„Ich hatte aber Verbindung zum Wasser“, warf er entrüstet ein. „Glaube es mir. Und nun habe ich auch keinen großen Durst mehr, wenn ich auch noch gerne mehr getrunken hätte.“
Ling schaute Tim ungläubig an. Mehr getrunken? Unterlag Tim einer gewaltigen Selbsttäuschung? Ihr Mund war trocken, und die Zunge klebte am Gaumen. Wie konnte er da von Trinken reden?
Tim sah sie zufrieden an, fasste nach ihr und legte ihre Hand auf den leuchtenden Würfel. Sie spürte, wie etwas Kühles, Frisches in sie eindrang. Einbildung? Ihre Hand war doch trocken! Langsam zog das Erfrischende durch ihren Körper, erreicht zuerst die Schulter, dann den Hals und den Kopf, ergoss sich schließlich wie eine kleine Quelle bis zu ihren Füßen.
Wasser! Es war wunderbar. Kühl, köstlich, klar! Aller Durst war gelöscht.
Der Würfel verlor an Licht, bis er so aussah wie alle anderen. Doch Ling hatte das Gefühl, dass sie so viel getrunken hatte wie es ihr möglich war.
„Ich verstehe das nicht“, flüsterte sie. „Welch eine merkwürdige Technik!“
„Du musst irgendetwas getan haben, um den Würfel zu aktivieren“, meinte Tim. „Das Leuchten setzte ein, als du irgendwie wie weggetreten warst. Was hast du da gemacht?“
„Nichts Besonderes“, lautete die Antwort. „Ich hatte Durst und meine Gedanken kreisten um alles, was mit Wasser zu tun hat.“
„Probiere es noch einmal!“, forderte Tim sie auf. „Vielleicht ist es eine Art Telepathie, die uns mit den Würfeln verbindet. Vielleicht kann die fremde Technik auf diesem Wege verstehen, was wir mit Worten nicht übermitteln können.“
Ling strich sanft über den Würfel. Nun wusste sie, dass dies keine feindliche Technik war. Sie waren nur noch nicht in der Lage, sie zu verstehen, mit ihr zu kommunizieren.
„Da musst du warten, bis ich wieder Durst habe“, gab Ling zurück. „Hast du denn genug getrunken?“
Nein, das hatte Tim nicht. So begann er, sich auf alles zu konzentrieren, was mit Wasser zu tun hatte. Er stellte sich eine Badewanne voll mit sprudelndem Mineralwasser vor. Er tauchte seinen Kopf hinein und trank und trank.
Der Würfel leuchtete wieder auf, und Tim legte nun die Hand auf ihn. Genussvoll spürte er, wie das kühle Nass ihn erfrischte.
„Das ist es, Ling“, rief er begeistert. „Der Würfel reagiert auf unsere Vorstellungen. Nun sind wir eine Sorge los.“ Er fühlte sich frisch und frei.
Doch Ling blieb skeptisch. „Wenn wir uns das nur einbilden und unser Körper nicht wirklich Wasser bekommen hat, werden wir noch größere Probleme bekommen. Ich habe einmal von einer Fata Morgana gehört, die den Wüstenreisenden Wasser vorgaukelte. Doch sie tranken staubigen Sand und verdursteten. Warten wir ab, was passiert. Nun sollten wir aber versuchen, diese Halle zu verlassen. Wir können ja jederzeit wieder zurück, wenn der Durst sich meldet.“
Tim war einverstanden. Sie passierten die nächste Lichtnebelwand, fanden aber nur einen leeren Raum vor sich. Im folgenden Raum waren die würfelartigen Objekte an der Wand gestapelt und so fest miteinander verbunden, dass sie sich nicht trennen ließen. Sie konnten keine Funktion erkennen oder ermitteln. Tims Tafel zeigte keine Wirkung, aber sie vermuteten, dass alle diese Objekte eine bestimmte Funktion hatten. Sie mussten nur wissen oder herausfinden, wie sie aktiviert werden konnten. Leichter gedacht als getan! Also verließen Tim und Ling auch diese Halle.
Nun standen sie aber nicht in einer neuen Halle, sondern auf einer freien Fläche. Hinter ihnen bildete das Nebellicht eine geschlossene Tür. Sie sahen einen gewaltigen Würfel aus dem milchigen Material. Es gab keinerlei Trennwände oder Fenster, keine erkennbaren Seiteneingänge.
Offensichtlich war hier Tag. Eine helle Sonne stand kurz unter dem ersten Drittel des Aufstiegs – oder Abstiegs?- am Firmament. Sie schien etwas kleiner zu sein als die irdische Sonne, aber auch etwas heller. Sterne waren in diesem hellen Licht nicht zu sehen.
Sie sahen sich um. Auf einer großen Fläche standen merkwürdig geschwungene Gebilde, die weder Fenster noch Türen aufwiesen. Es gab keine erkennbare Anordnung unter ihnen, und bei genauem Hinsehen schien es, als schwebten sie in der Luft. Sie warfen kaum erkennbare Schatten. Weit hinter diesen merkwürdigen Gebäuden sahen sie einen grünen Schimmer, der aber zu beben schien. Auch glaubten die beiden, dort einen Farbwechsel erkennen zu können. Der Raum über ihnen war erfüllt von Licht. Er hatte einen leicht rötlichen Schimmer. Die Luft um sie herum war die gleiche Atemluft wie in den Räumen.
Pflanzen oder Lebewesen gab es nicht zu sehen. Das helle Licht blendete sie etwas, und beide mussten die Hände über die Augen legen, um weiterhin sehen zu können. Es war still hier, absolut still. Tim konnte das Pochen des Blutes in seinen Ohren hören.
„Ich würde mir gerne dieses Gebilde da vorne links ansehen, das mit dem zipfelartigen Dach oder was das sein mag“, schlug Ling vor. „Wenn es sich um Wohnungen handeln sollte, dann müssen sie uns auch einiges über die Erbauer erzählen können. Was meinst du?“
Sie hatten längst vergessen, dass sie nur dicke Socken an den Füßen hatten. Hier draußen in der Wärme der Sonne machte sich der Raumanzug unangenehm bemerkbar.
„Das ist eine gute Idee“, meinte Tim. „Doch wir sollten immer nur so weit gehen, dass wir bei Gefahr schnell zurückkehren können. Dass wir keine Lebewesen sehen bedeutet nicht, dass es keine gibt.“
Sie sahen sich das merkwürdige Gebäude genauer an. Als sie losgehen wollten, bemerkten sie, dass sich das Gebilde auf sie zu bewegte. Das war doch verrückt. Sicher eine Fata Morgana einer fremden Welt!
„Vorsichtig!“, rief Ling. „Es kommt auf uns zu.“
Das merkwürdige Gebilde, das sie später einfach Zipfelhaus nannten, schwebte auf sie zu. Schnell traten sie zurück, um nicht im Wege zu stehen. Die Lichtwand hinter ihnen ließ sie passieren, und sie standen wieder in der leeren Halle.
Sie warteten ein paar Minuten, immer noch erfreut, dass sie keinen Durst verspürten. Dann traten sie wieder hinaus. Das Zipfelhaus hatte seine ursprüngliche Position wieder eingenommen. Nach kurzer Absprache konzentrierten sie sich auf ein Gebilde, das sie Stapelhaus nannten, weil es aussah wie drei Kartons, die aufeinandergestapelt waren. Sie befahlen ihm mit Gedanken, an sie heranzukommen. Sofort schwebte das Stapelhaus auf sie zu.
„Stopp!“, dachte Ling und sprach das Wort sogar laut aus.
Das Gebilde hielt an.
„Zurück!“
Das Gebilde schwebte zurück. Nun wussten Ling und Tim, wie diese „Häuser“ zu bewegen waren. Schnell hatten sie auch herausgefunden, dass sie die Befehle mit Gedanken geben mussten. Auf Sprache reagierten sie nicht.
„Ob die Unbekannten, die hier wohnten, keine Sprache hatten?“, fragte sich Tim. „Oder hatten sie so viele, dass es nicht möglich war, alle Kommandos in ihnen unterzubringen?“
Dazu konnte Ling nichts sagen. Sie war nicht fürs Spekulieren. Sie fühlte sich nur müde und schlug vor, in der Halle des Wassers, wie sie die zweite Halle nannten, einfach eine Runde zu schlafen. Damit war Tim einverstanden. Mit der Tafel vor sich schafften sie es ohne Probleme, durch die Lichtwände hindurchzugehen. Sie hatten sicher hier noch viel Zeit, und diese merkwürdigen Häuser liefen ihnen ja nicht weg, sie kamen ihnen sogar entgegen.
Doch dann hörten sie etwas wie einen wilden Schrei, der von außen gekommen sein musste. Der Schrei war so schrill, dass er durch sie hindurch stieß. Voller Schrecken drehten sie sich um.
Nichts war zu sehen.
Wieder dieser Schrei. Vorsichtig passierten sie die Nebellichtschranken bis zur letzten Halle. Ein unförmiger Schatten lag auf dem Nebellicht. Er tanzte hin und her, erhob sich und fiel wieder auf den Boden. Dann war er verschwunden. Sie sollten ihn nie wieder sehen und hören. Später meinte Tim, das sein eine Spätreaktion ihrer Nerven auf das Unmögliche gewesen.
Читать дальше