Sie kontrollierten die Aufnahmen nochmals und nochmals, zogen die Daten der Sonnenwinde heran und diskutierten die Ergebnisse. Dr. Hider verfiel spontan ins Spanische, als sie den Geologen Fernandez Montessa befragte. Doch der Hinweis von Peter Soerenson, dass wohl alle teilhaben wollen, beendete den schnellen Disput auf Spanisch.
„Das bleibt unter uns!“, ordnete Peter Soerenson schließlich an. „Ich erinnere alle an die Schweigepflicht. Solange wir nicht wissen, was dort passiert ist, ist das alles topsecret! Ich hoffe, dass das allen klar ist! Ich will morgen nichts von Mondwesen in der Presse finden. Das macht uns lächerlich! Ich muss die höheren Stellen informieren.“
Alle im Raum sahen sich an. Das hatten sie noch nie erlebt, dass der Direktor so reagierte. Bisher waren alle gefundenen Daten sofort freigegeben worden, wie es sich unter Wissenschaftlern weltweit gehörte. Da gab es keine Geheimnisse. Die Schwerkraftwerte und der Mond gehörten allen!
Doch diese Anomalie war wirklich etwas Besonderes. Wenn es Messfehler waren, dann könnte man sich leicht lächerlich machen, und wenn alles korrekt war, dann lag ein großes Geheimnis hinter den Werten. Also nickten alle. Ein paar Mal flackerten Blitze auf, als die Bilder von Handy-Kameras festgehalten wurden. So zur Erinnerung!
„In sechs Stunden wiederholen wir die Messung“, ordnete der Direktor an. „Bis dahin herrscht für alle hier Ausgehverbot! Alle Bilder auf den privaten Geräten werden gelöscht! Ohne Ausnahme! Ich hoffe auf Verständnis für diese Maßnahme. Ich werde alle Leitungen nach draußen kontrollieren lassen. Geben Sie Ihre Mobiltelefonie bitte ab. Alle Messdaten werden umgehend nach dem höchsten Sicherheitsstandard verschlüsselt und gespeichert.“
Der Direktor telefonierte kurz und erteilte seine Anweisungen. Sein Gesicht war bleicher als sonst. Er zog seinen Stick aus der Hemdtasche und gab so über den Computer die Sicherheitscodes ein. Ein rotes Licht an der Decke begann zu blinken. Alle Türen nach außen waren verschlossen. Wachposten zogen an den Eingängen zum Gebäude auf.
„Für alle Bediensteten draußen ist das eine großer Sicherheitsüberprüfung“, erklärte der Direktor. Nur wir wissen, was wirklich dahintersteckt.“
Die Wissenschaftler gingen an ihre Arbeitsgeräte. Es galt nun, die Zeit sinnvoll zu nutzen und andere Arbeiten zu erledigen. Dr. Hider blieb im großen Konferenzraum. Sie hatte Zeit zum Nachdenken, und die wollte sie nutzen. Sechs Stunden waren eine lange Zeit.
„Ich brauche einen freien Computer“, forderte sie laut und deutlich.
Ein Mitarbeiter zeigte auf einen freien Platz und gab ihr seinen Zugangscode. Dr. Hider begann, die Physikprogramme aufzurufen. Schwerkraftanomalie! Ursache und Nachweismethoden – kritische Untersuchungen. Sie fand nichts, was zur Lösung des Problems beitragen konnte. Es gab auch Abweichungen auf der Erde, die durch die unterschiedliche Verteilung von Gesteinen, Mineralen oder einfach Wasser hervorgerufen wurden. Man konnte mit diesen Abweichungen sogar gezielt nach bestimmten Erzlagern in der Erde suchen.
Weitere Informationen: Schwarze Löcher im Universum! Gigantische, unvorstellbare Schwerkraftanomalien, die ganze Sterne verschlucken konnten. Im Zentrum der Milchstraße sollte solch ein riesiges Monster hausen.
Doch hier, auf dem Mond? Außer ein paar kleinen Erdbeben gab es nichts Besonderes. Der Mond zeigte immer dieselbe Seite seiner Oberfläche, immer die gleichen Werte. Bis auf diese so stark eingeschränkte Stelle im Mare Tranquillitatis.
Die Zeit verging wie im Fluge. Essen wurde gereicht, der Kaffee serviert. Dr. Hider nahm nicht richtig wahr, was sie eigentlich aß. Kochen war nicht ihre Stärke, und sie lebte nach dem Motto: Hauptsache es macht satt und ist nicht schädlich! Vom Direktor war nichts zu sehen und zu hören. Doch Dr. Hider wusste genau, dass die Drähte zu den höheren Dienststellen heiß liefen. Nach und nach versammelten sich die Mitarbeiter wieder vor dem großen Monitor. Zuletzt erschien der Direktor und gab die Anweisung, die magische Stelle erneut zu überfliegen und zu vermessen. Nun waren alle Bedenken der Mondgeologen ausgeräumt.
Das Bild baute sich auf. Die Messwerte erschienen. Nichts hatte sich geändert.
Jetzt die Stelle des Reflektors.
Alter Wert: 711,34
Neuer Wert: 101,23
Ein Raunen ging durch den Saal. Also doch ein Messfehler! Da würden sich die Techniker freuen, die nun eine Erklärung für das Versagen der Messgeräte abliefern mussten.
„Messung beim erneuten Überfliegen wiederholen!“, ordnete der Direktor an.
Warten. 35 Minuten Warten. Das Bild baute sich wieder auf.
Alter Wert: 101,23
Neuer Wert: 711,34
„Verflucht!“, brüllte Peter Soerenson los, der sonst nicht so leicht die Geduld verlor. Sein nordischer Akzent war nun unüberhörbar. Das war immer ein schlechtes Zeichen für die Mitarbeiter. „Wer nimmt uns da auf den Arm?“
Alle im Raum sahen sich ratlos an. Das war unerklärlich. Dr. Hider meldete sich schließlich zu Wort.
„Ich schlage vor, den Messsatelliten möglichst stationär über der Stelle zu positionieren. Das verschafft uns Klarheit.“
Ein Ingenieur fiel ihr sofort ins Wort.
„Das dauert zwei Tage, den Satelliten zu positionieren. Für uns bedeutet das, dass er viel Treibstoff verbrauchen wird. Wir müssen ihn auf eine hohe Umlaufbahn bringen. Das ist dann das Ende unserer Arbeit mit diesem Satelliten. Ein neuer ist dann fällig.“
Der Direktor nickte und forderte andere Beiträge. Doch alle Diskussion brachte nichts ein. Es gab keinen anderen Weg.
„Wie erklären wir dem Rest der Welt, warum wir zum ersten Mal in der Geschichte der Mondforschung einen möglichst lunar-stationären Satelliten einsetzen? Das hat bisher noch nie jemand versucht, denn der Mond rotiert ja bekanntermaßen erdgebunden“, wollte einer wissen. „Sollen wir etwa auch die ganze Zeit hier in Quarantäne verbringen?“
Unruhe kam auf. Der Direktor bat um Ruhe. Alles wollte schnell und richtig entschieden werden.
„Ich greife den Vorschlag von Dr. Hider auf“, entschied er. „Der Alarm wird aufgehoben, aber das Redeverbot bleibt für alle bestehen. Ich muss mich auf Sie verlassen können.“
Durch eigenhändige Unterschrift musste jeder versichern, dass er sich daran halten würde. Dann wurde der Alarm aufgehoben. Die mühsame Arbeit, den Satelliten auf einen fast stationären Orbit zu bringen, wurde angegangen. Die Frage war, ob er aus dieser Höhe dann überhaupt noch gute Messwerte liefern konnte. Das konnte niemand voraussagen.
Wenige Minuten nach der Aufhebung des Alarms verließ eine verschlüsselte Botschaft das Observatorium.
„Wie viel ist dir die Entdeckung dieses Jahrhunderts wert?“
Eine hohe Zahl kam zurück und eine neue Botschaft verließ das Observatorium. Das Mobiltelefon konnte nicht geortet oder zurückverfolgt werden.
„Wechselnde, unerklärliche Schwerkraftanomalie auf dem Mond bei 0°40'26.69"N,
23° 28' 22.69" O / höchste Geheimhaltungsstufe / Präsident informiert“
Antwort: „Betrag überwiesen. Erwarte Mitteilung über weitere Maßnahmen.“
In kleinen Mitteilungen gingen die nächsten Informationen an den Empfänger. Wenige Stunden später richteten sich russische und chinesische Antennen auf eine kleine Stelle im Meer der Ruhe, dem Mare Tranquillitatis.
Was ist dort geschehen? Das war die Frage, die heiß diskutiert wurde. Jedenfalls war jetzt auch klar, warum die NASA einen Forschungssatelliten umdirigiert hatte. Längst war es gelungen, das Manöver zu beobachten.
„Es muss etwas Bedeutendes sein“, meinte ein chinesischer Forscher zu seinen Kollegen. „Noch nie wurden die Daten von Satellitenmessungen so stark verschlüsselt. Normalerweise werden wir auch sofort über die Werte informiert. Das ist ein echter Bruch in der Tradition der Mondforschung! Da steckt mehr dahinter, als wir ahnen!“
Читать дальше