Otto W Bringer - Weil wir anders sind

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Kein Ereignis, kein Gedanke in diesem Buch, der nicht fesselt, erkennen lässt: Enis Rôm ist einer, der anders ist, als Sohn von Zigeunern, die die Gesellschaft verachtet und diskriminiert. Anders, weil er nicht darunter leidet. Als Sechsjähriger spielt er perfekt die Geige. Mit achtzehn ist er überzeugt, dass Musik die Menschen toleranter macht. Das Studium am Mozarteum in Salzburg besteht er mit Summa cum Laude.
Immer schon reizte ihn Neues, machte er sich Gedanken; über alles, was er täglich erlebte, in Büchern las. Zweifel an Gott und Religion, Liebe und Eifersucht treiben ihn um. Er schreibt alles auf, um sich selbst zu vergewissern: die Grundlage dieses Buches.
Leser die Musik lieben. vom hilosophischen, religiösen Fragen bewegt werden, von Gewissenkonflikten gequält sind, kommen voll auf ihre Kosten. Es geht um die Beziehung zwischen Mann und Frau, Sehnsucht, endlich ein Zuhause zu haben. Und um die Angst eingesperrt und getötet zu werden – von den Nazis. Weil Anderssein für sie ein Grund ist, ganze Völker umzubringen. Er hat den Vater im KZ sterben sehen und weiß, er kann der Nächste sein.
Wer kann, rette sich selber.

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Otto W. Bringer

Weil wir anders sind

Tagebuchnotizen eines hoch

begabten und ehrgeizigen

Zigeunerjungen nacherzählt

Imprint

Otto W. Bringer

Weil wir anders sind

Copyright: © 2019 Otto W. Bringer

Umschlag u. Fotobearbeitung: Otto W. Bringer

Konvertierung: Sabine Abels – www.e-book-erstellung.de

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Wer bin ich? Wie sehen mich andere?

Laut Melderegister in Österreich heiße ich Enis Badžo. So steht es tintenblau auf Weiß in den Akten. Und auf dem Papier, das wir immer bei uns haben müssen. Abgestempelt und bestätigt von einem gewissen Herrn Myrhff, wenn ich es richtig entziffert habe. Ja, diese Art Unterschriften sind wichtig in einem Beamtenstaat. Unleserlich, mit so viel Schnörkeln, als wollten sie einen Schreibkunstpreis gewinnen. Aber unleserliche Hieroglyphen. Woher ich dieses Wort habe? In Wien besuchte ich vor kurzem eine Ausstellung über Ägypten. An einem Tag der offenen Tür, der Eintritt gratis. Auf großen Tafeln stand, was eine Mumie ist und die Schrift darunter bedeutet. Diese für uns unlesbaren Schriftzeichen nennt man Hieroglyphen.

Meine Eltern sind Roma. Bin ihr einziges Kind. Einer von denen, die man hier Zigeuner nennt. Weil sie anders aussehen. Nicht in Häusern wohnen. Von Land zu Land ziehen, von Ort zu Ort, eine Heimat zu finden. Blicke ich in den Spiegel, erkenne ich den typischen Roma. Meine Haut nicht weiß, sondern dunkel. Nicht wie die von Afrikanern, die man Schwarze nennt. Heller wie gebrannte Siena auf der Künstlerpalette. Oder gegerbtes Leder von Tierhäuten. Meine Augen sind Dunkel. Von einem Schwarz, das leuchtet von innen her. Die Haare schwarz, mal lang wie sie wachsen. Mal kürzer geschnitten. Rasiert habe ich mich noch nicht wie mein Papa. Unsere Sprache ist anders. So anders, dass wir uns nur untereinander verständigen können. Deshalb lernen wir die Sprache des Landes, in dem wir ankommen auf unserer Pilgerfahrt.

Ja, unterwegs sein ist unser Leben. Nur vage ein Ziel vor Augen: Ankommen, wo auch immer es sei. Ankommen und bleiben dürfen. Pilgern jedes Jahr nach «Saintes-Maries-de-la-Mer» an der Rhone-Mündung. Ein symbolträchtiger Ort. Denn unsere Schutzheilige, die «Schwarze Sara», wie wir dunkelhäutig, liegt dort begraben. Floh aus Äthiopien, fand Arbeit in Jerusalem. Diente zwei Jüngerinnen Jesu als Magd. Begleitete sie nach dessen Himmelfahrt auf ihrer Reise bis in dieses Fischerdorf am Mittelmeer. Um von da aus die Franzosen zum Christentum zu bekehren.

Aus vielen Ländern Europas reisen Roma und Sinti einmal im Jahr dort hin. Versammeln sich am 24. Mai vor der Kirche. Beten in der Krypta und schmücken die Statue ihrer Sara mit neuen, selbst geschneiderten Kleidern. Tragen sie in einer langen Prozession* auf den Schultern. Singen «vive la Sara» und «vive les Saintes Maries.» Bis Meereswellen ihre Knie umspülen. Das Meer ist Weg und Ziel im Irgendwo.

Als ich Vierzehn war, begann ich das Schicksal der Roma, das auch meines ist, aufzuschreiben. Es war etwa Mitte Februar 1926, als sich Unerwartetes, Eindrucksvolles ereignete. Beim Herumstromern im Wald entdeckte ich eine Hütte aus Reisig. Kaum erkennbar im dichten Unterholz. Vorsichtig sah ich hinein und entdecke im Schein einer Kerze einen alten Mann. Älter noch als mein Großvater. Schlohweiß sein langes Haar, das bis auf die Schulter fiel. Erfahrung eines langen Lebens in den Falten seines Gesichts. Ein Buch vor sich, in dem er zu lesen schien. Blickte kurz auf und sagte:

„Setze Dich zu mir. Ich werde Dir aus diesem Buch vorlesen, was Du wissen musst. Wenn Du die Welt begreifen willst. Gott hat das Universum erschaffen, den Himmel und die Erde. Der Himmel aber ist weit weg. Wir Menschen können nur glauben, dass es ihn gibt – oder nicht. Die Erde aber müssen wir verstehen und gestalten nach unseren Vorstellungen. Damit wir auf ihr und von ihr leben können. Voraussetzung dafür ist, alles zu studieren, was auf der Erde, in der Luft und im Wasser lebt. Sich ständig verändert und doch immer dasselbe bleibt. Apfel ein Apfel. Meise eine Meise. Forelle eine Forelle. Mensch ein Mensch. Übrigens das einzige Lebewesen, das gut mit schlecht verwechselt. Und umgekehrt. Wenn es für ihn von Vorteil ist.

Von allem gibt es Bücher, die weise Männer geschrieben. Ich lese gerade eines von Nostradamus, der im Frankreich des 16. Jahrhunderts lebte. Zahllose Gedichte schrieb, das Evangelium deutete, die Gleichnisse. Unwetter vorhergesagt und den Untergang der Welt im Jahre 1999. Das zweite Jahrtausend wird nicht zu Ende gehen, wenn dies geschieht. Ein Menschenleben noch bis dahin. Du kannst es glauben oder leugnen. Dich darauf vorbereiten oder nicht. Du wirst es vielleicht erleben. Ich nicht. Bis dahin habe ich längst das Zeitliche gesegnet.

Lehrreich auch Nostradamusʼ Erkenntnisse als Arzt und Apotheker. Kurzum, es gibt genug Möglichkeiten, sich klüger zu machen als die meisten Menschen. Obwohl sie, Gott sei ʼs geklagt, sich für die klügsten aller Lebewesen halten. Ohne je ein Buch gelesen zu haben.

Mein Rat an Dich: besorge Dir so viele Bücher wie Du kannst. Auch Du kannst nie genug wissen. Um am Ende zu begreifen: der Mensch ist das, was er weiß. Und aus diesem Wissen das Beste macht. Schreib auf den Sinn dessen, was Du gelesen hast. Erst mit deiner Hand geschrieben wird es zum Gesetz, dem du folgen musst. Willst Du Dich selbst nicht verraten. Vergiss nicht, Dir eigene Gedanken dazu zu machen. Ein jeder hat seine eigene Auffassung von der Welt. Vergleiche und überprüfe Deine jeden Tag, den Du lebst. «Erkenne Dich selbst» galt schon vor fast dreitausend Jahren im antiken Griechenland. Am Fries des Tempels von Delphi in Stein gemeißelt. Nur dann kannst Du anderen gerecht werden.“

Taumelte nachhause, verwirrt und glücklich. Ich werde in Buchhandlungen nach ausrangierten Büchern suchen, weil sie fast nichts kosten. Den Verkäufer nach den interessantesten fragen. Über das Weltall, die Gestirne, Menschen, Völker und ihre Geschichte, das Leben der Tiere. Und alles, was es über Musik gibt. Ich werde sparen wo ich kann. Taschengeld nur noch für Bücher ausgeben. Meine Eltern bitten, mir Geld zu schenken statt neue Stiefel. Nachbar Schabo kann die alten flicken und ich mir ein, zwei Bücher kaufen. Und tausend Blatt weißes Papier, Bleistifte jede Menge. Nie werde ich diesen Satz vergessen: kaufe Bücher so viel du kannst und schreibe auf, was du gelesen und daraus gemacht hast.

Jetzt ist mein Blick für Gedrucktes wach. Unbekanntes wird bekannt werden. Geträumtes wirklich. Die Chance, Neues kennenzulernen, fasziniert mich. Sie wird mich zu den verrücktesten Ideen inspirieren. Visionen, die mein Leben erst lebenswert machen. Ob sie jemals Wirklichkeit werden, weiß ich nicht. Aber träumen von Möglichkeiten ist schöner als alles, was wirklich ist. Mögen andere mich auch für einen Spinner halten, einen Tagträumer. Oder einen, der sich einbildet, etwas Besonderes zu sein. Nur weil ich die Geige perfekt spiele, seit ich sechs bin?

Ob sie Recht haben oder nicht: Ich ahne, alles ist möglich, wenn ich es mir wünsche: Eines Tages werde ich der beste Geiger der Welt sein.

Bevor ich mit dem Aufschreiben beginne, erinnere ich mich an das, was ich als Kind erlebte. Lernte auf der Geige zu spielen. Spiele sie perfekt seit ich Sechs bin. Sehr gut sogar, wie mir sagen, die mich schon mal gehört. Könnte ein zweiter Niccolò Paganini werden, oder Pablo de Sarasate. Mein Vater konnte das Instrument auf einem Flohmarkt billig erwerben. Schenkte es mir zum meinem sechsten Geburtstag. „Nun übe mal fleißig“, sagte er und sah mich ernst an. „Wir müssen besser sein als die anderen“. Erinnere mich noch genau: Besser muss ich sein.

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