Neben dem reinen Sport hat das Laufen noch einen weiteren positiven Effekt: den großen Zusammenhalt in der Familie Karsch. „Wann hat man als Eltern das Privileg, mit seinen Kindern in dem Alter noch so viel Zeit zu verbringen? Wir genießen diese Zeit, und sie hält uns sehr dicht zusammen“, sagt Michael und denkt vorsichtig schon einen Schritt weiter: „Irgendwann wird der Michael dann als Großvater wieder Trainer sein...“ Auszuschließen ist das ganz sicher nicht in einer Familie, für die Laufen viel mehr ist als Freude an der Bewegung.
Foto: Katja Butschbach
Von Katja Butschbach
Vize-Mom soll kein Aschenputtel sein
„Stiefmütter sollen nicht ständig Aschenputtel sein“, sagt Autorin Susanne Petermann. In ihrem Stiefmutter-Blog schreibt sie seit Dezember 2014 über Herausforderungen des Lebens als Stiefmutter. Pinnwandfragen werden diskutiert, die rechtliche Seite beleuchtet. „Es ist eigentlich unglaublich, dass sich niemand diesem Thema gewidmet hat“, sagt die Ganderkeseerin. Beratungsangebote suchten Stiefmütter oft vergebens; täglich bekomme sie Nachrichten von Frauen, die sich bei der Lektüre des Blogs endlich verstanden fühlten.
Interviews mit über 500 Frauen
Mit über 500 Frauen hat sie Interviews geführt, deutlich mehr haben bereits Kontakt zu Petermann gesucht, die die Höhen und Tiefen des Stiefmutter-Daseins kennt: Sie hat einen Mann mit drei Kindern geheiratet. Beim Kennenlernen war das jüngste Kind 17 Jahre. „Es war alles prima, wir haben uns gut verstanden“, sagt die 53-Jährige. Bis plötzlich, nach drei Jahren, eine Tochter den Kontakt abbrach. Bis heute wissen sie und ihr Mann nicht, warum. Zu den anderen zwei Kindern sei die Beziehung „sehr gut und innig“.
„Vize-Mom“ oder „Steppmuddi“
Petermann, die selbst keine Kinder hat, freut sich mit denen ihres Mannes über Abitur und Uni-Abschlüsse, sieht sich als „gute Kontaktperson“ – oder einfach als „Frau von Papa“. Das Wort Stiefmutter mag sie nicht, da der emotional aufgeladene Begriff „Mutter“ darin vorkommt. „Vize-Mom“ oder „Steppmuddi“ sind ihr lieber.
„Eine Stiefmutter“, sagt sie, „setzt sich mit Kindern auseinander, die nicht ihre eigenen sind. Das ist nicht immer einfach.“ Im Hintergrund ist die leibliche Mutter, die vielleicht Angst davor hat, dass die Kinder auch die Stiefmutter lieben könnten.
Probleme von Stiefmüttern sind Tabuthema
Schon bevor sie im Internet aktiv wurde, startete Petermann 2012 mit den Recherchen für ihr im Frühjahr erschienenes Buch „Du hast mir gar nichts zu sagen! – Stiefmutter sein ist nichts für Feiglinge“. Sie sprach dafür mit über 200 Frauen. „Alle wollten anonym bleiben“, sagt sie. Probleme von Stiefmüttern seien ein Tabuthema. Totschlagargument anderer sei: „Du wusstest ja, dass er Kinder hat.“ Die Stiefmutter werde in ihren Bedürfnissen oft übergangen.
„Ich finde Gehör“
Die Situation in der Stieffamilie sei meist komplizierter als in der Ursprungsfamilie. Petermann fordert deshalb mehr Unterstützung für Stiefeltern. „Ich finde Gehör“, sagt sie. Mit der Delmenhorster Bundestagsabgeordneten Susanne Mittag (SPD) hat sie gesprochen, drei Bundestagsabgeordneten bereits ihr Anliegen vorgetragen. Sie will eine Auskunftspflicht der Schulen für beide Elternteile, damit Vater und Stiefmutter nicht von am nächsten Tag anstehenden Klassenfahrten überrascht werden. Auch kritisiert sie, dass es kaum Beratungsangebote gebe.
Bundesweit gründen sich Selbsthilfegruppen
Aktuell gründen sich auf ihre Anregung hin bundesweit zehn Selbsthilfegruppen für Stiefmütter, unter anderem in Delmenhorst. Wer selbst eine Gruppe gründen möchte, kann bei Petermann Hilfe bekommen. An einer Satzung für die Gründung des Stiefmutter-Vereins arbeite sie gerade.
Für das Zusammenleben in der Stieffamilie hat die 53-Jährige einige Tipps: „Man muss nicht die Mutter sein“, sagt sie. Sie empfiehlt auch, „nie in einen Wettbewerb mit der leiblichen Mutter einzutreten“ – und zugleich den eigenen Platz zu behaupten. „Was ich in einer Familie als ganz normal erwarten würde, gilt auch in einer Patchworkfamilie.“ Urlaube sollten also nicht zwischen Kindern und Mann abgesprochen und der Stiefmutter dann lediglich mitgeteilt werden. Stiefmutter zu sein, sagt sie mit einem Lachen, „ist kompliziert, aber nicht der blanke Horror“.
„Gerade bei kleinen Kindern ist es total schön, wenn sie sagen: ‚Ich hab dich lieb.‘“ So oder so: Die Stiefkinder „gehören zur Familie dazu“.
Foto: privat
Von Nele Hermes
Unterstützung durch 15 Geschwister
„Wenige Monate, nachdem ich das Autokennzeichen verschwommen gesehen habe, war der Nullpunkt erreicht. Da habe ich praktisch nur noch schwarz gesehen.“ Im Alter von nur neun Jahren erblindet Marco Brontsch aus Neuenkirchen. Auch wenn damals eine Welt für ihn und seine Familie zusammengebrochen ist, hat der heute 19-Jährige vor allem mithilfe seiner Eltern und 15 Geschwistern gelernt, mit der Erblindung umzugehen. Kurz vor seinem zehnten Geburtstag 2005 hüpft Marco Brontsch aus Neuenkichen wie eigentlich täglich mit seinen Geschwistern auf dem großen Trampolin in ihrem Garten. „Ich weiß noch ganz genau, dass sich ein Auto, ein Audi, aus circa 50 Metern genähert hat. Ich habe mich mit meinen Geschwistern gestritten, welche Initialen und Nummern das Kennzeichen trägt“, erinnert sich der heute 19-Jährige zurück. „Ich konnte das Kennzeichen einfach nicht richtig erkennen.“
Der Besuch eines Augenarztes in Münster bringt erste Gewissheit über seine verschwommene Wahrnehmung: Eine Erblindungsgefahr bei Marco sei sehr groß, erklärt der Augenarzt Marco und seiner Mutter Lilia – ein Schock für die ganze Familie.
Wenige Monate später konnte Marco nicht mal mehr verschwommene Bilder mit seinem linken Auge sehen, sondern alles war nur noch schwarz. „Auf dem linken Auge war ich blind“, sagt Marco, auch wenn er mit dem rechten Auge noch ein bisschen habe sehen können, sei auch die Sehkraft des zweiten Auges immer schlechter geworden. „Mit meinem rechten Auge konnte ich noch meine damals neugeborene Schwester Sofie sehen. Lee David hingegen habe ich nach seiner Geburt nur noch ein ganz bisschen erkannt.“ Die sechs Geschwister, die nach dem heute elfjährigen Lee David geboren sind, habe er nicht mehr sehen können.
Offiziell heißt es, so der 19-Jährige, sei er seit dem 12. November 2005 erblindet. Was er allerdings noch minimal wahrnehmen kann, sind Kontraste wie Zebrastreifen oder ob ein Licht in einem Zimmer eingeschaltet ist.
Erlernen der Punktschrift
Vor allem seine Eltern und Geschwister haben ihm geholfen, mit der Herausforderung der Erblindung umzugehen, und waren für den jungen Mann eine große Stütze. Denn an den Blindenstock wollte sich Marco anfangs nicht gewöhnen. Zu groß sei die Angst gewesen, auf seine Behinderung reduziert zu werden.
Zu Hause zum Beispiel hätten seine Eltern Regeln eingeführt, damit er nicht mehr über Fahrräder oder Bänke stolpern konnte, erzählt Marco. So durften Gegenstände nur noch in bestimmten Bereichen vor dem Haus stehen. Außerdem halfen ihm seine Geschwister dabei, nach und nach die Punktschrift zu erlernen, und lasen ihm währenddessen einfach Bücher oder Zeitungsartikel vor. Fußball spielen und Trampolin springen war auch dank seiner Geschwister weiterhin möglich. Beim Kicken haben seine Geschwister ihm den Ball gebracht und auf dem Trampolin gesagt, wo die Mitte ist.
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