Ansiedlungen hindurch, sondern in einigem Abstand daran vorbei. Die Gehöfte lagen fast immer abseits des Weges, hinter Bäumen und Büschen versteckt. Hatten schon die Hauptverkehrswege nichts mehr mit den gepflasterten Straßen der Römer gemein, so waren die Nebenstraßen nur schmale Feld- oder Hohlwege. Dem entsprach natürlich ihr Zustand, der uns das Vorankommen ziemlich erschwerte. Ein Nachteil, der dadurch ausgeglichen wurde, dass diese Wege die kürzeste Verbindung zu unserem Ziel darstellten und, was wichtiger war, von anderen Reisenden kaum benutzt wurden. Seit wir den Hof zu Huxoll verlassen hatten, war uns abgesehen von ein paar Bauern und Feldarbeitern niemand begegnet.
Hinter Donop ging es ein langes Stück immer bergan. Zunächst durch Felder, dann aber wieder durch Wald, der auf der Kuppe des Hügels plötzlich endete. Von hier aus konnte man ungehindert in das vor uns liegende Tal der Bega schauen. Soweit man es übersehen konnte, verlief unser Weg jetzt durch Felder und Brachland, um dann in einem breiten Auenwaldstreifen zu verschwinden. Wir beschlossen, eine kurze Rast zu machen, während der uns Hagen den weiteren Weg erklärte.
„Dort hinten gehen wir durch die Bega, dann überqueren wir die Straße nach Barntrup“, er deutete irgendwo in die Landschaft vor uns. „Von dort geht es weiter nach Bösingfeld und dann folgen wir dem Tal der Exter bis zur Weser.“
„Also kommt, wir haben noch einen weiten Weg vor uns.“ mahnte Reinald, der bereits wieder ungeduldig wurde, zum Aufbruch.
„Ihr gebt Euren Pferden ordentlich die Peitsche“, spottete Hagen, als wir uns vor den Karren des Mönches spannten.
„Soll ich Euch ablösen?“ fragte der beflissen zurück.
„Schon gut. Euer schlechtes Gewissen ist mir Trost genug“, entgegnete Hagen.
Das Wetter war herrlich! Die Sonne schien von einem strahlend blauen Himmel, an dem sich kein Wölkchen zeigte, die Temperaturen waren angenehm und ideal zum Reisen. An einem Feldrand hockten Mägde und Knechte, die von einem Bauern mit Frühstück versorgt wurden. Wir grüßten freundlich und ich glaubte fast fühlen zu können, wie uns die Leute neugierig nachblickten.
Bald darauf hatten wir den Auenwald erreicht, der die Ufer der Bega
säumte. Der Weg wurde nun feuchter und war an den sumpfigsten Stellen mit dünnen Holzstämmen befestigt. Auch an der Luft bemerkte man die Nähe des Wassers. Der Wald bestand überwiegend aus Erlen, Pappeln und viel Stangenholz, durch deren frisches, hellgrünes Laub die Sonne schien und ein Licht erzeugte, als befände man sich in einem Aquarium. Der Waldboden beiderseits der Straße, die jetzt nur noch ein Knüppeldamm war, machte einen trügerischen Eindruck und war von zahlreichen Bächen durchzogen. Die vielen kleinen grasbewachsenen Inseln darin leuchteten in sattem Hellgrün und die gelben Blüten der Schlüsselblumen bildeten strahlende Flecken, wenn sie vom Licht der Sonne getroffen wurden. Obwohl die Bega hier nicht mehr als ein großer Bach sein konnte, hatte sie doch dafür gesorgt, dass dies Sumpfgelände entstehen konnte. Eine Weile später erreichten wir die Furt, die wir ohne Mühe durchquerten. Hier, auf der Nordseite des kleinen Flusses, gab es schon keinen Wald mehr. Felder und Wiesen reichten bis dicht an das Ufer heran. Erst weiter nördlich wurde das Land wieder waldreicher und auch hügeliger.
„Auf dem Berg dort hinten liegt Burg Sternberg“, sagte Hagen, wobei er auf die dicht bewaldete Erhebung im Norden zeigte. „An dem Kreuzweg, zu dem wir gleich kommen werden, geht auch ein Weg zur Burg ab. Ein kaum benutzter Pfad bringt uns dann nach Bösingfeld.“
Der Weg, den Hagen ausgesucht hatte, wurde mit einiger Sicherheit wenig benutzt. Es war ein schmaler Trampelpfad, nur wenig breiter als unser Handwagen, dessen Zustand selbst für derzeitige Verhältnisse erbärmlich war. Zudem ging es fast ständig ziemlich steil bergauf. Das der Weg trocken war und wohl kaum die Gefahr bestand, hier von Soldaten aus Lemgo entdeckt zu werden, war das Beste, was man über ihn sagen konnte.
„Ich wünschte, wir hätten Pferd und Wagen.“ stöhnte Silvia, als wir mit vereinten Kräften den Handwagen über ein besonders steiles und steiniges Stück des Weges zogen.
„Würde auch nichts helfen. – Damit kämest du hier überhaupt nicht durch“, schnaufte ich.
„Es ist ja nicht mehr weit bis zur Kuppe“, tröstete uns Hagen, der mit mir an der Deichsel zerrte, während die anderen schoben. „Dort
können wir rasten.“
Er sollte Recht behalten. Nach einer knappen Viertelstunde waren wir tatsächlich oben angelangt. Auf einer Waldwiese neben dem Weg, der über den Bergrücken führte, beschlossen wir zu lagern. ( Wenn ich meinen Gefährten erzählt hätte, dass in einigen hundert Jahren hier oben eine Radarstation stehen würde, mittels der man sehen konnte, was man noch nicht sehen konnte, hätten sie mich vermutlich für verrückt erklärt. )
Da unsere Trinkwasservorräte zur Neige gingen und die Reste überdies lauwarm waren, machte ich mich mit Hagen auf den Weg zu einer Quelle, die, wie er behauptete, ganz in der Nähe im Wald sein sollte. Silvia und den Mönch blieben bei dem Handkarren zurück. Wir marschierten einige hundert Meter in den Wald hinein und fanden tatsächlich nach einigem Suchen die Quelle. Nachdem wir unseren Durst gelöscht hatten, füllten wir die beiden Tonkrüge und machten uns ohne große Eile auf den Rückweg, als ich plötzlich Silvias Stimme in meinem Kopf vernahm.
„Oh, mein geliebter Gatte, ich habe eine unangenehme Nachricht für dich. Reinald und ich haben soeben Besuch von einer Horde Männer erhalten, die im Begriff sind, uns zu entführen. Ich weiß zwar noch nicht wohin, aber ich werde es dir noch mitteilen.“
Ich bekam einen gewaltigen Schreck. Zum einen wegen des unerwarteten ‚Anrufs’, zum anderen wegen des Inhalts. Abrupt blieb ich stehen und hätte am liebsten laut losgeschrieen, brachte aber zum Glück keinen Ton heraus.
„Kannst du das nicht verhindern? Du hast doch gesagt, du seiest eine Hexe?“ ging es mir durch den Kopf.
„Eine Zauberische, habe ich gesagt. Aber egal! Jetzt überschätzt du jedenfalls meine Möglichkeiten. Ich kann dich auch nicht einfach in deine Zeit zurück versetzen, falls du das meinst. Um das zu tun, müsste ich dich berühren können. Als ich uns in diese Zeit versetzte, hast du mich auf dem Arm getragen. Erinnerst du dich? Außerdem – was glaubst du, würde dann wohl aus Reinald? Ich dachte, wir wollten ihm helfen!?“
„Ich finde das absolut nicht lustig!!“ dachte ich angestrengt, wobei ich hoffte, dass sie auch meinen Ärger über diese verkorkste Lage ‚hören’ konnte. „Was machen wir jetzt?“
„Wir?? – Du! Schließlich befinden wir uns im Zeitalter der ritterlichen Helden, da darf ich doch wohl annehmen, dass du weißt, was zu tun ist.“
Ich hatte den Eindruck, dass ihr die missliche Lage, in der wir uns befanden, auch noch gefiel, denn sie klang irgendwie begeistert. – Nun, ich war’s nicht!
„Ich bin kein Held, war nie einer und will auch keiner werden!!“ dachte ich wütend.
„Oh, oh - was würden die Gefährten deiner Jugend zu solch einer Einstellung sagen?“
Ich sah sie förmlich vor mir, wie sie in gespielter Empörung den Kopf schüttelte und sich über meine Hilflosigkeit amüsierte. „Robin und Little John, die Freunde aus deiner Jugend, würden sich schamrot von dir abwenden. Ja, sogar bestreiten, dich überhaupt gekannt zu haben. Selbst der sanftmütige Bruder Tuck würde dich eher exkommunizieren, als dir Absolution für dieses Bekenntnis zu erteilen. Also streng dich ein bisschen an! Lass dir etwas einfallen und befreie Reinald und mich aus den Händen dieser Unholde.“
„Hol’s der Teufel!“ fluchte ich laut, als ich fühlte, wie ich an den Schultern geschüttelt wurde.
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