„Ich wüsste nicht, worüber. Aber vielen Dank für das Angebot.“ Ich stand auf und ließ mich zur Tür geleiten. Sein Blick wirkte schon wieder so konsterniert. Gut, ich trug Jeans, Pullover und etwas abgetretene Stiefel, aber es war schließlich immer noch Winter, erst der vierte Februar! Was passte ihm denn nicht? Kamen andere Mandanten immer im eleganten Kostüm hierher? Außerdem war ich keine Mandantin, ich hatte ja nur etwas abzugeben! Ich war froh, als ich wieder draußen war, und strebte eilig zur Unibibliothek zurück, wo ich wieder etwas abzuholen hatte. Unterwegs kam ich bei Prechtinger & Garm vorbei. Normalerweise fand ich die Schaufenster einer Spedition nicht so wahnsinnig spannend, obwohl die winzigen Umzugslaster, die über den Boden krochen, schon niedlich waren, aber heute fiel mir das Plakat auf. Aufbewahrung – Schließfächer – Container . Ich trat ein.
Tatsächlich, man konnte ein großes Schließfach für ziemlich wenig Geld mieten – und hier kam ich immer vorbei, wenn ich in der Uni war, also konnte ich, was ich fertig gepackt hatte, hier abstellen. Sehr praktisch! Sie hatten auch recht günstige Reißverschlussboxen aus durchsichtigem Kunststoff mit Henkeln; ich nahm vier Stück mit, Platz sparend gefaltet, und verstaute sie mühsam in meiner Unitasche. Die müssten doch fast reichen?
Irina, die ich in der Vorlesung über den italienischen Manierismus traf, sagte nichts, als das Plastikzeug immer wieder aus meiner Tasche zu quellen versuchte. Wir schrieben beide stumm und eifrig mit (gutes Examensthema!), und erst, als wir schon getrampelt hatten und unseren Kram einzusammeln begannen, sprach sie.
„Du siehst irgendwie besser aus, finde ich. Weniger angespannt. Geht´s deiner Mutter besser? Hat man Tobi tot in einem Puff aufgefunden?“
„Das leider nicht“, kicherte ich, „aber ich fühle mich auch besser. Vielleicht kommt der Frühling. Und der Magister geht ganz gut voran, ich hab schon fast dreißig brauchbare Seiten. Und ungefähr fünfzig, die der reine Schwachsinn sind.“
„Besser als nichts. Schwachsinn ändern ist allemal besser, als auf den leeren Bildschirm zu glotzen.“
„Eben. Wenn ich echt gut bin, hab ich das Ding vielleicht sogar schon Ende März fertig!“
„Hetz dich doch nicht so! Ich versteh dich ja, aber was nützt dir ein schlechter Magister? Damit kriegst du nie eine wirklich gute Stelle!“
„Ja, vielleicht. Ich schau mal, wie weit ich bis zum Termin gekommen bin. Gehst du was essen oder gleich in die Surrealismus-Vorlesung?“
„Was essen. Und du strebst weiter?“
„Klar, du kennst mich doch!“
„Da bin ich mir nicht so sicher“, antwortete Irina zu meinem Erstaunen, „ich glaube, hinter der zurückhaltenden Fassade steckt mehr.“
„Ernsthaft? Das bildest du dir ein. Ich bin so, wie es aussieht, eine langweilige kleine Streberin, die sich nach einem ordentlichen Job und einem Einzimmer-Appartement verzehrt – das sie nie haben wird.“
„Warum nicht?“, fragte Irina erschrocken. Ich winkte ab – beinahe hätte ich mich verplappert! „Ach, nichts. Manchmal glaube ich eben, ich komme da nie raus. Vergiss es, das ist nur ein Bluesanfall. Guten Appetit! Heute sehen wir uns nicht mehr, ich hab nachher drei Führungen nacheinander.“ Irina winkte mir nach, als ich mich mit der Menge zum Ausgang schob. Surrealismus... das war am anderen Ende des alten Unibaus.
In den nächsten Tagen amüsierte ich mich, wenn ich nicht gerade Tee oder leichte Kleinigkeiten für Mama zaubern musste, die sie dann doch nicht aß, damit, meine Sommersachen durchzusehen, sie bis auf drei wirklich schöne T-Shirts, zwei pastellfarbene Paar Jeans, einen schwarzen Badeanzug und ein Paar dunkelblauer Ballerinas in die Altkleidertonne zu stecken, den kläglichen Rest zu waschen und zu bügeln, ihn mit Duftkissen in der ersten Plastikbox zu versenken und dann zu überlegen, was noch in diese Box passen könnte, denn es war noch reichlich Platz. Meinen Winterkram brauchte ich noch. Die alten Wollhandschuhe konnte ich wegwerfen, ein Paar aus Leder reichte schließlich, aber der Rest war im Moment noch unverzichtbar.
Schließlich packte ich das Minifotoalbum mit den Bildern, von denen ich sämtliche Familienmitglieder weg geschnitten hatte, noch dazu und die Mappe mit allen meinen Zeugnissen, Scheinen und sonstigen Dokumenten, außerdem die zehn allerliebsten Bücher, die ich besaß, sorgfältig abgestaubt.
Diese Box landete am nächsten Morgen, als ich mal wieder auf dem Weg zur Unibibliothek war, gleich in dem Schließfach, das ich gemietet hatte.
Professor Werzl, der immer noch eigenartig nervös war, wenn ich in seine Sprechstunde kam, lobte meine Fortschritte mehr, als sie es verdienten, und wieselte um mich herum, dass es mir schon fast peinlich war. Er würde es doch nicht sein? Aber woher sollte ein Kunsthistoriker um die Fünfzig denn eine Viertelmillion Euro haben? Geerbt? Vielleicht machte er Gutachten für Sotheby´s ?
Nein, wenn man ihn etwas länger beobachtete, schien er mir doch eindeutig vom anderen Ufer zu sein. Vielleicht machten Frauen ihn einfach nervös? Ach, das war doch auch egal! Jedenfalls war er´s nicht; in seiner Position musste man auch nicht heiraten, um seine wahren Neigungen zu tarnen. Dass er sich über meine Fortschritte so übertrieben freute, konnte ich schließlich auch für meinen Nutzen einsetzen – vielleicht stand da eine Traumnote ins Haus? Jedenfalls versprach ich ihm, zum nächsten Termin, Anfang März wieder in die Sprechstunde zu kommen und neue Erkenntnisse vorzulegen. In dieser Woche kam via Tiziano noch ein Fax des Unbekannten.
Die Trauung findet am 22.2. um 11.00 im Rathaus statt. Möchten Sie Trauzeugen? Vom Gesetz her ist es nicht mehr notwendig. Ich gehe davon aus, dass Sie, speziell vor Semesterende, keinen Wert auf eine Hochzeitsreise legen. Das würde zu unserer ungewöhnlichen Situation wohl auch nicht passen.
Bitte melden Sie sich, wenn Sie noch irgendeinen Wunsch bezüglich der Zeremonie haben, und teilen Sie mir ihre Ringgröße mit.
X.
Er stand mir an Kälte in nichts nach. Gut, jemand, der sich womöglich in heißer Liebe nach mir verzehrte, wäre doch eher peinlich gewesen. Von Tiziano beobachtet, griff ich nach einem Briefbogen und schrieb:
Trauzeugen halte ich für unnötig. Meine Ringgröße ist 1,80 cm. Sind Trauringe denn wirklich notwendig? Selbstverständlich habe ich keine besonderen Wünsche, das kommt doch wohl eher Ihnen zu, nicht? Bitte zögern Sie nicht, sie zu äußern!
N.
„Ziemlich seltsam“, kommentierte Tiziano, als ich den Bogen ins Gerät schob.
Ich zuckte die Achseln. „Ich habe das nicht arrangiert, aber ich bin einverstanden. Der kalte Ton ist mir ganz recht.“
„Du heiratest ohne Liebe?“
„Natürlich. Ich glaube nicht an die Liebe.“
„Du Arme! Ich schon. Wenn Maria und ich uns nicht lieben würden, hätten wir nie geheiratet, wie sollten wir sonst zusammen leben können?“
„Ich habe bis jetzt mit meinen Eltern zusammen gelebt, und das ging auch.“, wandte ich ein. „Und die liebst du nicht?“
„Nein. Papa kann ich nicht ausstehen, Mama tut mir meistens nur Leid. Ich glaube, ich heirate auch, um da herauszukommen.“
Die ganze Wahrheit war das nicht, aber die konnte ich ja auch niemandem erzählen. Wenigstens war jetzt alles geklärt! Ich brachte das schwarze Kostüm in die Reinigung, polierte die schwarzen Lackpumps, suchte die geeignete Wäsche aus und sortierte meine paar Habseligkeiten weiter.
Alle Uniunterlagen, Mitschriften, Seminararbeiten und sonstiges Material landete in zwei vollgepropften Ordnern, die ich in der zweiten Plastikbox versenkte; die dabei eingesparten Ordner landeten, eselsohrig, verbeult und zum Teil mit ausgeleierter Mechanik, in der Mülltonne, bis auf einen, in den ich all mein Magistermaterial verstaute. Der Unbekannte wusste also, dass ich studierte, und nahm sogar Rücksicht darauf. Das fand ich eigentlich nett. Vielleicht war er ganz okay?
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