Otto W. Bringer
Frankreich mit allen Sinnen...
Imprint
Frankreich mit allen Sinnen …
Otto W. Bringer
Alle Rechte bei Schillinger Verlag Freiburg
1. Auflage 2013 · ISBN 978-3-89155-380-0
Titelgestaltung und Fotos vom Autor
Gesamtherstellung: Schillinger Verlag Freiburg
E-Book Konvertierung:
sabine abels www.e-book-erstellung.de
Baix – Stop bei Kardinalsrot.
ST.RÉMY-DE-PROVENCE – Nachtigall singt.
ARLES – Hummer in Vanille.
AIGUES MORTES – nach 38 Jahren frei.
AVIGNON – Sprit alle und keine Tankstelle.
COLMAR – bei Grünewald und ‚Chez Fritz’.
ILLHAEUSERN – Storch klopft ans Fenster.
FONTAINE DE VAUCLUSE – Die Wasserschlacht.
FONTVIEILLE – Mühlengeschichten.
SAINT MAXIME – der verbeulte Hut.
ST. PAUL-DE-VENCE – der Klodeckel wars.
PÉROUGE – Völlerei ist nichts dagegen.
ROUSSILLON – Trostpflaster in Ockerrot.
NÎMES – Amphitheater hoch zweiunddreißig.
CARCASSONNE – ein Held in meiner Familie.
OBERNAY – farbig wie das Leben.
BRANTÔME – Madame ist ungehalten.
AVALLON – Beginn einer Pilgerfahrt.
TOUR – Konzert mit Schneeglöckchen.
AMBOISE – wo es am Französischsten ist.
ANGERS – das siebenköpfige Meerestier.
CHEVERNEY – die Jagdhunde sind losgelassen.
PARAY-LE-MONIAL – Taschenausgabe von Cluny.
MÉNERBES – zu viel Eiweiß, Eiweiß, Eiweiß.
GORDES – alte Töpfe und moderne Kunst.
MONTMAJOUR – der große Klang.
ORANGE – Flüsterprobe vor dem Kaiser.
BONNEVEAUX –TV verdirbt den Ferienspaß.
ÈZE DE VILLAGE – Ein Tag ohne Zahnbürste.
LAC D´ANNECY – Spektakel ohne Ende.
SAINT-ANNE-DE-PALUDE – Traum von der Bretagne geplatzt.
Baix – Stop bei Kardinalsrot.
Auf der Route du Soleil kommen wir schnell voran. Immer der Rhône entlang. Auch wenn wir sie nicht sehen. Schönes Gefühl südwärts zu fahren. Richtung Mittelmeer. Ausfahrt Loriol. Hopps über die Rhône. Entspannt über wenig befahrene Landstraßen. Durch Dörfer, die ihren Mittagsschlaf halten. Eines von ihnen Baix. Kennt kein Mensch. Außer dem Kardinal.
Wir hatten diesen Zwischenstopp ganz simpel errechnet. Die Kilometer der ganzen Fahrt halbiert. Finger auf Baix gelegt. Die Landkarte lügt nicht. Unser Hotel heißt ‚Le Cardinal’. Eines der ersten Mitglieder der Nobelkette ‚Relais&Chateau’. Verspricht angenehmes Wohnen in historischem Ambiente. Landhaus oder Schloss. Rose kennt das ein und andere und schwört darauf. „Du wirst staunen, wie echt alles dort ist. Mit den Jahren gewachsen. Kein modischer Schickschnack. Inhaber und Service sind Menschen wie Du und ich.“
Wir müssen sechzehn Stufen hoch. Es ist heiß. Hinter uns rauschen Erlen und Rhône. Madame sieht uns. Ruft einen Kofferträger. Eilt uns entgegen: „Avez-vous fait bon voyage?“ Gute Fahrt gehabt? Geht, kommt wieder. In den Händen ein silbernes Tablett mit zwei geschliffenen Gläsern, in denen drei Eiswürfel klinkern. Eine Flasche gekühltes Badoit l´Eau Mineral. Auf einem Schälchen Zitronenviertel. Im separaten Glas eine purpurrot gedunkelte Sommeraster. „Bienvenue ici, dans Cardinal!“ „Merci Madame.“ Das Rot der Purpurschnecke wird unser Symbol für ‚Cardinal’ und alles, was uns wohl tut.
Kardinal Richelieu nächtigte in diesem Haus, wenn er unterwegs zu Verhandlungen mit den Habsburgern war. Deshalb gab man dem Hotel später diesen Namen. Die zwielichtige Gestalt des siebzehnten Jahrhunderts spielte im dreißigjährigen Krieg Habsburg gegen die Schweden aus. Und umgekehrt. Zugunsten Frankreichs. Europa unter französischer Krone, sein Ziel. Nicht unter der habsburgischen Universalmonarchie. Wir sind froh, dass es hier nicht mehr um Macht geht. Sondern um die seltene Gelegenheit, von einer grande Madame mit französischem Charme verwöhnt zu werden. Merci Madame de la Motte.
Sie empfiehlt uns, nicht hier im Haus, sondern in der Dépendance ein Appartement zu nehmen. Etwa anderthalb Kilometer vom Abendessen entfernt. „Très bien, nous acceptons votre offre.“ Wir akzeptieren. Ein Fahrer fährt uns voran. Bis wir da sind, wo wir immer wieder sein wollen, wenn wir in Baix einen Stopp einlegen.
Der Kies knirscht unter den Rädern als ich bremse. Wir sehen zwei Gebäude T-förmig zueinander. Aus graublonden Natursteinen aufeinander gestapelte zwei Etagen. Eines mit den Gäste-Appartements. Das zweite mit Wirtschaftsräumen und einer Küche für die kleine Mahlzeit. Wir nehmen das Erdgeschoss auf halber Höhe, fünf Steinstufen hinauf. Ein ausladender Kastanienbaum beschattet die kleine Terrasse vor der Tür. Übervoll mit Früchten. Leichter Wind bewegt die Blätter. Es raschelt Willkommen. Aus einer geplanten Nacht werden drei. Purpurrot hält uns fest. Alles atmet Bleiben und Wiederkommen.
Gegen acht fahren wir zurück ins Haupthaus. Die Terrasse hat sich auf den Abend vorbereitet. In drei großen Holzbottichen bunte Sommerastern. Auf allen Tischen Decken aus festem Tuch. Purpurrote, auf denen sich weiße Platzteller optisch gut behaupten. Bereit für das, was kommt. Wir sind gespannt. Ich beobachte das Farbenspiel in den Gläsern. Purpur verdünnt sich, wird rosa. Changiert zu blauviolett. Wird klar, als wir uns mit Witwe Cliquot zuprosten. Und das letzte Licht des Tages durch das Glas leuchtet. „Santé!“ Zum Wohl. Die kleine weiße Vase schaut uns an mit gelben und purpurnen Augen.
Roses nackte Schulter fließt in die Beuge des Armes. Ein Bild für die Götter. Schöner als ich sie sah bisher. Weicher als ich sie tastete bisher. Leicht gebräunt unter Trägern bis in den tiefen Ausschnitt ihres schwarzen Hängers. Inmitten vielerlei Purpurrot in Varianten.
Futter für meine unersättlichen Augen. Die meerwärts rauschenden Wasser der Rhône in den aufgerissenen Ohren. Was will ich hören? Was sehen? Was erwartet uns noch?
Drei Seeteufel wie Boote. Sternförmig arrangiert. In den Zwischenräumen schlank geschnitzt Kartoffel, Zuccini und Möhre. Umflossen von einer vanillefarbenen Sauce, die Estragon schmecken lässt. Auf dem Rand des schlichten, dickweißen Tellers sechs Zitronenscheiben. Kein feines Limogeporzellan. Solides Alltagsgeschirr für ungepolsterte Terrassen. Was herunter fällt, zerbricht sofort in hundert Stücke. Und kostet kein Vermögen. Die feine Küche enttäuscht uns nicht. Jeder Abend auf der Terrasse ein Fest für Augen, Zunge und Herzallerliebste. Erste Nacht.
Das Telefon klingelingt. „Bon jour Monsieur, m´excusez. Voulez-vous vos oeufs à la coque ou dur?“ Am Telefon Hélene. Weich oder hart das Frühstücksei? Frühmorgens um elf. Nach der unruhigsten Nacht seit Wochen. Im roh verputzten, milchweiß gekalkten Raum ein französisches Bett. Platz für anderthalb. Da muss man sich schon sehr lieben, um schlafen zu können. Wir lieben uns, rutschen zusammen. Schlafen ist Glücksache.
Die feine Damastdecke unterm Wolltuch kühlt unsere erhitzten Körper. Aber nicht meine Gedanken. In der sehr warmen Nacht. Sehe durch das weit offene Fenster Sterne, die ihr Licht nicht löschen wollen. Uhu ruft unentwegt uhu. Der breite Schrank an der Wand strömt Eichenduft aus. Vermischt mit dem geölter, eiserner Beschläge. Es riecht nach Handwerk. Die Teppichbrücke rutscht auf dem Steinboden hin und her. Jedesmal, wenn ich mal irgendwohin muss. Das war oft. Konnte nicht schlafen. Dachte ans Geschäft. Rose schläft den Schlaf der Engel. Zusammengerollt im schimmernden Damast. Zu schön das Bild, um es wach zu küssen.
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