Nach dem Essen machten wir einen Spaziergang an der Kaipromenade. Wir waren nicht die Einzigen, die auf diese wunderbare Idee gekommen waren. Viele Menschen kamen uns entgegen. Kein Wunder, da im Spätsommer jedermann die kühle Brise des Abends am Meer suchte. Am Kai hatten rote, weiße und blaue Fischerboote angelegt. Im Hintergrund flog ein Schwarm Möwen kreischend durch den Abendhimmel. Durch das warme Licht der verschnörkelten Straßenlaternen bekam das Bild eine romantische Note. Ich drückte Hellen an mich.
»Der Nachtisch war köstlich«, schwärmte ich.
»Ich weiß, wie sehr du Crema Catalana magst. Mich wundert nur, dass du dich mit einer Portion zufriedengegeben hast«, sagte sie lächelnd.
Dann klingelte mein iPhone.
»Hallo?«
»Diego? Hier ist Ángel. Ángel Montés, störe ich?«
»Hallo Ángel, aber nein.«
»Ich habe mit Mateo gesprochen und ihm erzählt, dass du in Ribadés bist. Er freut sich sehr, dich wiederzusehen. Wir können uns am Samstag treffen.«
»Hast du auch mit Fernando gesprochen?«
»Ja, aber das hat mich überrascht.«
»Was meinst du?«
»Er sagte mir, dass ihr euch heute schon gesehen hättet. In der Comisaría. Und zwar wegen einer Aussage, die du gemacht hättest. Euch ist doch nichts zugestoßen?«
»Nein, uns geht es gut. Ich habe wegen einer Beobachtung eine Aussage abgegeben. Ich erzähle es euch später.«
»Ich verstehe. Ich habe im Café Carmen für Samstag um drei einen Tisch reserviert. Einverstanden?«
»Das ist großartig, ich freue mich.«
Ángel verabschiedete sich und legte auf.
»Stell dir vor«, sagte ich freudig zu Hellen. »Ángel hat ein Treffen mit Mateo und Fernando für Samstag um drei organisiert.«
»Das ging aber schnell, das ist ja schon übermorgen.«
Am nächsten Morgen herrschte im Frühstücksraum ein ruhiges Kommen und Gehen. Neben uns saß ein älteres deutsches Ehepaar. Nachdem sie uns Deutsch sprechen gehört hatten, rückten sie näher. Ich wartete bereits auf die erste der bekannten Urlaubsfragen.
»Entschuldigung. Darf ich Sie fragen, woher Sie kommen?«, fragte die Gattin.
»Aus München«, antwortete Hellen. »Und Sie?«
»Aus Frankfurt.«
»Wie lange bleiben Sie?«, fragte der Gatte.
»Voraussichtlich zehn Tage«, antwortete ich. »Und Sie?«
»Wir sind schon drei Wochen hier und müssen leider morgen wieder weg«, antwortete er.
Nach dieser Kurzkonversation gingen Hellen und ich ans Buffet. Von dort aus sah ich zufällig, wie ein Mann an unserem Tisch vorbei ging und seine Zeitung aufhob, weil sie ihm zuvor auf den Boden gefallen war. Der Mann fiel mir auf, weil er kahlköpfig und wie ein Golfer gekleidet war. Er trug eine rot karierte Golfhose und ein rotes Poloshirt. Hellen und ich spielten schon damals leidenschaftlich gern Golf. Wir hatten auf unseren Reisen meistens unsere Golfbags dabei, wie auch auf dieser. Wir hatten vor in Gijón einige Runden Golf zu spielen.
»Den ersten Golfer habe ich schon entdeckt«, sagte ich zu Hellen und zeigte zu dem Mann mit der Golfkleidung und der Zeitung unter dem Arm.
»Ja, wirklich, er sieht aus wie ein Golfer.«
Nach dem Frühstück gingen wir auf Entdeckungstour. Auf dem Weg über die Plaza hatten wir das Café Carmen hinter uns gelassen, als wir jemand rufen hörten.
» Señor Lessemaan !«, rief eine weibliche Stimme hinter uns her.
Ich drehte mich um und sah Elsa aus dem Café auf uns zulaufen.
» Señor Lessemaan , ich sollte Sie doch wegen Ramón anrufen.«
»Ramón? Ach ja, Ramón Verono.«
»Ich hab vorhin versucht, Sie anzurufen, aber Sie haben sich nicht gemeldet.«
»Ist er gerade da?«, fragte ich erwartungsvoll und suchte unbewusst nach meinem Telefon.
»Aber nein! Haben Sie denn heute noch keine Zeitung gelesen?«, fragte sie aufgeregt.
»Nein. Einen Moment.« Ich suchte in meinen Taschen nach dem Telefon.
»Dreimal hab ich Sie angerufen!«
»Wo ist nur mein Telefon?«, fragte ich mich selbst.
»Hast du es im Hotelzimmer gelassen?«, fragte Hellen.
»Ich bin sicher, ich habe es wie immer in meine Tasche gesteckt«, antwortete ich.
Elsa stand unterdessen aufgewühlt vor mir.
»Ramón ist tot!«, sagte sie völlig unerwartet und sah mich entsetzt an.
Ich wusste nicht, wie ich es aufnehmen sollte.
»Sind Sie sicher?«, fragte ich erstaunt.
Das war mittlerweile der dritte Tote innerhalb von drei Tagen, dachte ich.
» ¡Sí! Es steht in der Zeitung!«
Wir gingen ins Café, wo uns Carmen schon erwartete.
» ¡Madre mía!« , sagte sie völlig nervös.
Sie ging immerzu hin und her und bewegte die zum Gebet gekreuzten Hände auf und ab.
»Ist das nicht furchtbar?«, sagte sie außer sich.
»Ja, aber wir hatten keine Ahnung«, entgegnete Hellen.
»Haben Sie die Zeitung?«, fragte ich Carmen.
Elsa kam eilig mit der aufgeschlagenen Zeitung und gab sie mir. Ich las die Schlagzeile vor:
¡Dos muertos en la Cueva de Ribadés!
(Zwei Tote in der Höhle von Ribadés!)
Ramón Verono, Sohn des bekannten Textilindustriellen Alonso Verono [ALVE-MODA], ist gestern in der Cueva von Ribadés tot aufgefunden worden!
Hellen und ich sahen uns an, denn wir dachten sofort dasselbe. Es handelte sich somit nicht um einen dritten Toten. Ich hatte demnach die Leichen von Ramón Verono und einer anderen Person in der Höhle gefunden. Mit einem leichten Kopfschütteln gab ich ihr ein Zeichen, nichts davon zu erwähnen. Mir war nicht danach, die zu erwartenden Fragen beantworten zu müssen.
Ich las weiter vor:
Ebenso wurde eine weitere männliche Leiche gefunden, die noch nicht identifiziert worden ist. Die Polizei geht von einem Mord aus und verfolgt erste Spuren.
Mir wurde klar, dass ich zwei männliche Leichen gefunden hatte. Von den Kopfverletzungen und der Tatsache, dass sie mit heruntergezogenen Hosen eng aneinander lagen, wurde jedoch nichts berichtet.
»Wer kann so etwas Schlimmes nur getan haben?«, fragte Hellen.
»Es gibt viele Leute, die neidisch sind«, antwortete Carmen aus voller Überzeugung. »ALVE-MODA ist sehr bekannt und verdient mucho dinero «, sagte sie und rieb symbolisch Zeigefinger und Daumen aneinander.
»Vielleicht ist er umgebracht worden, weil er Spielschulden hatte«, platzte Elsa vorlaut in das Gespräch.
Carmen sah sie wieder streng an.
» ¿Cómo?« , wollte sie wissen.
»Er hat mir erzählt, dass er gern Poker spielte.«
»Jetzt ist aber Schluss!«, sagte Carmen resolut. »Du kannst doch nicht einfach etwas erfinden.«
Wir maßen dieser Aussage zunächst keine Bedeutung bei. Der Name des Vaters aber gab mir zu denken.
»Ramóns Vater heißt demnach Alonso Verono«, bemerkte ich.
»Ja, kennen Sie ihn?«, fragte Carmen.
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