Silvia begann zu lachen.
„Seid bedankt für Eure Sorge um unsere Finanzen“, entgegnete sie spöttisch. „Aber sehen wir wirklich so abgerissen aus, dass Ihr vermutet, wir könnten ein kleines Mahl und zwei Krüge Bier nicht bezahlen? Oder fordert Ihr so hohe Preise, dass es sich nur edle Herrschaften leisten können, bei Euch einzukehren?“
Der Wirt sah sie etwas verlegen an.
„Nichts für ungut“, brummte er. „Es war nur so eine Redensart. – Ich bin doch kein Beutelschneider.“
Er blickte mich an.
„Manchmal frage ich mich schon, was sich der Herr dachte, als er aus Adams Rippe Eva erschuf. – Nur, damit wir Männer einen Verwalter unserer Börse haben? Jedenfalls bin ich froh, dass es mir nicht allein so geht, da auch Ihr einen solchen Verwalter zu haben scheint, Junker. Doch was soll’s. – Folgt mir.“
Er geleitete uns zu dem Tisch vor seinem Haus und wir setzten uns auf die Bank, während er stehen blieb, darauf wartend, was wir bestellen würden.
„Was habt Ihr denn Gutes zu bieten, Meister?“ wollte ich wissen.
„Ihr könnt einen Eintopf bekommen. Frisch gekocht, mit Fleisch vom Hammel. Ich kann Euch aber auch Eier in Schmalz bereiten, so Euch das lieber ist. Meine Spezialität, im Ofen überbackene, belegte Brotfladen, kann ich Euch zur Zeit leider nicht bieten, da der Backofen gerade besetzt ist.“
„Ich denke, wir nehmen den Eintopf“, entschied Silvia. „Aber zuerst bringt uns einen Krug Bier.“
Der Wirt verschwand im Haus und tauchte kurz darauf mit einem Krug in der Hand wieder auf. Mit den Worten:
„Lasst‘s euch munden“, stellte er den Krug auf den Tisch und setzte sich auf die Bank an der anderen Seite des Tisches.
Den Luxus, seinen Gästen auch Becher zu servieren, leistete er sich offensichtlich nicht. Mein Weib und ich durften also zusammen aus einem Krug trinken. Nun, das störte mich weniger, doch ich hatte insgeheim gehofft, der Wirt würde die bestellte Speise eigenhändig zubereiten, sodass Reinald während seiner Abwesenheit die Chance gehabt hätte, sich davon zu machen. Schade, jetzt mussten wir einen anderen Weg finden, den Mann abzulenken.
„Ihr habt da einen schönen Bogen“, begann der Wirt das Gespräch, nachdem er abgewartet hatte, bis Silvia und ich uns von seinem Bier bedient hatten.
Ich nickte betont desinteressiert. Zum einen, weil es sich für eine
Profi so gehört, zum anderen, weil ich tatsächlich nicht ganz bei der Sache war, sondern krampfhaft nach einer Möglichkeit suchte, den Wirt von seinem Beobachtungsposten loszueisen.
„Ja, ich bin ganz zufrieden mit dem Holz“, entgegnete ich betont gleichgültig.
„Ein englischer Bogen, nicht wahr? – Ihr müsst meine Neugier verzeihen, aber auch ich bin ein Bogenschütze. Ich besitze einen Reiterbogen, mit welchem ich manchmal schieße. Wenn ich dann einen guten Tag habe“, Rübezahl lachte verschmitzt, „kann ich meinen Gästen statt Eintopf, auch mal Hasenpfeffer anbieten.“
„So seid Ihr ein wahrhaft vielseitiger Mann“, stellte Silvia lächelnd fest. „Ihr seid Bauer, Wirt, Wächter der Landwehr und überdies ein Wilddieb.“
„Na ja, die Zeiten sind schlecht“, meinte der Wirt lakonisch. „Aber was haltet Ihr von einem kleinen Wettschießen? So Ihr gewinnt, zahlt Ihr nichts für Euer Essen, verliert Ihr, zahlt Ihr doppelt.“
Er sah mich fragend an.
„Ihr wäret kein Beutelschneider, habt Ihr vorhin noch behauptet“, entgegnete ich ihm lachend, „und jetzt wollt Ihr mir ein Geschäft aufdrängen, von dem Ihr sicher seid, dass es Euren Gewinn verdoppelt. – Aber trotzdem. Es sei! Holt Euren Bogen.“
Mit einem breiten Grinsen erhob sich der Wirt und verschwand im Haus. Mir kam sein Vorschlag ganz gelegen, da bei dem Wettschießen seine Aufmerksamkeit von der Straße abgelenkt sein würde. Reinald hatte somit eine sehr gute Chance für eine unbemerkte Flucht.
Schon kam der Wirt zurück. In der Hand hielt er einen kurzen Bogen mit stark geschweiften Wurfarmen und ein paar Pfeile.
„Seid Ihr bereit?“ fragte er mich. „Dann lasst uns hinter das Haus gehen, dort habe ich eine Scheibe, auf die wir schießen können. – Ach ja, so es Euch der Mönch noch nicht berichtet hat, ich werde Fritz gerufen.“
„Nun weiß mein Gatte wenigstens, gegen wen er im Wettschießen verloren hat: Gegen Fritz den Vielseitigen von der Landwehr“, lachte Silvia. „Aber damit auch Ihr wisst, mit wem Ihr es zu tun habt, wir werden Roger und Silvia genannt.“
Während Fritz und ich uns auf den Weg zur Rückseite des Hauses machten, blieb Silvia, die irgend etwas in ihrem Beutel zu suchen
schien, zurück. Als wir um die Hausecke bogen, sah ich sie in Richtung der Wälle winken. Sie gab Reinald ein Zeichen, dass jetzt für ihn die Zeit gekommen war, über die Straße zu verschwinden.
Fritz hatte hinter dem Haus eine Zielscheibe an die Wand gelehnt, der anzusehen war, dass sie häufig benutzt wurde. So, wie die Einschläge auf der Scheibe lagen, schoss der Mann wirklich gut, denn es war wohl nicht anzunehmen, dass er sich die Mühe gemacht hatte, die Scheibenmitte mit einem Messer zu zerstechen. In Gedanken hakte ich einen Teil vom Inhalt unserer Börse ab.
„Jeder drei Pfeile. – Einverstanden, Roger?“ schlug Fritz vor, wobei er ein siegesgewisses Schmunzeln nicht unterdrücken konnte.
Ich nickte zustimmend, froh darüber, dass Silvia nicht auch noch die Geschichte vom walisischen Bogenmeister zum Besten gegeben hatte. Verlieren war ja schön und gut, aber Blamieren fand ich nicht zwingend notwendig.
„Als Gast habt Ihr die Wahl, ob Ihr beginnen wollt oder nicht.“
Im sicheren Bewusstsein seiner Überlegenheit gab Fritz sich ganz gönnerhaft und souverän.
„Wenn ich die Wahl habe, dann lasse ich Euch gern den Vortritt“, erwiderte ich so gelassen wie möglich. Im Grunde war es ja egal, ob ich verlor oder gewann, aber aufgeregt war ich dennoch.
„Wir schießen hier vom Haus aus auf die Scheibe, die ich dort an den Baum hängen werde. Das sind genau fünfzig Schritt.“
Mit der Scheibe unter dem Arm zog er los und befestigte sie an dem von ihm bezeichneten Baum. Als er zurück kam, erschien auch Silvia. Sie nickte mir zu, wobei mir nicht klar war, was sie mir damit sagen wollte. War es als Aufmunterung gedacht, oder wollte sie mir mit-teilen, dass Reinald nun auf dem Weg war? Sie lehnte sich lässig an die Hauswand und sah zu, wie Fritz seine Pfeile abschoss. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Zwei steckten in dem schwarzen Fleck, der den Mittelpunkt der Scheibe anzeigte, nur einer lag ganz knapp daneben.
Nun war ich dran zu zeigen, was ich konnte oder auch nicht konnte. Ich wählte drei von Hagens leichten Pfeilen aus, steckte zwei davon vor mir in die Erde und lege den dritten auf die Sehne. Dann spannte ich den Bogen, visierte und schoss. Zu meinem eigenen Erstaunen hatte ich fast die exakte Mitte der Scheibe getroffen. Mit den beiden
anderen Pfeilen ging es nicht anders. Sie saßen so dicht neben dem ersten Pfeil, das gerade eine Messerklinge dazwischen passte.
Fritz hatte schon bei meinem ersten Schuss sein Siegerlächeln verloren. Er stand da und schüttelte den Kopf.
„Man muss auch verlieren können“, stellte er achselzuckend fest.
Obschon mir der Ausgang unseres kleinen Wettkampfes recht gleichgültig gewesen war, war mir sein Ergebnis nun doch etwas suspekt. Gut, ich bin schon immer ein recht passabler Schütze ge-wesen, hatte aber noch nie einen Wettkampf bestritten, geschweige denn einen gewonnen. Konnte es sein, dass meine ‚zauberhafte‘ Begleiterin an diesem für mich überraschenden Ergebnis nicht ganz unschuldig war? – Egal, wesentlich war, dass Reinald – hoffentlich! – die Gelegenheit zur Flucht genutzt hatte.
Während ich mit Fritz unsere Pfeile aus der Scheibe zog, erschien an der Hausecke eine stämmige Blondine.
Читать дальше