„Madame Hélène, les oefs à la coque, mais dans une demi heure s´il vous plait.“ Eier weich gekocht, aber bitte warten Sie noch eine halbe Stunde. Das gekachelte Bad macht Lust, lange zu bleiben. Alle Wände Gelb mit blauen Arabesken, Sternen, Sonnen, Vögeln. Noch nie beobachteten uns Papageien im dezenten Lampenlicht. Beim Duschen, Schminken, Lokussieren. Blauzärtlich gemalt auf sonnengelben Kacheln. Erinnern an Azuleios in Portugal und Spanien. Wie schön, die Sonne weckt uns persönlich im unausgeschlafenen Haus. Rose ist entzückt. Und glücklich, wie sie sagt. Ihre Augen strahlen mich aus dem Spiegel an. Setzt den Stift an die Braue.
Kann nicht anders, umarme sie. Sofort und so heftig, dass der Augenbrauenstift verrutscht. Über die linke Stirnseite fährt. Schwarz hinterlässt, wo es nicht hingehört. Rose lacht als sie in den Spiegel blickt. Gibt mir den Stift: „Wenn Du auf die andere Seite auch noch einen Strich ziehst, bin ich Marlene.“ Die Diva kennt man ja mit ihren hochgezogenen, dünnen Brauen. Schlinge meinen linken Arm um Roses Hals. Mit der rechten ziehe ich zärtlich den Strich auf der rechten Stirnseite. Langsam, um sicher zu gehen, dass er gelingt. Rose sieht jetzt vier Brauen auf der Stirn. Lacht laut: „Morgenmaske beim ersten Frühstück im ‚Cardinal’. Merci bien, mon artist.“ Danke, mein Künstler. „Était grande plaisir pour moi.“ Es war mir ein großes Vergnügen. Französisch zwischen Deutschen kein Problem.
Frühstücken auf der Miniterrasse. Gerade Platz für den kleinen runden Tisch und zwei Gartenstühle. Jenen aus geformtem Gusseisen. Die aussehen, als könnte der Gießer Rokoko nicht vergessen. Hübsch, aber hart. Trotz bunter Kissen. Macht nichts. Wir genießen die Stunde. Die Uhr tickt lautlos. Ein Gockel kräht. Die Kastanie versucht vergeblich, die helle Mittagssonne aufzuhalten. Raschelt mit den Blättern. Sonne wandert. Landet auf unserem Frühstückstisch. Wärmt unseren Rücken. Lässt den Tee langsamer erkalten. Nehme den Merian und suche Interessantes aus dieser Gegend. Kein Schloss, keine Kirche von Belang.
„Was machen wir?“ Rose beantwortet sich selbst: „Ich gehe schwimmen. Schnappt ihre Badetasche. Mit Buch, Zigaretten und Feuerzeug. Schlingt ihr blaugrünrotes Baumwolltuch um den nackten Leib. Läuft barfuss durchs Gras bis zum Pool. Ich erwische sie mit der Kamera. Hingerissen von diesem fliehenden, blaugrünroten Wesen. Rose, ich liebe Dich. liebe Dich.
Greife zu Merian, Badetuch und Notizblock. Ihr nach. Am blauen Pool auf schräger Böschung landen wir nacheinander. Streicheln uns gegenseitig den Rücken mit Sonnenfluid glatt. Fühle ihre Wirbelsäule. Tiefer die Mulde. Lege mich auf den Bauch und lese. Bis mir die Augendeckel zufallen. Und meine Haut langsam ein Tönchen dunkler geworden ist. Röter, korrekt gesagt. Schwimmen, trinken Kaffee und planen nichts.
Einen Tag faulenzen ist gut und schön. Dann wird es uns langweilig. Nach dem zweiten Frühstück: „Gehen wir doch einfach los. Den Weg abseits der Straße.“ Schon sind wir in Obstgärten. Plantagen wäre zu groß gesagt. Gärten mit Reihen von Äpfeln, Birnen, Pfirsichen an niedrig gehaltenen Bäumen. Pflückerfreundlich. Wir gehen längs der Reihen. Den Hang hinunter. Den Hang hinauf. Wundern uns, wie weit das Obst gereift ist. „Hier ChouChou sind die schönsten!“ Oh, hin und wieder nennt sie mich so. Wie die Franzosen den Liebling in ihren Familien.
Fotografiere drauflos. Im Vorübergehen. Prallrote Äpfel, saftgelbe Birnen, rundsüße Pfirsiche. Jedes Mal, wenn ich stehen bleibe, will ich eine der Verführerischen herunter reißen. Hineinbeißen. So provokativ gesund sah ich Obst bei uns nie. Sind sicher gespritzt sind mit Insektiziden. Antiwurmmittel? Wir sehen keinen Wurmkanal. Soweit wir auch gehen. Die Würmer höchst persönlich schon gar nicht. Lasse die Gartenfrüchte hängen, wo sie hängen. Das Wasser noch lange im Mund.
„Hier, ein schöner Apfel für Dich, Chou-Chou. Zuhause wasche ich ihn gründlich. Damit Du hineinbeißen kannst, nach Herzenslust. Ich mach mir nicht viel aus Äpfeln.“ Rose, praktisch denkend, tut ganz einfach das, was nahe liegt. Steckt den Apfel in ihren Beutel. „Gehen wir.“
Es ist Mittag. Ins Hotel wollen wir nicht zu Fuß. Da, an der Route Regional ein Lastwagen-Stop. Häuschen und ein rotweißer Sonnenschirm. „Riskieren wir´s.“ Setzen uns an einen der drei freien Tisch. Auf Klappstühle. CocaCola über uns. Gläserner Aschenbecher auf der nackten Platte. Schwarzer Kater streicht um unsere Beine. Männer im blauen Overall stehen, reden, picken mit Plastikgabel Gulasch aus der Schale. „Que desirez-vous manger?“ Der große Mann im geblümten Hemd fragt, was wir essen möchten. Als hätte er eine Speisekarte. Auf den Tischen sehen wir keine.
Rose: „Nous aimerions une omelette avec Salat. Et un pichet de vin blanc.“ „Très bien, un instant, madame.“ Mit Omelett sind wir immer gut bedient in Frankreich. Sicher auch hier. Hören Hühner gackern. Sehen den Mann über die Straße in seinen Garten laufen. Zurückkommen mit einem Kopfsalat in der Hand. An dem noch dunkle Erde klebt. Verschwindet in der Küche. Es duftet nach langsam sich bräunendem Eierteig.
Drei Mal machten wir bei Purpurrot Stop. Auf Fahrten in die Provence. Dann erkrankt Madame de la Motte. Gibt das Hotel in die Hände eines kapitalkräftigen Käufers. Aus dem Privatuntenehmen wird eine Kapitalgesellschaft. Wenig später lädt Relais&Chateau seine Gäste zu einer Präsentation alter und neuer Häuser in ganz Europa. Treffpunkt Wasserschloss Hugenpoet bei Kettwig an der Ruhr. Auch jahrelang Mitglied. Dreiviertel Autostunde nah.
Wir fahren nach Kettwig. Finden eine Parklücke am Zuweg. Viele noble Karossen nahe beieinander. Der Club der Besserverdienenden. Gehen die Geschäfte gut, leisten wir uns eines der unvergleichlich angenehmen Häuser in Italien und Frankreich. Sind neugierig, was gibt es Neues? Was macht unser ‚Le Cardinal?’ Im dunklen Fachwerkinnen des Hugenpoet glänzt nur das schwarzweiße Schachbrett des Bodens. Und die Tische der einzelnen Mitgliedshäuser. Jedes mit Kostproben seiner Küche. Überall lächelnde Gesichter. Ob sie damit allein neue Gäste gewinnen?
Etliche kennen wir: ‚Espérance’ in Vézelay, Burgund. ‚Abbay la Pommeraie’ in Selestat, Elsass. ‚Moulin de l´Abbay’ in Brântome, Dordogne. ‚Château de la Chèvre d´Or’ in Éze Village, Côte Azur. ‚Loiseau’ in Saulieu, Burgund. Madame Loiseau lächelt uns besonders freundlich zu. Ihr Mann erhängte sich letztes Jahr, als er seinen zweiten Michelin-Stern verlor. Mittlerweile gibt es Köche, die ihren freiwillig zurückgeben. Was ist ein Stern? Druck loswerden ist mehr. Mehr Freiheit für die Kunst, ihre Motivation.
‚Le Cardinal’ mit jungen Leuten aus Paris. Nicht unsympathisch. Erzählen uns, alles sei besser jetzt als früher. Wir naschen vom Amuse Bouche. Machen grosse Augen und sagen zu. Ein halbes Jahr später sind wir dort. Äusserlich alles beim Alten. Die Küche strengt sich an: Hummersüppchen unter Blätterteig. Lecker. Vom Rest schweigen wir. Nur soviel: Statt Purpurdecken weiße. Der Swimmingpool ohne Wasser. Der gute Geist des Hauses ausgefahren. Denken traurig an Madame de la Motte. Und ihre kleinen Topfgärten mit purpurfarbenen Astern auf purpurfarbenen Tischdecken. Wie geht es ihr wohl? Rose wischt eine Träne weg.
„Zwischen Calamari und den gelben Schlucken aus dem Achtelglas beiße ich die Worte – um sie in den Vers zu bringen der sie wiederholbar macht – duftend nach Öl und Knoblauch – schmeckend nach Meer und Traube und Sand – für den Fall, daß ich eines Tages meine Freuden nur noch aus Erinnerungen pflücken kann – weil mich meine Füße nicht mehr zu den Orten tragen die ich liebe“
ST.RÉMY-DE-PROVENCE – Nachtigall singt.
„Höre die Nachtigall!“ Rose hellwach nach zwölf Uhr Mitternacht. Meine Hörmaschinen registrieren entfernte Töne nur sehr ungenau. Wir stehen am offenen Fenster der ‚Hostellerie du Vallon de Valrugues’. Abseits der Straße. Waldnah. Strenge mich an. Konzentriere mich auf das Wort Nachtigall. Da, höre ich etwas? Leise, leise flöten. In die Nachtluft gehauchte Töne eines unirdischen Wesens. Rose schließt ihre Augen. Um ganz Ohr zu sein. Dann nichts mehr. Aufgestiegen aus einem Traum. Abgetaucht in die Nacht. Vielleicht bis morgen. Vielleicht.
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