„Wohlan, Ihr müsst wissen, was Ihr tut.“ begann Volkwin.
„Gestern erhielt der Rat der Stadt Besuch von Gesandten des Bischofs von Paderborn. Hauptsächlich ging es um Geschäfte. Warenlieferungen der Hansekaufleute an das Bistum und um den Aufbau von Handelsbeziehungen zum Barkhof. Ganz nebenbei erwähnte dann der Gesandte, dass man einen Mönch namens Reinald suche, von dem man gehört habe, dass er sich in unserer Gegend aufhalte. Ihm werden Verfehlungen gegen die Kirche vorgeworfen, wegen derer er sich vor der Heiligen Inquisition zu verantworten habe. Der Stadtrat wurde gebeten, den Mann festnehmen zu lassen und dem Bistum zu überstellen. Ich, als Hauptmann der Wache, wurde damit beauftragt, dafür Sorge zu tragen, den Mann festzunehmen, wenn er sich in der Stadt blicken lassen sollte. Auch Suchtrupps sollen heute die Gegend durchstreifen und nach dem Mönch Ausschau halten. Ebenso werden die Wächter an den Durchgängen der Landwehr heute informiert.“
Reinald war bei Volkwins Bericht leichenblass geworden. Obwohl er ja damit gerechnet hatte, dass die Gesandtschaft des Bischofs nicht zuletzt seinetwegen in Lemgo weilte, schien ihn die Bestätigung seiner Befürchtung zu schockieren.
„Ihr habt damals mit Eurem Trank meinem Kind das Leben gerettet“, fuhr Volkwin fort. „Ich stehe tief in Eurer Schuld und halte es für meine Pflicht, Euch zu warnen. Was immer Ihr angestellt haben mögt, dass Ihr Euch den Zorn Eurer Oberen zugezogen habt, es ist mir gleich. Zudem glaube ich nicht, dass es gar so schlimm sein könnte.“
Der Offizier schüttelte den Kopf.
„Euch der Inquisition überstellen, als wäret Ihr ein erbärmlicher Ketzer. – So ein Unfug!“
Volkwin machte eine Pause.
„Packt Eure Sachen, Reinald, so lange noch Zeit ist, und macht, dass Ihr fortkommt. Verlasst den Einflussbereich des Bischofs. Mehr als Euch warnen und einen guten Rat geben, kann ich leider nicht für Euch tun.“
Bei seinen letzten Worten bedachte er Silvia und mich mit einem finsteren Blick.
„Falls Ihr jetzt überlegen solltet, Söldner, ob Ihr Euch mit dem, was Ihr eben erfahren habt, den Beutel füllen könnt – so denkt besser nicht weiter darüber nach. Falls Ihr den Mönch verraten solltet, so habe ich für Euch etwas anderes als gute Ratschläge.“
Er klopfte bedeutungsvoll auf den Griff seines Schwertes.
Ich hob abwehrend beide Hände, Silvia aber lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und schaute Volkwin gerade in die Augen.
„Was habt Ihr eigentlich gegen uns?“ fragte sie ruhig. „Genügt es Euch nicht, dass uns Reinald vertraut? Stört es Euch, dass sich mein Gemahl als Söldner verdingt? Aber tut er damit nicht das gleiche wie Ihr? Er kämpft wie Ihr für den, der ihn bezahlt. Oder stört Euch die Tatsache, das wir Fremde in Eurem Lande sind, und fürchtet Ihr uns daher? – Wenn es so ist, solltet Ihr allerdings bedenken, dass Ihr die Einheimischen – denn der Bischof ist ja wohl einer – wesentlich mehr zu fürchten habt.“
Der Hauptmann sah etwas betreten drein. Bevor er antworten konnte, ergriff Reinald das Wort.
„Streitet euch nicht, meine Freunde. Es stimmt, was Silvia sagt. Ich vertraue ihr und Roger -und Ihr; Volkwin, solltet es auch tun.“
Er holte tief Luft und seufzte.
„Ich hatte es ja schon erwartet, aber es schmerzt mich doch, die Gegend hier verlassen zu müssen. Immerhin habe ich hier Freunde gefunden.“
Er sah Volkwin an.
„Ich werde Euch vermissen.“
„Wie viel Zeit bleibt uns, ehe die Schergen hier erscheinen, Volkwin?“ mischte ich mich in das Gespräch ein. „Wann glaubt Ihr, wird man mit der Suche beginnen?“
Der Hauptmann zuckte die Schultern.
„Genau kann ich Euch das nicht vermelden, doch ich denke, bis zum Mittag wird eine Truppe hier gewesen sein. Es ist in der Stadt ja bekannt, dass in diesen Ruinen ein Mönch haust. – Doch Ihr sprecht von uns. – Wollt Ihr Reinald etwa begleiten?“
„Nun, vielleicht könnt Ihr, wenn Ihr’s schon nicht versteht, wenigstens akzeptieren, dass auch wir, obwohl wir Fremde sind, einem Freund in der Not beistehen. Oder, so Euch beides nicht möglich sein sollte, zumindest einsehen, dass Ihr nicht der Einzige auf dieser Erde seid, der gewisse Vorbehalte gegen einige Würdenträger der Heiligen Mutter Kirche hat?“
„Schon gut!“ Volkwin lächelte verhalten.
„Ich bin nun mal ein misstrauischer Mensch“, erklärte er. „Das ergibt sich schon aus meinem Beruf. Als Hauptmann der Stadtwache darf man nicht zu vertrauensselig sein.“
Ich sah in seiner Erklärung die Entschuldigung, als die sie gedacht war. Der Offizier schien wirklich ein feiner Kerl zu sein. Immerhin war es nicht ganz ungefährlich für ihn, den Mönch zu warnen. Dass er Silvia und mir misstraute, fand ich verständlich. Er kannte uns nicht und in seinen Augen waren wir lediglich fremdes Gesindel, wie es zu Hauf über die Straßen zog. Warum also sollte er uns vertrauen?
„Genug geredet. Lasst uns Eure Sachen packen“, sagte Silvia zu Reinald. „Je früher wir hier fort sind, desto besser. Wohin wir uns wenden, können wir immer noch entscheiden.“
Sie stand auf, trat neben den Mönch und legte ihm tröstend ihre schmale Hand auf die Schulter.
„Los, kommt, ich helfe Euch. Zum Trübsalblasen bleibt Euch später Zeit genug. Jetzt müssen wir erst einmal von hier fort.“
Auch Volkwin war aufgestanden. Er schenkte sich noch einen Becher Bier ein und stürzte ihn in einem Zug hinunter.
„Hört auf das Weib, Reinald“, sagte er. „Ich muss zurück in die Stadt, bevor man mich dort vermisst. Ich denke, es ist auch gut wenn ich nicht weiß, wohin Ihr gehen wollt. So mich jemand nach Eurem Verbleib fragen sollte, brauche ich wenigstens nicht zu lügen.“
Reinald erhob sich schwerfällig und schloss den Offizier in die Arme, wobei er Tränen in den Augen hatte.
„Ich danke Euch für Eure Hilfe, Volkwin. Es war eine schöne Zeit bei Euch. Ich werde Euch vermissen und hoffe, Ihr vergesst mich nicht ganz.“
„Wie könnte ich. Jedes Mal, wenn ich mein Kind sehe, werde ich an Euch erinnert. Was Ihr für mich und mein Weib getan habt ... .“
Volkwin konnte die Rührung in seiner Stimme nicht verbergen.
„Ach was!“ unterbrach er sich. „Macht, dass Ihr fortkommt! Wenn es Euch irgendwann möglich sein sollte, so lasst von Euch hören. Und jetzt gehabt Euch wohl – Kuttenträger.“
Er nickte uns noch einmal zu und ging, ohne sich ein einziges Mal umzusehen, über die Heide in Richtung Lemgo davon. Wir blickten ihm so lange nach, bis er in dem Hohlweg verschwunden war.
„Nun denn – lasst uns packen.“ Reinald schien aus seiner Lethargie erwacht und zeigte plötzlich Initiative. „Roger, dort hinter dem Anbau steht ein kleiner Handkarren. Holt ihn mir doch bitte. Er dürfte für meine Habseligkeiten ausreichen. Wenn Ihr, Silvia, mir beim Zusammensuchen behilflich sein könntet ... .“
Silvia nickte stumm und die beiden gingen ins Haus, während ich den Karren holte.
Innerhalb einer knappen halben Stunde hatten wir Reinalds Hausrat, die letzten Krüge mit Bier und natürlich auch seine geliebten Kräuter auf dem Karren verstaut. Wir setzten uns ein letztes Mal an den Tisch, um zu beratschlagen, wohin wir nun gehen sollten. Mir fiel dabei die Einladung des Bogenbauers ein.
„Sagt mal, Reinald, wo liegt eigentlich Cappel?“ fragte ich den Mönch.
„Auf halbem Wege zwischen Lemgo und Blomberg soweit mir bekannt ist. Was wollt Ihr dort? Es soll da nur ein paar Höfe geben.“
„Erinnert Ihr Euch an den Bogenbauer, den wir gestern auf dem Markt trafen? Er bat mich um einen Besuch. Es wäre doch möglich, dass wir erst einmal bei ihm unterkommen könnten. Wir wären jedenfalls aus dem Gebiet heraus, in dem uns die Lemgoer suchen.“
Das ist wahr.“ stimmte Reinald mir zu. „Allerdings glaube ich nicht, dass wir uns längere Zeit dort aufhalten können. Es ist nicht besonders weit von Lemgo entfernt.“
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