Das Modem meldete sich. Ligmoe drückte auf die Sprechtaste.
„Das ist sehr merkwürdig!“, hörte er seinen Freund mit gedämpfter Stimme. „Ich konnte den Reflektor nicht finden. Ich frage bei Higashi in Japan nach.“
Nach mehr als drei Stunden war der Reflektor noch immer nicht gefunden worden.
„Ich werde die NASA kontaktieren“, beendete er das Gespräch mit seinem Freund auf Hawaii. „Das alles ist mehr als merkwürdig.“
NASA- Zentrale
„Wie weit sind die Untersuchungen fortgeschritten, Dr. Hider?“, fragte Peter Soerenson, der Leiter der Mond-Observierungsgruppe. Er war Schwede und gehörte dem internationalen Team an, das hier arbeitete. Er war groß, blond, eben ein typischer Schwede, wie die Amerikaner sagten, und das hörte man an seinem netten nordischen Akzent.
Dr. Hider drehte sich um. Sie war eine alteingesessene Mitarbeiterin der NASA, die sich auf den Mond spezialisiert hatte. Sie kannte alle Landeplätze, alle Daten und Besonderheiten. Von den vielen Mitarbeitern der Gruppe, die es während der Mondlandungen des Apollo-Projekts gab, waren nur drei übriggeblieben. Dr. Hider war eine von ihnen. Auf ihre Kenntnisse konnte nicht verzichtet werden. Was den Mond und die Apollo-Missionen anging, war sie ein wandelndes Lexikon.
Dr. Hider war nicht sehr groß, aber sie füllte, wo immer sie auftauchte, sofort alle Räume, denn sie war eine Persönlichkeit, die man nicht übersehen konnte. Die kurzen braunen Haare wirkten eher wie ein dunkler Schleier um ihr schmales Gesicht. Die haselnussbraunen Augen mit den goldenen Einsprengseln schienen immer auf der Suche nach einem festen Punkt zu sein. Sie hatte die Scheidung vor fünf Jahren noch nicht ganz überwunden, und wenn jemand ihr zu nahekam, machte sie schnell deutlich, wo die Grenze ihres persönlichen Bereichs lag. Dennoch war sie bei allen Mitarbeitern geachtet und beleibt. Ihr eilte der Ruf nach, sie könnte mit einem Kompass, einem Zelt, etwas Ausrüstung und einem Schlafsack die Rocky Mountains durchwandern, ohne auch nur einen Ort aufzusuchen. Sie war Nichtraucherin, was nicht immer auf Verständnis stieß.
„Der Reflektor ist wie vom Mondboden verschluckt, Chef“, antwortete sie. „Es gibt dafür nur eine Erklärung, jedenfalls nach meiner Meinung.“
„Und die wäre?“, fragte ihr Chef zurück.
„Ein kleiner Gesteinsbrocken aus dem All hat den Reflektor getroffen und zerstört. Vielleicht nur beim Aufprall umgeworfen, alles ist möglich.“
Dr. Hider hatte diesen merkwürdigen Sprachstil, an den man sich erst gewöhnen musste. Sie sprach neben ihrer Muttersprache noch zwei weitere Sprachen fließen, Französisch und Spanisch. Sie behauptete, nie so ganz trennen zu können, in welcher Sprache sie gerade dachte. Vielleicht kam ihr besonderer Sprachstil auch daher.
„Vielleicht auch ein Mikrobeben, wer weiß. Jedenfalls ist der Reflektor nicht mehr erreichbar.“
„Irgendeine Idee?“, kam die Gegenfrage. Wie konnte man bei einem eigentlich unmöglichen Ereignis überhaupt eine Frage haben, die Sinn machte? Doch Dr. Hider dachte schnell und analytisch.
„Wir haben doch den Luna-Orbiter, der das Gravitationsfeld ausmessen und die Oberfläche kartieren soll. Tranquillitatis kommt erst in einigen Monaten an die Reihe. Könnte man aber wohl ändern. Auflösung liegt bei 40 cm. Könnte gerade noch klappen. Dann sehen wir das Ding. Außerdem haben wir dann mal wieder ein aktuelles Foto von der Landefähre, besser wohl von dem Gestell, das dort geblieben ist. Das schicken wir dann den ewigen Skeptikern, was Apollo angeht. “
Ihr Chef sah sie skeptisch an.
„Wie sollen wir das begründen?“, wollte er wissen. „Die Geologen werden sich nicht so einfach unterordnen, wie ich die kenne.“
„Grund? So ist das billiger als eine neue Landung für einen neuen Reflektor“, kam sofort die Antwort in der typischen Dr. Hider Manier. „Das werden auch die Gesteinsfreaks einsehen.“
Sie sah Peter Soerenson an und wedelte mit ihrem Block, den sie immer noch in der Hand hielt. „Eine Alternative wäre, dass die Russen, Chinesen oder Europäer das Ding geklaut haben. Doch diese Idee wird wohl keiner ernsthaft vertreten, oder?“ Sie stoppte ihren Gang abrupt. „Sie werden das schon schaffen, Peter. Die sind sicher genauso neugierig wie wir alle.“
Die Vorbereitungen dauerten drei Tage, dann wurde der Lunar- Orbiter umdirigiert, wenn auch immer noch unter großen Protesten. Alle möglichen Argumente wurden vorgeschoben, von der Problematik, den alten Punkt wieder zu finden bis hin zum Treibstoffbedarf für eine nicht vorgesehene Aufgabe. Doch wenn schon, dann wenigstens unter der Leitung der Mondgeologen. Die Leitung wollten sie auf keinen Fall aus der Hand geben. Es ist ja schließlich ihr Orbiter! „die Kosten stellen wir in Rechnung“, war ihr letztes Argument, dann siegte entweder die Vernunft oder die Neugier in dieser Gruppe.
Dr. Hider stand neben dem großen Bildschirm, der die Bilder und Daten des Orbiters zeigte.
„Nun kommt gleich die Stelle eures Reflektors“, wird ihr zugerufen. Als ob sie das nicht wüsste! Sie kannte die Koordinaten und sogar jede Spur, die die Apollo-Mission hier hinterlassen hatte.
„Da müsste es sein, wenn ihr euch nicht vermessen habt“, kommt ein neuer Zuruf.
Dr. Hider betrachtet das Bild. Es ist die Landestelle von Apollo 11, eindeutig. Sie hätte sie zeichnen können, so oft hat sie sie schon betrachtet. Die Koordinaten liefen am unteren Bildschirm in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit vorbei. „Aufzeichnen!“, rief sie schnell, dabei hatte Peter Soerenson das schon längst veranlasst.
Jetzt müsste der Reflektor als kleine Scheibe erkennbar sein. Alle starrten auf den Schirm.
„Teilbild einfrieren!“, rief sie. In der rechten oberen Ecke erschien das Standbild der Landestelle. Es war nicht sehr scharf, denn die Auflösung war doch etwas grob, aber alles war gut zu erkennen. Sie fixierte das Bild, schloss die Augen. Dann sah sie wieder hin.
„Nichts! Wahnsinn!“, rief einer in die Runde. „Seht euch aber die Gravitationswerte an!“
Doch der Satellit war schon weiter. Der Überflug hatte nur wenige Sekunden gedauert.
„Alle Werte wieder aus der Aufzeichnung zurückrufen!“, kam die Anweisung.
Das Bild flackerte für einen Moment, dann baute es sich wieder auf. Wie im Zeitlupentempo rollte der Mondboden über den Bildschirm.
„Gravitationswerte auf den Hauptschirm!“, kam eine Anweisung aus dem Lautsprecher. Das waren die Geologen und Physiker, eindeutig!
Am rechten Bildschirm erschien eine Zahlenkolonne. Die Werte schwankten leicht um 100 %. Das war normal, denn der Mond war ja nicht einheitlich aufgebaut. Schon große Bodenunebenheiten wurden von den sensiblen Geräten registriert.
Jetzt! Sie stiegen rasch an, auf über 700 %!
„Das ist Wahnsinn!“
„Das kann nicht sein!“
„Messfehler!“
Doch die Werte stabilisierten sich schnell wieder bei 100 %. Das war kein Messfehler. Doch was war das? Ein momentanes Versagen des Bordcomputers, des Sensors? Einflüsse von starken Sonnenwinden?
„Werte mit denen der Apollo-Mission vergleichen!“
Die Geologen arbeiteten effizient, musste Dr. Hider sich eingestehen. „Die wissen, wie man Probleme behandelt“, dachte sie anerkennend.
Erneut lief der Boden auf dem Bildschirm nach unten. Doch diesmal gab es zwei Zahlenkolonnen zu sehen, die neuen Messwerte und die alten von Apollo.
Die Zahlenreihen waren zunächst fast identisch. „Verbesserte Messgeräte“, flüsterte einer Dr. Hider zu. Als ob sie das nicht wüsste.
Jetzt die Stelle des Reflektors.
Aller Wert: 101,23
Neuer Wert: 711,34
Wahnsinn! Was hat das zu bedeuten? Wo ist der Reflektor? Nichts zu sehen.
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