Wenn mir auch für die ausführliche Beschreibung meiner Fahrten nur ein bescheidener Raum bleibt, so muss ich doch an dieser Stelle des Augenblicks gedenken, an welchem mein tränenfeuchtes Auge zum ersten Male auf der emportauchenden brasilianischen Küste ruhte. Welch ein herrliches, unbeschreibliches Bild! Welch’ mannigfache, lebhafte Eindrücke für den Schiffsjungen, der sich im Wunderlande wähnt, die üppige Vegetation der Tropen, das bunte Treiben einer dunkelfarbenen Menschenmasse, alles, alles weit schöner als die Phantasie des Knaben es je ausgemalt.
Kapitän Brekwoldt war natürlich über diesen Zauber erhaben. So schnell wie möglich wurde Bahia verlassen und der Kurs auf die Kapverdischen Inseln gerichtet. „Eben mol röber föhrn“, so wurde die wochenlange Fahrt nach der afrikanischen Küste vom Kapitän bezeichnet.
In den viereckigen Salzgruben der Kapverdischen Inseln begrub ich den Rest meiner poetischen Stimmung. Allein die jetzt beginnende Arbeit verlieh mir den schönsten Trost. Die Gewinnung des Salzes wurde sehr einfach bewerkstelligt. Unweit des Meeresstrandes befinden sich in den Ebenen sehr viele, ziemlich große viereckige Gruben, die sich mit Grundwasser füllen. Auf der Oberfläche dieses Wassers bilden sich dicke Salzkrusten, die von der Mannschaft täglich abgeschöpft und an Bord geschafft wurden. Nach wochenlangem Abrahmen dieser viereckigen „Salzwasserfetten“ war die Ausbeute beendet. Der ODIN nahm seine ursprüngliche Fahrt wieder auf und erreichte nach rascher Fahrt den schönsten Hafen der Welt: Rio de Janeiro. Dann ging es weiter nach Buenos Aires, dem Bestimmungsorte unserer Salzladung.
Vor der La-Plata-Mündung hatten wir einen sehr schweren Pampero zu bestehen. Noch annähernd 50 Meilen vom Lande entfernt drang uns ein wunderbarer Blumen- und Honigduft entgegen. Allein dieser verführerische Geruch erweckte nur bei dem Uneingeweihten die Sehnsucht nach dem Lande. Der erfahrene Schiffer traut den duftenden Grüßen in dieser Region nicht allzu sehr. Diese Wohlgerüche werden auch keineswegs gratis verabreicht, nur die Einziehung des Kostenpreises geschieht etwas später; das ist aber auch das einzig freundliche Entgegenkommen des aufbrausenden Pampero. –
Es war eine tiefdunkle Nacht; unter Donner und Blitzen zog das Unwetter herauf, schwüle dicke Luft erschwerte das Atmen, immer rascher folgten die elektrischen Entladungen. Ergriffen von der Macht dieses grausig schönen Anblicks stand ich auf meinem Posten am Steuerruder. Plötzlich fiel der Wind von der anderen Seite ein; mit Blitzesschnelle brach der Sturm los.
Das bereits früher gereffte Großsegel und mit diesem der große Baum schlugen nach der entgegengesetzten Richtung hinüber. Die Kompasslampe erlosch; eine gewaltige Sturzsee ergoss sich über das in seinen Fugen zitternde Schiff; vom wuchtigen Schlage der Schooten getroffen, verlor ich plötzlich den Boden unter den Füßen. Instinktiv klammerte ich mich an ein Tauende und flog nach Lee über Bord,
Es waren fürchterliche Sekunden, in denen ich hier zwischen Himmel und der sturmgepeitschten See hin- und herschwankte. Mit der Macht der Verzweiflung hielt ich das rettende Tau krampfhaft fest. Ein wahnsinniger, brennender Schmerz erhöhte meine Todesqual. Im unausgesetzten Schwingen waren die Innenseiten meiner Hände vom Tau durchschnitten. Ich fühlte das Blut über meine Arme rinnen, fühlte den Angstschweiß auf meiner Stirne; dennoch hielt ich fest, wohl wissend, dass es sich um Leben und Tod handle. Trotz aller Energie war meine Kraft bald erschöpft. Die Entscheidung nahte. Es blieb nur eine Möglichkeit, der dräuenden Gefahr zu entgehen. In dem Moment, in welchem ich abermals von See nach der Schiffsseite geschleudert wurde und nach meinem Darfürhalten gerade über der Mitte des Schiffsdecks schwebte, ließ ich entschlossen los. Die harten Holzstücke, auf die ich niederstürzte, erschienen mir wie ein Federbett – ich war gerettet!
Auf Deck herrschte ein wildes Getümmel, die Kajüte war voll Wasser gelaufen. Die Vorstenge war gebrochen und hing zur Hälfte über Bord. Der Kapitän wetterte mit dem Steuermann, der beim Ausbruch des Pampero geschlafen, seine Pflicht aufs Gröblichste verletzt hatte. Schadenfreude ist mir zwar eine unbekannte Regung, aber ich kann doch wohl sagen, dass mir dieses Wettern als die herrlichste Musik erschien. An diesen Pampero, der mir fast mein zartes Lebenslicht ausgeblasen, denke ich noch heute mit großem Vergnügen.
Am nächsten Tage erreichten wir die Reede von Buenos Aires. Welch entsetzliche Verheerung hatte hier der Pampero verursacht. Sechsunddreißig Schiffe, teils zertrümmert, teils vom Anker losgerissen, waren auf den Strand geschleudert. Ein spanisches Schiff wurde sogar tief ins Gehölz hineingetrieben und gewährte einen dem Seemann ins Herz schneidenden Anblick. Der damalige Präsident Rosas erstand dieses zwischen Bäumen eingekeilte Fahrzeug für eine geringe Summe, ließ es von geschickten Arbeitern als Lusthaus einrichten und hat dort während vieler Sommer seine Villeggiatur genommen.
Zu den derzeitigen interessantesten Sehenswürdigkeiten von Buenos Aires gehörte das Einfangen und Schlachten von Ochsen. In unmittelbarer Nähe der Stadt, auf den unermesslichen Pampas weideten diese kräftigen Tiere in großen Herden. Zu jener Zeit waren die nach Millionen zählenden Ochsen fast herrenloses Gut, nur der Gaucho, dessen geschickter Lassowurf das wilde Tier einfing, erhielt einen geringfügigen Lohn.
Auf derselben Stelle, so man den Ochsen erlegte, wurde er auch geschlachtet, von seinem Fleische aber nur die sehnenfreien, ausgesuchtesten Stücke zum Carne secco benutzt. Die Zubereitung dieser vorzugsweise für die Neger Brasiliens bestimmten Nahrung geschah folgendermaßen: Das sehnenfreie Fleisch wurde in Scheiben zerlegt, blieb während 36 Stunden in einer Salzlake liegen, wurde von der Sonne getrocknet und ohne Embalage in Schiffen verladen. Außer diesem Fleisch wurde nur noch die Haut des Tieres geborgen, die Knochen, wie der ganze übrige Fleischrest blieb ungenutzt liegen.
Damals kostete der größte Ochse nach unserer deutschen Währung zwölf Mark. Ich glaube aber, dass der Preis inzwischen wesentlich gestiegen ist, obwohl dort noch immer genügend Ochsen vorhanden sind.
Das Heranschaffen großer Fleischmassen an Bord des Schiffes gehörte zu den Obliegenheiten des Schiffsjungen. Diese Arbeit war nicht zu unterschätzen. Man musste das erstandene Viertel eines Ochsen längere Zeit auf den Buckel laden, um watend das Boot erreichen zu können. Bei dem schlüpfrigen Boden und den unsichtbaren Vertiefungen war es als kein Wunder zu betrachten, wenn man einige Male samt der Bürde auf Sekunden in dem fußhohen Schlamme verschwand. Das bei diesem durch den mangelhaften Landungsplatz hervorgerufenen Transport die Appetitlichkeit des Ochsenfleisches nicht erhöht wurde, bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung.
Dennoch machte mir gerade diese Arbeit viel Vergnügen. Ich hatte dadurch Gelegenheit, die hochinteressanten Gauchos bei der Ausübung ihres Berufes zu beobachten. Die Geschicklichkeit dieser muskulösen, malerisch gekleideten Indianergestalten im Reiten wie im Lassowerfen ist wahrhaft bewunderungswürdig. Beim Anblick dieses Treibens erwuchsen in mir die sonderbarsten Wünsche. Die Phantasie des zur Romantik geneigten Schiffsjungen wurde lebhaft erregt, und wenn er nicht bereits Seemann gewesen wäre, wäre er ganz bestimmt Gaucho geworden.
Wie vieles könnte ich von diesem für mich so inhaltsvollen zweijährigen Aufenthalte auf dem Schiffe erzählen, von wie manchem unvergesslichen Eindruck berichten, überwältigende Naturschönheiten schildern...
Die zwei Jahre sind nicht spurlos an mir vorübergegangen. Meine körperliche Entwicklung schritt sehr rasch vonstatten. Infolge meiner Beobachtungsgabe für alles Seemännische war ich sehr bald in der angenehmen Lage, den praktischen Dienst eines Matrosen zur vollen Zufriedenheit meines Kapitäns versehen zu können.
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