»¡Bienvenidos a la Cueva de Ribadés!« , sagte sie und hieß uns in der Höhle von Ribadés willkommen.
» Yo me llamo María Elena «, so stellte sich uns María Elena vor.
Mit freundlichen Worten begrüßte uns die sehr junge Dame, die den Anschein machte, sich in den Semesterferien etwas nebenher zu verdienen. Es folgten einige archäologische und chronologische Daten. Der Weg zur eigentlichen Höhle führte durch einen engen Korridor, der uns hintereinander pilgern ließ, aber genügend Kopffreiheit bot und gut ausgeleuchtet war. María Elena ging voran und redete ununterbrochen. Ich hatte den Eindruck, dass sie damit versuchte, uns von der Enge abzulenken. Nach kurzer Zeit wurde es zunehmend heller und wir standen vor einem großen Eingang.
»Und das ist die Höhle!«, verkündete sie Stolz.
Sie tat es in einer Art und Weise, als würde sie den König von Spanien ankündigen. Sie drehte sich schwungvoll elegant um und zeigte mit ausgestrecktem Arm in die Tiefe der Höhle, wobei sie sich einmal um die eigene Achse drehte. Unsere Augen folgten gespannt ihrer Gestik.
Das grandiose Bild eines gewaltigen, in Millionen von Jahren gewachsenen Naturwunders bot sich uns. Die gewölbten, schimmernden Felswände und die unzähligen sowie hoch gewachsenen Stalaktiten und Stalagmiten ließen unsere Augen leuchten. Derart schön hatte ich die Höhle nicht mehr in Erinnerung, aber das lag sicher an der aufwändigen und effektvollen Ausleuchtung. Große Teile der Felswände leuchteten in einem warmen Gelb, andere wiederum in einem erfrischenden Orange. Ich hatte den Eindruck, ein vollkommenes Naturschauspiel vor Augen zu haben.
»Das ist ja wunderschön«, staunte Hellen und blieb wie angewurzelt stehen. Nur ihr Kopf drehte sich, um die gesamte Pracht zu erfassen. Dann zog sie ihre Kamera aus der Tasche, schaltete sie ein und fotografierte ununterbrochen.
»Ich freue mich. Hier ist es wun-der-schön«, sagte sie betonend und umklammerte mich.
»Nicht wahr? Ist das nicht grandios?«
»Ja! Hier hätte ich auch gern als Kind gespielt«, schwärmte sie und drückte mich stärker.
Wir konnten uns einfach nicht sattsehen und Hellen vermochte nicht genügend Fotos schießen. Nach einiger Zeit forderte uns María Elena zum Weitergehen auf.
»Wir müssen jetzt weiter. Wir wollen zu den Wandmalereien«, forderte sie uns auf.
Wir konnten uns, trotz mehrfacher Aufforderung, nicht von dem Anblick losreißen.
»Kommen Sie bitte, kommen Sie bitte«, sagte sie mehrmals.
Wir gingen weiter und kamen in einen großen Korridor mit Felsspalten und Rissen in den Wänden. Hellen und ich bildeten das Schlusslicht der Gruppe. Begeistert unterhielten wir uns über die zuvor gesehene Naturschönheit, als ich ein leises Geräusch hörte. Es klang wie das Klingeln eines Telefons. Ich blieb stehen und lauschte genauer hin. Da kein Raum in der Nähe war, musste es wohl ein Mobiltelefon sein. Dann wunderte ich mich darüber, wie in der Höhle ein Telefonempfang möglich war. Die Gruppe lief weiter. Hellen blieb ebenfalls stehen und drehte sich nach mir um. Ich gab ihr ein Zeichen, dass ich etwas gehört hätte. Das Klingeln kam direkt neben mir aus einer dunklen Felsspalte, die schulterhoch und eng war. Ich schaltete die Taschenlampenfunktion an meinem iPhone an und leuchtete in die Öffnung hinein, konnte aber nichts Außergewöhnliches sehen. Hellen kam fragend zu mir.
»Was ist?«
»Ich glaube, ein Telefonklingeln gehört zu haben. Ganz leise.«
»Ich höre nichts«, sagte sie ungläubig und zuckte mit den Achseln.
»Das Klingeln kam aus dieser Öffnung. Ich habe es genau gehört.«
»Bist du sicher? Hier hat man bestimmt keinen Empfang.«
Sie holte ihr iPhone aus der Tasche und schaltete es ein. Dann zeigte sie es mir.
»Siehst du: Kein Empfang! Lass uns wieder zur Gruppe zurückgehen.«
»Hellen, ich bin mir aber sicher, dass ich etwas gehört habe!«
»Komm schon«, sagte sie ungeduldig.
Wir gingen weiter. Als wir einige Schritte gegangen waren, hörte ich es wieder. Es war ein leises, fast wehleidiges Klingeln, welches aus derselben dunklen Felsspalte kam. Mit erhobenen Augenbrauen sah ich Hellen fragend an.
»Ja, jetzt höre ich es auch«, sagte sie erstaunt.
Ich ging zurück zur Felsspalte, schaltete die Taschenlampenfunktion wieder an und leuchtete in die Kammer hinein. Dann streckte ich den Arm mit dem iPhone weit in die Kammer und leuchtete.
»Ich kann nichts Besonderes entdecken«, sagte ich.
Ich leuchtete in alle Richtungen, aber es war einfach nichts Außergewöhnliches zu sehen. Das Klingeln war inzwischen verstummt.
»Ich werde ein Stück hineingehen«, sagte ich zu Hellen. »Dann wissen wir es.«
»Nein!«, entgegnete sie ängstlich. »Wer weiß, was da drinnen ist.«
Ich leuchtete nochmals in die Kammer.
»Der Boden scheint eben zu sein«, sagte ich zu ihr. »Ich gehe kurz hinein.«
»Aber sei vorsichtig.«
»Ja, keine Sorge.«
Ich zog den Kopf ein und quetschte mich durch die Öffnung. In der Kammer war es stockdunkel. Ich hörte, wie schwere Wassertropfen neben mir auf den Boden fielen. Der Grund unter meinen Schuhen wurde zunehmend weich und glitschig. Ich leuchtete die Wände bogenförmig an. Mit ein wenig Phantasie konnte man in den bizarren Wänden grässliche Gestalten sehen. Das erinnerte mich wieder an meine Kindheit, als wir uns in solchen Kammern fast zu Tode erschraken und vor Angst laut schrien. Als ich wieder auf den Boden leuchtete, zeigte mir das Licht die Lösung des Rätsels: Ein verschmutztes Mobiltelefon, welches auf dem matschigen Boden lag.
»Es ist tatsächlich ein Mobiltelefon«, rief ich Hellen zu. »Es liegt auf dem Boden.«
»Schön, dann kannst du ja wieder rauskommen«, sagte sie schnell. »Und sei vorsichtig.«
Ich ging zum Telefon und wollte es aufheben, als der Lichtkegel den Fuß eines liegenden Menschen erfasste. Ich wich erschrocken zurück und ließ das iPhone um ein Haar fallen.
»Ooh!«, gab ich von mir.
»Diego, was ist denn?«, fragte Hellen sogleich.
»Sofort«, gab ich angespannt zurück.
Mein Herz fing an, schneller zu schlagen. Ich leuchtete wieder an die Stelle, an der ich den Fuß gesehen hatte, dann etwas weiter bis der zweite Fuß zu sehen war. Darauf sah ich zwei andere Füße, und je weiter ich den Lichtkegel in die Richtung vor mir schwenkte, desto mehr wurden die liegenden Körper sichtbar. Schließlich offenbarte sich mir das grausame Bild: Zwei Menschen lagen regungslos und seitwärts aneinander gewinkelt auf dem Boden. Zudem hatten beide die Hosen heruntergezogen. Der Arm des dahinterliegenden lag über dem Körper des anderen. Ihre Köpfe waren blutüberströmt.
»Ach du lieber Himmel! Was ist denn das?«, entfuhr es mir.
Mir lief ein kalter Schauer den Rücken herunter. Der Atem stockte mir und mein Herz pochte plötzlich rasend schnell.
»Was ist? Hast du dich verletzt?«, fragte Hellen aufgeregt.
»Nein, nein, das ist es nicht«, gab ich beruhigend zurück.
»Was ist es denn ?«
Ich sah weg, dann wieder hin, und wieder weg. Mir schossen Fragen durch den Kopf: Waren sie etwa tot? So sah es zumindest aus. Was hatten sie in der Höhle gesucht? Sie hatten sich doch nicht etwa hier vergnügt? … Aber warum in der feuchten Höhle und wieso auf diesem matschigen Boden? Hatte sie jemand dabei überrascht und dann umgebracht? War der Mörder etwa noch da? Hatte ich ihn womöglich bei seiner Tat unterbrochen? Sofort leuchtete ich mit dem iPhone um mich herum, konnte aber glücklicherweise niemanden entdecken. Ich ließ das Telefon liegen und lief rasch zur Felsspalte zurück. Dann blieb ich stehen, sah mich noch einmal um, schaltete die Fotofunktion ein und machte reflexartig ein Foto mit meinem iPhone. Dann quetschte ich mich durch die Felsspalte zurück in den Korridor, wo Hellen bereits aufgeregt wartete.
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