
In seinen 1889 in Hamburg beim Verlag G. W. Niemeyer Nachfolger (G. Wolfhagen) erschienenen und von S. Steinberg bearbeiteten „ Erinnerungen aus dem Leben eines Capitäns– Vom Schiffsjungen zum Wasserschout“, die ich zufällig in einem antiquarischen Flohmarkt-Bücherkarton fand und die es im Handel nicht mehr gibt, seien hier einige wesentliche Passagen aus der großen Zeit der Segelschifffahrt zitiert. Die gesetzte und pathetische Sprache des 19. Jahrhunderts ist zunächst etwas gewöhnungsbedürftig. Die Schilderungen dieses energischen, weitgereisten Mannes geben aber einen sehr guten Einblick in die Seefahrt und Arbeitswelt der Segelschiffszeit unserer mehrere Generationen vor uns lebender Vorfahren. – Nach einigen Rechtschreibreformen wirkt die Orthographie des Originalbuches heute auf uns recht ungewohnt, nämlich: eigenthümlich, begehrenswerth, Brod, Coje, complicirt, Cours, gerathen, giebt, Heimath, Hülfe, Noth, Radicalcur, Rehder, Thätigkeit, Thier, Thränen, ect. – Die ausgewählten Texte wurden der heutigen Rechtschreibung angepasst, aber im ursprünglichen Stil belassen.
Alfred Tetens berichtet über den Beginn seiner Seefahrtzeit
...Als ich nach beendeter Schulzeit noch immer fest bei dem Entschlusse, Seefahrer zu werden, beharrte, erhielt ich dann gelegentlich meiner 1850 erfolgten Konfirmation auch die äußere Gewandung für den erwählten Beruf. Unter der blauen, mit Samtkragen und Perlmutterknöpfen verzierten Tuchjacke schlug mein Herz heftig und die vom leicht geschürzten Schiffertuch kunstgerecht umrahmte Brust hob und senkte sich so stürmisch, als habe ich damit den höchsten Gipfel menschlichen Glücks erklommen.
Nun schienen mir die Sohlen unter den Füßen zu brennen; es litt mich nicht länger auf dem festen Boden, die verzehrende Sehnsucht: „Hinaus auf das weite Meer“ beherrschte all mein Denken und Fühlen. Ohne viel Überlegung ergriff ich jetzt die erste Gelegenheit beim Schopfe und ließ mich als Schiffsjunge auf dem Blankeneser Schoner „ODIN“ des Kapitän Brekwoldt einstellen.
In dieser wenig beneidenswerten Stellung sah ich sehr bald all meine Illusionen über Bord gespült. Wohl empfand ich die unbeschreibliche Großartigkeit des Meeres, sah das entzückende Bild des klaren Wasserspiegels, den ätherblauen unermesslichen Himmelsdom, aber das allzu regsame Tauende meines Steuermannes störte meine Betrachtungen mit einer unangenehmen Hartnäckigkeit, das ich nur noch sehr selten und auch dann nur in unbewachten Momenten all die Herrlichkeiten bemerkte. Und was etwa das ominöse Stückchen gedrehten Hanfes des poesielosen Steuermanns versäumte, das wurde von meinen recht prosaischen Obliegenheiten, die aufzuzählen meine Feder sich weigert, reichlich nachgeholt. Ja wahrhaftig, mein Los als Schiffsjunge während der ersten Reise war kein beneidenswertes. Die vielseitigen körperlichen Anstrengungen wären wohl noch zu ertragen gewesen, wenn ich nur nicht so jäh aus meinem wolkenlosen Himmel geschleudert worden wäre.
Nach acht Tagen war auch die letzte Spur meiner kindlichen Eitelkeit, welche die seemännische Landtoilette, besonders die bis zum Nacken reichende Mütze, wach gerufen, total verwischt. Manche heiße Träne, - meine damaligen Schiffsgenossen mögen es mir verzeihen, - sank bei Gelegenheit des Kartoffelschälens in unseren kleinen Eimer.
Der erfahrene Seemann wird solch’ reichlichen Tränenvorrat nicht sehr hoch schätzen, noch weniger ein besonderes Mitgefühl dafür hegen. Auch der geehrte Leser darf sich beruhigen. Wo die Neigung zum Seeleben wahr und echt ist, da werden diese salzwässerigen Überschüsse sehr bald aufhören und verschmerzt sein, wo aber nur eine momentane Laune, kindliche Unbesonnenheit oder gar ein Vergehen das Motiv zur Wahl des Berufes bildet, da sind diese Tränen recht gesund. Was weder der Autorität des Vaters noch den Bitten der Mutter gelingt, hier auf dem einsamen Meere bringen es ein paar Tränen zu Stande. Sie führen zum Nachdenken, zur Reue und damit zur Besserung.
Meine erste besondere Tätigkeit, die große Stenge mit Fett einzuschmieren, fand auf Befehl des Steuermannes bei stürmischem Wetter in der Nordsee statt. Ich flog hier oben – ein Spiel des Windes – wie ein Wimpel hin und her und musste meine ganze Kraft auf das Festklammern verwenden. Es war schier unmöglich, die mir aufgetragene Arbeit auszuführen, aber ich wollte wenigstens, vom Zuruf des schikanösen Steuermannes angefeuert, den Versuch wagen, der Großen Stenge das wohltätige Fett zuzuführen. Bei meiner ersten Bewegung stürzte leider die Fettpütze hinunter aufs Deck.
Das war nicht schlimm und konnte nur dazu führen, meinen unerquicklichen Aufenthalt zu beenden. Jawohl! Schön gedacht, wenn nicht in demselben Augenblicke der minutenlange Fluch meines Steuermannes all meine Hoffnungen zertrümmert hätte. Der ganze, wenig appetitliche Inhalt meiner entwichenen Fettpütze hatte sich über den wütenden Steuermann ergossen und statt der großen Stenge hatte ich meinen gefürchteten Vorgesetzten eingeschmiert. Die Vorsehung war zwar für den gequälten Schiffsjungen eingetreten, aber einen Gefallen hatte sie mir damit nicht erwiesen, denn nun erhielt auch ich meine Schmiere. Von all meinen Obliegenheiten war das Auswaschen der aus Segeltuch gefertigten Tischtücher am unangenehmsten; zu dieser unbehaglichen Arbeit wurde mir kein Süßwasser verabreicht, sondern ich musste es mit Seewasser und käsender Salzwasserseife bewerkstelligen. – Jede Hausfrau wird meinen Schmerz begreifen. Dieses Reinigungswerk wurde so lange wie möglich von mir hinausgeschoben. So war meine mir unsympathische Eichenholzbalje samt ihrem seit acht Tagen eingeweichten Inhalt aus meinem Gedächtnis gekommen und harrte in ihrem Versteck unter dem Großboot der recht notwendigen Entleerung. Die intensiven Sonnenstrahlen hatten sich mit meinen eingeweichten Tischtüchern sehr lebhaft beschäftigt und ihnen einen Geruch verliehen, der zwar nicht salonfähig war, aber trotzdem die Aufmerksamkeit aller Riechorgane an Bord beschäftigte.
Natürlich war es dem scharfen Spürsinne meines Steuermanns vergönnt, den Urheber zu entdecken. Ich wurde sogleich zur Betrachtung der vom Eichenholz blau gewordenen, marmoriert aussehenden Tischtücher gezwungen und bevor ich noch meine Bewunderung über die sonderbare Wirkung der tropischen Hitze aussprechen konnte, klatschten mir die unzart duftenden, nassen Tücher unausgesetzt um die Ohren, als könnte nur dadurch die ursprüngliche Farbe hervorgezaubert werden.
Trotz dieser oft wiederholten „nassen Umschläge“ und sonstiger unzarter Behandlung von Seiten meines Steuermanns erhielt ich auf dem ODIN eine vorzügliche seemännische Ausbildung. Nebenbei wurde ich mit allen Matrosenarbeiten sowie mit Kochen und Brotbacken ausreichend vertraut; konnte Fußzeug flicken, Segeltuch-Beinkleider sowie Segel zuschneiden, nähen, Farbe reiben, malen und – oh, welche Wonne! – sailors hornpipetanzen wie der erfahrenste Seemann. Sogar von der wenig erfreulichen Seekrankheit blieb ich nicht nur jetzt, sondern auch stets verschont. Das war alles recht schön, nur meine Koje machte mir unendlich viel Verdruss; für diesen entsetzlichen Behälter die Bezeichnung Koje anzuwenden, ist ganz gewiss eine unerhörte Übertreibung; für einen kleinen Knaben wäre der tintenfassartige Raum vielleicht groß genug gewesen, aber für einen ausgewachsenen Jüngling meiner Körperlänge war er mindestens drei Fuß zu kurz geraten; wollte ich in meinem Schmollwinkel längere Zeit verweilen oder gar schlafen, so konnte das nur in der sogenannten Taschenmesserart geschehen, ich musste zuklappen. Aber selbst diese gewaltsame Körperverrenkung war bei ruhigem Wetter noch ein großartiges Vergnügen. Man war wenigsten allein, konnte schlafen und träumen. Ach ja! Der Schlaf eines ermüdeten Schiffsjungen! Wer könnte die Herrlichkeit beschreiben? Wem meine Koje angewiesen wäre, hätte es unter keinen Umständen können. Dieser undichte, vorn im Steven querschiffs befindliche Rattenwinkel hatte die eigentümliche Gewohnheit, bei jedesmaligem Untertauchen des Schiffsbugs so viel Wasser einzunehmen, dass mein Bettzeug eigentlich niemals trocken wurde.
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