„Du musst ihn verstehen“, bat Mama, „es nagt an ihm, dass er keine Arbeit findet.“
„Ach ja? Warum sucht er sich keine? Glaubt er, die Chefs klingeln hier und betteln auf Knien, dass er mit seinem miesen Examen bei ihnen eine leitende Position annimmt?“
„Das ist nicht so einfach“, antwortete Mama schwach und presste sich die Hand auf die Brust. Von dem Omelett hatte sie gerade mal zwei Bissen genommen, stellte ich betrübt fest, als sie unsicher aufstand und das Sofa ansteuerte.
Eigentlich hatten mir kräftige Worte über Versager im Allgemeinen und Tobi im Besonderen auf der Zunge gelegen, aber Mamas Anblick erschreckte mich. „Brauchst du deine Tropfen, Mama?“
„Ja, bitte, Kind. Zwanzig Stück in einem Glas Wasser, nicht zu kalt, du weißt ja.“
Ich eilte um ein lauwarmes Glas Wasser, zählte die Tropfen ab, reichte sie ihr, breitete die Decke über ihr aus und räumte den Tisch fertig ab. Irina hatte schon die Spülmaschine gefüllt. „Das ist mir jetzt aber peinlich – für Küchendienste bist du doch nicht gekommen!“, protestierte ich schwächlich.
„Oh doch! Wenn ich wissen will, wie du hier lebst, muss ich doch in deine Rolle schlüpfen. Hat sie das Omelett auch nicht gegessen?“
Ich wies den fast vollen Teller vor. „Komisch.“
„Warum? Sie isst wirklich fast nichts mehr. Mir macht das schon Sorgen.“
„Komisch ist, dass sie doch eigentlich eine ganz normale Figur hat, nicht? Wenn sie immer so isst wie heute – eine Gabel Reis, zwei Löffelchen Omelett, müsste sie bis aufs Skelett abgemagert sein, aber sie sieht total normalgewichtig aus. Du bist viel dünner. Hast du überhaupt was gegessen?“
„Bisschen Reis, es war ja alles weg.“
„Warum schnappt deine Mutter dir den Fisch weg, wenn sie ihn dann doch nicht mag? Und warum lässt dein Vater deinen Bruder herumpöbeln und regt sich dann über meine Manieren auf? Hier stimmt was nicht, finde ich.“
„Was soll nicht stimmen? Sie mögen mich eben nicht. Und ich mag sie auch nicht!“, stellte ich finster fest, knallte die Tür der Spülmaschine zu und schaltete sie ein.
„Und trotzdem lebst du hier? Pass auf, wenn ich mit den anderen rede, können wir mit der Miete sicher noch auf hundertfünfzig heruntergehen. Komm, nur drei Mädels, das wird total lustig, Suzanne ist auch eine ganz Nette.“
„Danke, aber ich brauche keine Almosen. Ihr müsst mir nicht die Miete leihen.“
„Entschuldige, ich wollte dich nicht kränken, aber ich dachte – Mensch, Nathalie, hier kannst du doch nicht bleiben!“
„Doch, ich kann. Und ich muss. Wenn sie mich mal rauswerfen, dann ist das was anderes.“
„Dich rauswerfen? Die werden den Teufel tun, dann müssten sie ja selbst ihre Ärsche hochkriegen!“
„Irina!“
„Ist doch wahr!“, murrte sie und wischte die Arbeitsplatte ab. Tobi schaute in die Küche. „Ich will ´nen Kaffee.“
„Dann koch dir einen“, blaffte ich ihn an. Für Mama, ja – aber für ihn?
„Na, Schätzchen? Und diese Gewitterziege soll deine Freundin sein? Was machst du heute Abend?“
„Meinen Freund treffen. Soll er seine Motorradkumpels mal bei dir vorbeischicken?“, fragte Irina freundlich. „Moto- nö, lass mal. Du verstehst ja auch keinen Spaß, was? Was ist jetzt mit dem Kaffee?“
Ich löschte das Licht und verließ mit Irina die Küche. „Weiß ich doch nicht.“
In meinem Zimmer fing sie wieder an, mir zuzusetzen. „Das ist doch kein Leben! Die beuten dich aus und schikanieren dich – lass dir doch nicht alles gefallen!“
„Keine Sorge – irgendwann komm ich schon hier raus.“
Schließlich gab sie es auf, wir gingen im Leichinger Hof noch etwas trinken und ich brachte sie zum Bus. Als ich dem Bus nachsah, wie er um die Ecke verschwand, kam ich mir sehr stiefkindartig vor – da fuhr sie hin, in ein freundliches und lustiges Zuhause, direkt im Univiertel!
Ich war ja auch das Stiefkind, jedenfalls wurde ich so behandelt. Kurz gab ich mich einem pubertären Traum hin – Papa war gar nicht mein Vater, sondern ein anderer Mann, der Mamas große Liebe gewesen war, und deshalb mochte er mich nicht und sie wagte, aus Angst, verstoßen zu werden, nicht, sich offen zu mir zu bekennen. Sehr überzeugend, wirklich: Ich sah Papa leider ziemlich ähnlich, und Mama mit ihrem Familieneinkommen würde nie verstoßen werden. Und selbst wenn – was verlor sie denn an dem mürrischen Kerl, der dauernd fremd ging und sich kaum um sie kümmerte?
Papas ewige halblaute Telefoniererei nahm schon fast suchtartige Ausmaße an. Ich hatte es aufgegeben, zu lauschen, wahrscheinlich ging es bloß wieder um das Geld, das er irgendwelchen dubiosen Gestalten schuldete.
Ende Januar war ich eigentlich recht zufrieden mit mir, weil ich mehr denn je verdient hatte (schon achttausendsechshunderteinundachtzig Euro standen auf meinem Depotauszug!) und sämtliches Material aus sämtlichen Archiven, Museen und Bibliotheken sich auf meinem Schreibtisch stapelte. Ich wusste sogar schon, wie ich die Arbeit aufziehen wollte, und hatte die Einleitung und das Methodenkapitel schon geschrieben. Mama schleppte sich immer noch zwischen Sofa, Bett und Esstisch hin und her und bat mich um kleine Snacks, die ihr dann nicht schmeckten. Ich beobachtete sie – Irina hatte Recht, wenn sie wirklich so appetitlos war, müsste sie erheblich abgemagerter sein!
Tobi verfolgte eine Frau, die seinen Worten zufolge das Heißeste war, was die die Welt je gesehen hatte. Hochinteressant! Hirn konnte sie keins haben, wenn sie auf ihn einging, aber so war er wenigstens aus dem Haus.
Als Papa mich an diesem Abend in sein Arbeitszimmer bestellte, durchforstete ich hastig mein Gedächtnis – hatte ich etwas angestellt? Das Kostgeld nicht bezahlt? Sollte ich mal wieder etwas Blödes für ihn erledigen? „Setz dich doch! Einen Cognac?“ Was war denn in den gefahren?
„Danke, nein. Ich stehe lieber. Also, was hab ich falsch gemacht?“
„Falsch? Wieso? Nichts natürlich!“
„Das wäre aber das erste Mal“, murmelte ich vor mich hin.
„Ich brauche deine Hilfe“, fing er nach einem tiefen Atemzug an.
„Wobei?“, fragte ich misstrauisch. Sicher etwas Krummes!
„Ich brauche Geld.“
„Du brauchst doch immer Geld. Sorry, ich hab keins.“
„Nicht genug auf jeden Fall.“
„Wie viel brauchst du denn?“ Warum fragte ich denn auch noch!
„Eine größere Summe, äh – ziemlich viel, also, ich weiß auch nicht, wie das –
kurz und gut, äh- “
„Kurz und gut?“
„Eine Viertelmillion.“
„Euro??“ Ich war platt. Das war schon etwas mehr als sonst.
„Natürlich Euro!“
„Was soll ich denn dabei tun? Eine Bank überfallen? Ich denke nicht daran!“
„Nein. Hast du eine Idee?“
„Klar. Verkauf das Haus, zieh mit Mama in eine Mietwohnung und schmeiß Tobi raus. Das Riesengrundstück, in dieser Gegend, ist bestimmt eine Dreiviertelmillion wert.“
„Mama bleibt das Herz stehen! Sie liebt das Haus!“
Was sich allerdings nicht in irgendwelchen Aktivitäten äußerte...
„Außerdem würde das zu lange dauern. Das Problem ist – ich brauche die Summe ziemlich schnell, genau gesagt noch im Februar. So fix lässt sich ein Hausverkauf samt Umzug nicht abwickeln.“
„Was ist, wenn du das Geld nicht rechtzeitig herbeischaffst?“
Er ließ den Kopf hängen. „Dann bin ich meinen Job los und lande im Knast.“
„Du hast in die Kasse gegriffen? Na bravo!“
„Lass deine moralischen Kommentare! Überlege lieber, wo ich das Geld hernehmen soll! Hast du noch Schmuck?“
„Den Familienkram. Der ist keine zweitausend Euro wert, vergiss es. Warum muss ich mir den Kopf zermartern, wenn du deine Firma betrogen hast?“
„Ich hab mir das Geld doch nur geliehen – eine todsichere Anlage, ich hätte es verdoppeln und verdreifachen können, aber...“
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