Ulrich Hutten, Robert Morgenroth
Gnade Gott. Oder: Die letzten Worte des Doktor Martin Luther
Zweite Geschichte von Paul und Leonhard
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Inhaltsverzeichnis
Titel Ulrich Hutten, Robert Morgenroth Gnade Gott. Oder: Die letzten Worte des Doktor Martin Luther Zweite Geschichte von Paul und Leonhard Dieses ebook wurde erstellt bei
1 Letzte Stunden
2 Paris, Gotha
3 Die Sensation
4 Auszeit
5 Maria und Fabio
6 Von Gottes Gnaden
7 Irrungen, Wirrungen
8 Luthers vorletzte Worte
9 Liebe Sünde
10 Das rettende Ufer
Anhang
Impressum neobooks
Vieles stimmt in dieser Geschichte, manches ganz bestimmt. Das meiste ist natürlich erfunden. Aber alles ist wahr. Dass jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen purer Zufall sein muss, versteht sich von selbst. Von mancher historischen Gegebenheit, nicht nur Martin Luther betreffend, sind wir in dichterischer Freiheit abgewichen, von mancher nicht. Erneut haben wir uns daran erfreut, Phantasie und Realität, Fakten und Fiktion ineinander zu verweben. Das würden Journalisten wie Leonhard Ross und Paul Wiesensee nie tun.
„Die Wahrheit über unser Dasein ist immer provisorisch.“
Henning Mankell (geboren 1948, gestorben 2015)
„Non-Fiction-Romane sind eine Möglichkeit, der Wahrheit tiefer auf den Grund zu gehen.“
Roberto Saviano (geboren 1979, lange möge er leben)
Dieses Pochen in meinem Kopf. Gehirnalarm, Overload. Zu viele elektrische Blitze. Irren wie wild geworden herum, tollwütig, kreuz und quer, prallen aufeinander, knallen an die Schädelwand. Ordnung. Ich muss es unbedingt ordnen. Muss herausfinden …
Fabio riss die Augen auf. Nun hörte er es deutlich. Dieses Pochen. Es kam von der Tür. Er sprang aus seinem Bett und öffnete, arglos.
„Ah, Ihr seid es ...“
Vor ihm standen die drei Jesuitenbrüder aus dem Vatikan, die in der Sonderabteilung für seinen Vorgesetzten arbeiteten. Sie hatten ihn immer so liebenswürdig gegrüßt aus ihren Nebenräumen, ihm zugelächelt oder zumindest ein freundliches Kopfnicken geschenkt, wenn er in die Büros kam, die dem Monsignore vorbehalten waren. Aber nun starrten sie ihn böse an, nun benahmen sie sich keineswegs freundlich, drängten in sein Zimmer, umringten ihn, bauten sich bedrohlich vor ihm auf, redeten alle zugleich auf ihn ein, bis ihnen einer, der mit dem Christusbart, mit einer Geste Einhalt gebot und sich so direkt vor ihn stellte, dass er seinen Schweiß riechen konnte: „Du hast etwas an dich genommen, Fabio, etwas, das dir nicht gehört. Wir möchten es gern abholen und wieder dahin zurückbringen, wo du es herhast.“
Sein Blick drang in Fabio ein. Er war von einer Härte und Energie, die ihn zu überwältigen drohten. Aber er hielt stand. Standhalten war eine seiner Stärken.
Der Christusbart wartete, als wäre es eine Ewigkeit, während seine Augenfarbe zu wechseln schien, von blauem Stahl in fast schwarze Tinte. Schließlich trat er einen Schritt zurück und schaltete erneut seine Augen um. Auf einmal verschwand das Dunkel, ein Himmelblau begann zu leuchten:
„Bruder, stell dich nicht so an. Es war sicher bloß ein Versehen. Gib mir das Schriftstück einfach wieder. Wahrscheinlich hast du es bloß an dich genommen, um es noch einmal zu prüfen, weil du Gewissheit willst. Sicher willst du dem Monsignore einfach noch mehr sagen, noch Genaueres. Das ist doch nicht schlimm. Im Gegenteil. Das ist höchst löblich. Aber es gehört nun einmal für immer und ewig dem Heiligen Stuhl. Nur er kann darüber befinden. Und nur dort ist es am rechten Platz. Also, im Namen des Heiligen Vaters und der Heiligen Mutter Kirche, sei gehorsam, so wie du es gelobt hast, sei so gut ...“
„Nein“, unterbrach Fabio den Regen warmer Worte.
„Was heißt nein?“
„Ich habe nichts.“
„Aber du hast dem Monsignore doch selbst gesagt ...“
„Ja, das stimmt.“
„Also hast du es doch. Hör auf zu lügen. Du versündigst dich, Bruder. Hast du es nun oder nicht?“
„Ja, ich habe es. Es muss sicher sein. Und ich vertraue dem Monsignore nicht mehr.“
„Das darf doch nicht wahr sein. Weißt du eigentlich, was du tust, wenn du dich mit ihm anlegst? Was du riskierst? Wegen eines Stücks Papier?“
Fabio nickte. Und dann schüttelte er energisch den Kopf. „Geht jetzt, geht alle. Ja, ich weiß, was ich tue. Ich tue es für den Heiligen Vater.“ Er schob sie aus aus seinem Zimmer hinaus, wo sie das enge Treppenhaus hinunterpolterten, unverrichteter Dinge. „Nur für ihn tue ich es“, rief er ihnen hinterher und schlug die Tür zu. Aufatmen. Nun kam das Pochen aus seinem Herzen. Es schlug ihm bis zum Hals. Zugleich schoss Hochgefühl in seinen Kopf. Aber kaum war dieser kurze Moment verflogen, dieser gefühlt siegreiche Befreiungsschlag, setzte der Verstand wieder ein. Fabio ließ sich auf einem Stuhl nieder und nahm sein Gesicht zwischen die Hände, spürte ihre Wärme an seinen Wangen, spürte, wie sich das Adrenalin in seinem Körper auf Normalstand herunterregelte und seine Gedanken sich zu ordnen begannen. Nach ein paar Minuten klopfte es erneut. Kamen sie zurück?
Vor der Tür standen zwei völlig fremde Männer. Dann tauchte er in eine dunkle Nebelbank, die ihn verschluckte.
Als Fabio wieder zu sich kam, drohte ihm der Kopf zu platzen. Ein Knebel ließ ihm kaum Luft. Würgereflexe. Er versuchte sie hinunterzuschlucken, bekam sie nicht in den Griff. Angst. Im Magen. Harter Stein an seinem Knie. Vorsichtig öffnete er die Augen. Dunkelheit. Er lag in einer Art Verlies. Gefesselt. Modergeruch von uraltem, feuchtem Gemäuer mischte sich mit dem Gestank von Urin. Kein Fenster. Durch ein Gitter in der massiven Bohlentür schimmerte eine Ahnung von Licht, warf verschwommene Streifen auf den Boden. Fabio riss sich zusammen. Standhalten, das war doch seine Stärke. Er begann seinen Atem zu beruhigen, lenkte ihn durch seinen Rachen am Knebel vorbei durch die Nase hinaus und wieder herein. Aus und ein, aus und ein. Besser. Fabio gewann ein Minimum an Kontrolle über sich zurück. Und versuchte sich zu erinnern.
***
In Rom bereitete man sich mit Hochdruck auf das Luther-Jubiläum 2017 vor. Warum diesem Jahrestag eines ketzerischen Thesenanschlags vor 500 Jahren in den Sekretariaten und Abteilungen des Vatikans so große Bedeutung beigemessen wurde, war niemandem richtig klar. Und eindeutig war auch keineswegs, welchem Zweck diese emsigen Vorbereitungen am Heiligen Stuhl eigentlich dienten. Sicher war nur, dass ein von Papst Franziskus neu geschaffenes Dikasterium, das päpstliche Sekretariat für Kommunikation, mit frischem Wind für mehr Transparenz und Dialog sorgen sollte. Und den professionellen Sprung von der jahrtausendealten Überlieferung in die neue Medienwelt vollziehen.
Manche Vatikanexperten sahen in dieser internen Reorganisation den Versuch, endlich die gesamte Öffentlichkeitsarbeit des Vatikans nach den Weisungen des Kardinalstaatssekretärs in den Griff zu bekommen, nachdem sich in der Kurie massive Widerstände gegen den neuen Papst formiert hatten. Häufig genug hatten innervatikanische Querelen und Intrigen zu unliebsamen Indiskretionen geführt. Nun waren alle Kommunikationsbereiche dem neuen Sekretariat unterstellt, vom L'Osservatore Romano bis zum neuen Internetauftritt auf www.vatican.va, vom Radio Vatikan bis zum twitternden Papst auf @pontifex, vom Presseamt bis zum legendären Vatikanischen Geheimarchiv mit seinen 85 Regalkilometern voller Akten. Organisatorisch war damit alles im Sinne des neuen Papstes geregelt. Aber unter den purpurroten Würdenträgern der Kurie und unter ihren Mitarbeitern auf allen Ebenen der vatikanischen Hierarchie brodelte es. Bei weitem nicht jeder begrüßte all die unorthodoxen Neuerungen dieses Heiligen Vaters aus Südamerika, der sich angeschickt hatte, den Vatikan umzukrempeln. Und womöglich die ganze heilige römisch-katholische Kirche.
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