hat. Somit verurteile ich Euch zu fünfzig Paternoster und ebenso vielen Ave Maria.“
Der blonde Ritter, der sich zurückgehalten hatte, mischte sich nun ein.
„Jetzt ist’s genug, Ewald! Ihr habt Euren Spaß gehabt.“
Er drängte sein Pferd zwischen den angesprochenen Ritter und Reinald.
Silvia stand gelassen im Kreis der Männer und sah ruhig zu dem Reiter auf.
„Es ist zu begrüßen, wie Ihr Eure Leute daran erinnert, dass sie Ritter sein wollen“, sagte sie. „Das lässt mich hoffen, dass Ihr nicht der Anführer eines Haufens von Trunkenbolden seid.“
Ein unwilliges Gemurmel erhob sich. Der Blonde brachte es mit einer einzigen Handbewegung zum Verstummen.
„Ihr führt eine scharfe Zunge, Weib.“ stellte er fest.
„Mag sein, Herr, doch sollte man die Dinge nicht als das bezeichnen was sie sind? Wenn Ihr Euch wie ein Heckenreiter aufführt, so dürft Ihr Euch nicht wundern, wenn Ihr als solcher bezeichnet werdet.“
„Weib! Wahre deine Zunge! Du sprichst mit dem Herrn von Sternberg!“ rief ein Soldaten, dem Silvias Frechheit zu weit ging.
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