Aus dem Dunkeln erklang ein leises Lachen.
„Vielleicht stimmt das ja sogar. – Dennoch, irgendwie glaube ich ein unausgesprochenes ‚aber’ zu hören ...“
„Na ja, die Tatsache, dass du meine Gedanken ... Es erstaunt mich fast, dass dir das entgangen ist und du fragen musst.“
„Daher weht der Wind! – Keine Sorge, ich kontrolliere nicht ständig, was du denkst. Zugegeben, ich habe die Möglichkeit der Telepathie genutzt, um mit dir Kontakt aufzunehmen. Aber ich könnte mich nie in deine Gedanken einschleichen, ohne dass du es bemerken würdest. – Beruhigt dich das ein wenig?“
„Sehr!“ erwiderte ich erleichtert. „Kannst du die Gedanken von allen Menschen lesen? Zum Beispiel Reinalds?“
„Nein. Das ist so ähnlich wie bei einem Sender und einem Empfänger. Die Wellenlänge muss stimmen, sonst klappt’s nicht. - Sag mal, darf ich mich bei dir ankuscheln?“
Bevor ich antworten konnte, hörte ich das Stroh rascheln und fühlte, dass sie dichter neben mich rutschte.
„Du darfst mich übrigens gerne in den Arm nehmen. - Oder hast du etwa Angst vor mir?“
„Ein wenig schon“, gab ich in einem Anflug von Ehrlichkeit zu, schob aber dennoch den rechten Arm unter ihren Nacken und zog sie dichter an mich.
Sie befreite sich aus meiner Umarmung, richtete den Oberkörper auf und beugte sich über mich. Sehen tat ich es nicht, denn inzwischen war es so dunkel geworden, dass ich außer dem helleren Viereck der offenen Tür nichts erblickte. Ich konnte nur fühlen. Ich spürte ihren warmen Atem und ihre Haarspitzen, die mein Gesicht kitzelten.
„Vor mir musst du dich wirklich nicht fürchten“, flüsterte sie.
Obschon es stockfinster war, schloss ich die Augen, als sie mich küsste, und zog sie fest an mich. Sie machte es sich in meinem Arm bequem, hauchte mir noch ein ‚gute Nacht‘ ins Ohr und kurz darauf waren wir beide eingeschlafen.
„Ihr seid ebenso ein Verräter an der Heiligen Mutter Kirche wie jener dort“, sprach er und zeigte hinüber zum Scheiterhaufen, auf welchem man eben Reinald an den Pfahl kettete.
„Wer aber jene unterstützt, welche die allein selig machende ecclesia catholica verleugnen, der teilt deren Schicksal.“
„Heißt das, Ihr wollt auch mein Weib und mich auf den Scheiterhaufen stellen?“ fragte ich und begann, auch ohne die Flammen gespürt zu haben, zu schwitzen.
Der Geistliche verzog das Gesicht zu einem hämischen Grinsen.
„Nicht doch, nicht doch“, erwiderte er mit hohntriefender Stimme. „Selbstverständlich habe ich für jeden von euch eine andere Art ausgewählt. Das ist das Mindeste, was ich für Euch tun kann. Und schließlich steht dem gemeinen plebs doch ein wenig Abwechslung zu. – Meint Ihr nicht auch?“
Er griff in den Korb zu seinen Füßen und zog daraus eine sich heftig sträubende, fauchende Katze hervor.
„Eure Hexe hier werde ich steinigen lassen. Das heißt... – na ja, vielleicht lasse ich sie auch ersäufen. Wäre doch schade um das schöne Fell. Für Euch hingegen habe ich mir etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Ihr kommt zuletzt an die Reihe, damit ihr Euch daran ergötzen könnt, wie der Mönch und Eure Hexe vor Euch zur Hölle fahren. Dann werdet Ihr gerädert, ausgeweidet und endlich von vier Rössern zerrissen. – Seht, da kommen sie schon!“
Aus einer Gasse fuhren langsam nacheinander vier Landrover auf den Marktplatz und stellten sich nebeneinander hinter ihm auf. Einem der Fahrzeuge entstieg ein schmieriger kleiner Mann, der eine schmutzige Schürze umgebunden hatte, einem anderen ein reichgekleideter Kaufmann. Beide bezogen Position neben dem Geistlichen und lächelten mich an, wobei der schmierige Typ zwei Reihen schwarzer Zahnstummel entblößte.
„Meister Henreid hier“, der Inquisitor zeigte auf den Schmierigen, „wird schon dafür sorgen, dass auch nicht das Geringste von Euch
übrigbleibt. Wenn er erst einmal seine Pasteten mit Euren Resten gefüllt hat ....“
„Vorher muss ich aber eine Probe von ihm nehmen dürfen, das bin ich meiner Kundschaft schuldig“, unterbrach ihn Henreid. Er zog ein riesiges Messer unter seiner Schürze hervor und kam diabolisch grinsend auf mich zu.
„Beschädigt ihn mir nicht zu sehr, Henreid“, bemerkte der Inquisitor besorgt. „Schließlich habe ich noch einiges mit ihm vor.“
„Keine Sorge! Ich nehm’ nur seine Nase“, entgegnete Henreid, der inzwischen so dicht vor mir stand, dass ich seinen stinkenden Atem riechen konnte. Ich schloss die Augen, spürte, wie mir der kalte Angstschweiß ausbrach, fühlte, wie der Stahl seines Messer feuchtkalt gegen meine Nase stupste – und erwachte.
Benommen öffnete ich einen Spalt breit die Lider. Der Marktplatz und der Inquisitor waren verschwunden und statt zwischen die Zahnruinen Henreids blickte ich in die grünen Augen einer Katze, die dicht vor mir hockte und mich neugierig betrachtete. Im ersten Moment wusste ich nicht, wo ich mich befand. Völlig verständnislos starrte ich auf das Tier, als mir allmählich die Ereignisse des vergangenen Tages einfielen.
So absurd der Traum auch gewesen sein mochte, aus dem ich gerade erwacht war, die ‚Wirklichkeit’, in welcher ich mich wiederfand, schien mir nicht weniger aberwitzig. Ich lag im duftenden Heu eines Stalles und mir wurde klar, dass ich mich immer noch in einem längst vergangenen Zeitalter aufhielt. Ich befand mich im Mittelalter. Dazu in Begleitung einer hübschen Frau, die eigentlich eine Katze war.
Langsam richtete ich mich auf. Durch die weit offene Stalltür schien die Sonne auf den leeren Platz neben mir. Die Frau – wie hieß sie doch gleich? – richtig, Silvia! - fehlte. Nur nicht die Katze. Das Tier, das mich die ganze Zeit aufmerksam beobachtet hatte, war, als ich mich aufrichtete zwei Schritte zurückgewichen, aber nicht fortgelaufen. Herzhaft gähnend sah ich sie an und sagte:
„Komm, Silvia, lass den Quatsch.“
Das Kätzchen, ein junges Tier, völlig schwarz mit weißen Pfoten, antwortete mit einem lauten deutlichen ‚Miau‘.
„Jetzt lass doch den Blödsinn.“
Das Tier kam wieder einen Schritt näher, miaute erneut, machte ansonsten aber keine Anstalten, mitzuteilen, dass es meine Bitte verstanden hatte. In der Kate nebenan hörte ich Reinald rumoren.
„Silvia, es ist gut! Du hast deinen Spaß gehabt. Gleich kommt Reinald, um uns zu wecken. Wie willst du dem erklären, dass du eine Katze bist?“ sagte ich, nun schon etwas ärgerlich, und rieb mir den Schlaf aus den Augen.
Das Kätzchen kam noch näher, legte sich auf meinen Schoss und begann behaglich zu schnurren.
„Los, Mädel, red‘ mit mir!“
Langsam geriet ich in Panik. Warum, zum Teufel, reagierte sie nicht?
Ich streichelte das weiche Fell des Tieres und erntete ein weiteres, begeistertes Schnurren. Inzwischen war ich hellwach. Was nun? Verloren im Mittelalter? Von einer Zeitreise nicht zurückgekehrt? Warum sagte dieses verdammte Biest nichts? Typisch für mich! Kaum vertrau‘ ich einer Frau, schon fall‘ ich auf die Schnauze.
„Verdammt noch mal, jetzt ist es aber gut gewesen! Hör endlich mit dem Blödsinn auf!“ knurrte ich wütend das Kätzchen an, wobei ich es unsanft am Nackenfell ergriff und hochhob.
Erschrocken über die grobe Behandlung fauchte das Tier und versuchte mich zu kratzen.
„Lass das Theater – werd‘ lieber vernünftig!“
Ich hätte am liebsten laut gebrüllt, traute mich aber nicht, weil ich fürchtete, Reinald könne mich hören.
„Schau an, doch ein neuer Franz von Assisi. – Aber meinst du wirklich, dass dies der rechte Umgangston mit Tieren ist? Mit Frauen jedenfalls nicht, das kann ich dir versprechen.“, hörte ich Silvias Stimme von der Tür her.
Da stand sie lachend, während ich verdutzt auf das Tier in meiner Hand sah, das mich immer noch beleidigt anschaute.
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