Als »Tarzan« vom Wasserholen zurückkehrte, ließ Bert uns ahnen, was es bedeutete, ernsthaft «kilometerzumachen«. Er schien die Wagen zwingen zu können, selbst die Höchstgeschwindigkeit von siebzig Kilometer in der Stunde zu überwinden. Nefta flog an uns vorüber. Die Sonne schien noch hell, als die algerischen Grenzsperren vor Hazoua in Sichtweite kamen.
Weißgetünchte Barracken auf weiter, sonnendurchglühter Öde verblüfften uns durch ihre Einfachheit, waren sie doch offizieller Grenzposten zwischen Tunesien und Algerien. Die Versetzung eines österreichischen Grenzers an diesen Ort mochte sein baldiges, elendiges Verdorren bedeuten. Die hier diensttuenden Beamten strahlten aber selbst in bis ans Kinn zugeknöpfter Uniform geradezu provokante Kühle aus, während wir Mitteleuropäer im nachmittäglichen Glühen am Rand der algerischen Wüste fast vergingen. Achtlos ob der Ansteckungsgefahr durch irgendwelche Mikroorganismen schlürften wir Wasser aus einem Hahn mitten im Sand. Grundwasser, das durch viel Sand an die Oberfläche gestiegen ist, wird, dieserart natürlich gefiltert, sauberer sein, als jenes einer noch so klaren Quelle im Dschungel, mutmaßten wir hoffnungsvoll. Mein Gesicht im lauwarmen Nass zu waschen, war die reinste Wonne. Obgleich wir erst vor Stunden die Oase verlassen hatten und dementsprechend noch erfrischt sein und uns sauber fühlen sollten, schien uns, als hätten wir tagelang keinen Schatten mehr erlebt. Wir fühlten uns erschöpft und klebrig wie Wüstenritter nach tagelangen Strapazen. Das Wasser an T-Shirt und Hose verdunstete in Minutenschnelle. Mein eigener, ständig wie ein Schatten an mir haftender Schweißgeruch verließ mein Riechzentrum kaum noch.
Ich umkreiste gemächlich, um meinem Organismus keinen Kollaps zuzumuten, die Wagen, kickte nach Steinen, um meine schlaffen Muskeln an ihre Funktionalität zu erinnern. Dass es am später Nachmittag noch derartig heiß sein würde, hatten wir nicht erwartet, waren wir doch noch keineswegs weit in die Wüste vorgedrungen. Ein kleines, flaches Päckchen mit quadratischer Oberfläche, das nahe »Uhurus« Hinterreifen lag, unterbrach meinen matten Müßiggang. Bei jeder Bewegung zu fühlen, dass Schweiß über dem ganzen Körper perlt, war durchaus gewöhnungsbedürftig, und ich spürte beim Bücken Tropfen über meinen Hals zum Kinn rieseln, wischte sie unwillig fort. Durchsichtig trübes Klebeband umhüllte schmutziges Papier, und ich zerrte, kratzte, zog, obgleich ich gar nicht wirklich interessiert war an dem Inhalt dieses Objektes. Eine bräunliche oder eher graue Substanz, ein Kraut, das wie Majoran aussah, jedoch anders roch, bröckelte mir entgegen. Ich schaute mich um. Niemand beobachtete mich, also besah ich erneut meinen Fund. Schnupperte. Schmeckte.
Wilfrieds spitzes Gesicht erschien über meiner Schulter. Erschrocken versteckte ich meinen Schatz, aber er wollte wissen, was ich da hätte, und ich entwirrte ich das Klebeband von neuem, hielt ihm meinen Fund unter die Nase. Er nahm das Päckchen vorsichtig von meiner Handfläche und grinste mich an. Große, braune Augen, fast kinnlanges Haar. Zerschlissene Jeans. Enge, kurze, weiße Leinenjacke mit mehreren Taschen. Braune, nervige Finger. Ein breiter Ring.
»Gras,« Er hielt es mir hin, »... bevor du es wegwirfst, schenkst du ’s mir, okay?« Er entfernte sich auf seine ihm eigene, lautlos lässige Art, ehe ich meinen verbalen, viel zu lauten Ausdruck der Empörung, »... glaubst du, dass hier Rauschgift geschmuggelt wird?« beendet hatte. Marihuana, also. Ich schaute mich wieder um, schnupperte. Meine Erfahrungen mit diesen Dingen waren gleich Null. Touristen, die vor uns hier durchgekommen waren, mussten es verloren haben. Vielleicht waren es Holländer gewesen oder Australier, die bekanntlich gerne etwas rauchten. Dann zeigte meine Phantasie mir geheimnisvolle, dunkelhäutige Männer in wallenden Djellabahs, glutäugige Araber, die ihre Feste mit knisternden Kräutern beleben ... Dass das Kraut jemandem von uns gehören könnte, kam mir nicht in den Sinn, auch nicht, dass der Besitz solcher Drogen einen Touristen in manchen Ländern für Jahre hinter Gitter bringen kann.
Originalgetreu verpackt, platzierte ich das Päckchen unter meiner Fußsohle im rechten Espandrillo und betrat später nach Aufruf eines Beamten unbefangen das Zollgebäude zur Passkontrolle. Wie auf Kohlen und mit rotem Kopf schlich ich später daraus hervor. Mein Blick war Wilfrieds fragender Miene begegnet, und als ich sanft genickt hatte, war ein Ausdruck in seine Augen getreten, als sähe er mich in diesem Augenblick zum letzten Mal vor meiner Exekution. Erst viel später wagte ich, das Corpus delicti aus meinem Schuh zu nehmen. Mangels momentan angebrachter vernünftiger Denkfähigkeit legte ich es zwischen die Seiten meines Adressbuches.
*
Vermeintlich kluge Bürokratenköpfe haben zu Beginn der neunziger Jahre für den Eintritt in Algerien einen Zwangsumtausch von rund 1000 Algerischen Dinar zwingend gemacht, das heißt, die Einreise wird Touristen nur erlaubt, wenn sie eine Bescheinigung erlegen, dass sie dem Land Devisen im Gegenwert von 1000 Algerischen Dinar hinterlassen haben. Nun ist Algerien aber ein riesiges, kaum besiedeltes Wüstenland, geprägt von den Sanddünen des Großen Erg Oriental im Westen, den harten Sand- und Schottenebenen des Erg Occidental im Norden und Osten und glühenden Plateaus und Landabbrüchen. Nach tagelanger Fahrt auf bretthartem »Wellblech«, so benannt nach den Querrillen aus festgefahrenem Sand, die sich eine an die andere schmiegen und ein kilometerlanges Waschbrett ergeben, Gift für die mittels Schrauben befestigten Teile an einem Wagen, schmachtet der Reisende schließlich hunderte Meter tiefer im glosenden Tal, wie etwa am Abbruch des Tademait-Plateaus zwischen El Golea und In Salah. Nur wenige Städte oder zumindest größere Orte wie Ouargla, In Salah und Tamanrasset bieten Gelegenheit, das viele Geld auch wieder auszugeben, doch – wofür? Sollte man literweise Tee trinken, Stoffe kaufen, für die man keine Verwendung hatte, den Transport schon zu Reisebeginn mit Souvenirs belasten oder gar Ziegen oder Hühner erstehen? Rund hundertzwanzig Dollar (Stand 13.10.1989) hatte jeder von uns in Algerische Dinar umzuwechseln.
Bert nahm sich eines Teils der Fremdwährung im Wert von tausend österreichischen Schillingen an, um den Betrag als ausstehende Teilzahlung unseres »Essensgeldes«, das wir ihm pauschal zu überantworten vereinbart hatten, in algerischen Diesel und Lebensmittel zu investieren. Wir waren die einzige Touristengruppe an diesem Nachmittag an der Grenzstation und schlurften unsicher durch den Sand zwischen den Holzbauten wie eine versprengte, einsame Gruppe Revolverhelden auf der Flucht vor Clint Eastwood. Bert war noch immer böse wegen des Wasserladens, und überdies, weil es schien, als würde die Notwendigkeit Geld zu wechseln einen weiteren ungeplanten Aufenthalt bedingen. Auf Algeriens Seite von Hazoua war eine der Barracken zum Bankinstitut umfunktioniert worden. Seltsam, dachte ich mir, besonders gut bewaffnet und abgesichert wirken die Posten nicht, wer bewacht also das Geld in dieser Einöde? Sorgenvoll schauten wir dem Sonnenball beim Sinken zu, dachten an Lagerfeuerromantik, Abendessen und warme Idylle in den Schlafsäcken im Zelt ... allerdings würde aus der ersehnten Gemütlichkeit nichts werden, wenn wir nicht noch an diesem Abend das Geld wechseln würden können. Es würde uns nichts übrigbleiben, als im Niemandsland zwischen den Grenzbalken zu nächtigen und zu hoffen, dass am nächsten Tag jemand die Bank eröffnen würde. Allerdings war der nächste Tag ein Samstag, soweit ich mich erinnere. Ohne viel Hoffnung klopften wir am Holztor der provisorischen Bank ... es wurde uns aufgetan!
Im diffusen Dämmerlicht streckte ein junger Araber seinen Kopf aus dem Spalt zwischen splittrigem, grüngestrichenen Türstock und ebensolcher Tür. Und dieser Mann war so schön, dass es uns schier die Sprache verschlug.
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