Mitten im Nachmittagsglühen erreichten wir Sousse.
Der Campingplatz von Sousse entpuppte sich als Flecken brütendheißer Strand zwischen spärlich mit Gräsern bewachsenen Dünen. Hier galt es als erlaubt, Wagen zu parken und Feuer zu machen. Dass »Camping« auf einem im Sand liegenden, verwitternden Holzschild zu lesen stand, galt offenbar als offizielle Widmung. Wir hatten uns auf richtige Duschen und ein bisschen Komfort gefreut und schauten uns entsprechend enttäuscht um. Was mich betraf, ich freute mich weit mehr über die Nähe zum Meer und die Romantik eines Zeltplatzes mitten in den Dünen als ich des Komforts bedurfte. Das Murren ringsumher kümmerte mich zunächst nicht , aber –
Sobald wir von der Straße abgefahren waren, steckten wir auch schon fest. Kaum acht Zentimeter hoher Sand an einem vielbefahrenen Strand war uns zur Falle geworden. Karli lachte laut, sehr laut, und er lachte für uns alle, denn heimlich erschrocken gedachten wir der kommenden Wüsteneien. Wie sollte an ein Durchkommen durch die Sahara zu glauben sein, wenn wir schon hier, am halbwegs zivilisierten Strand von Sousse, festsaßen? Die Sandbleche hingen festgezurrt unter »Tarzans« Galerie, unerreichbar, vorerst. Ilses tadelndes »Ach, Gott ...« sprach mir diesmal aus der Seele.
Unter den neugierigen Blicken der Badegäste und dröhnendem Lärm der Allrad-Getriebe zog »Tarzan« »Uhuru«mit Hilfe einer Schleppstange aus dem teilweise immerhin zehn Zentimeter tiefen Sand.
»Zu fein, dieser Sand«, erklärte Bert grinsend, in den Knien wippend und klopfte Brommel die schweißüberströmte Schulter, sie schauten in die Runde, als erwarteten sie Beifall, » ... die Wüste schaffen wir mit Leichtigkeit. Was glaubt ihr denn?«
Wir verzichteten geschlossen auf eine Antwort. Der Abgasrauch lag noch über dem flirrenden Strand und verzog sich gegen das Meer hin.
Das Meer!
Anita und ich nickten einander zu ... das Meer ... endlich ...
»... ihr wisst, was ihr zu tun habt,« riss Bert mich aus meinem Traum vom schnellen Sprung in die Fluten, und auch die anderen, im Begriff, sich zu strecken, die steifen Beine zu vertreten und das Ende einer strapaziösen Etappe zu genießen, drehten sich, langsam und ungläubig ob des scharfen Kommandotones zu Bert um, »... die Gruppeneinteilungen sind klar? Lagergruppe: Zelte von der Galerie räumen und die Klappsessel! Feuerholz suchen! Kfz-Gruppe: für Ordnung im Wagen sorgen! Aufräumen! Kochgruppe: Geschirr bereitstellen, fertig machen zum Einkaufengehen!«
Selbst das Meeresrauschen schien sich in Kichern zu verwandeln. Meinte er etwa uns? Zuerst die Hektik der Fahrt, Krankheit wegen der Missstände im Wagen und nun gleich soviel Arbeit?
»Mit mir nicht,« Armin stapfte, umschwärmt von einer Rauchwolke, an mir vorbei zwischen die Dünen hinein. Mit mir auch nicht, dachte ich und schritt auf die Wasserlinie zu. Wer mir »He!« nachrief, war mir egal. Ich würde ja wiederkommen. Später, ein bisschen später ...
»Und überhaupt wird morgen, ehe ihr in der Stadt verschwindet, das gesamte Gepäck aus den Wagen geräumt! Alles! Das Wichtigste nehmt ihr heraus und verstaut es im Handgepäck. Die großen Rucksäcke kommen auf das Dach! Alle!« Bert rief seine Ansichten in den Wind, von Brommel flankiert, der neben dem Chef auf Befehle wartete.
»Aufs Dach?« flüsterte Ilse, zu recht besorgt, was, wenn es regnete? Und konnten die Gepäckstücke nicht herunterfallen? Wenig angetan von der Aussicht auf Großreinemachen strebten wir nach zögerlichen Umtrieben unter Berts Feldwebelgebrüll, wir faulen Säcke sollten mitanfassen, zu den Wagen zurück. Niemand schien bereit, zu tun, was über den eigenen Bedarf hinausging. Wunderbarerweise stellte sich aber allmählich einigermaßen disziplinierte Betriebsamkeit ein, Klappsessel flogen von der Galerie, desgleichen Schlafsäcke und Matten, Geschirr schepperte und allerlei Gerät wurde aus dem »Tarzan« geschleudert. Tommy stand auf der Galerie und machte uns den Packer, Kochutensilien wurden in der brütenden Hitze ausgepackt und den den Sand geworfen.
Ich schlich seitlich hinter »Tarzan« davon ... Kochen. Ein Horror für mich, auch im Alltagsleben zu Hause für mich allein ... und dann erst für siebenundzwanzig Leute! Angesichts der Riesentöpfe wurde mir schlecht, wie mir schon beim Anblick der Riesenmenge Spaghetti unserer ersten Kochaktion in Europa übel geworden war ... aber jeder würde zum Kochen drankommen, soviel stand fest. Und die Grundbegriffe beherrschte ich ja. Hätte mir jemand in diesem Augenblick erzählt, wie es mir noch mit dem Kochen ergehen würde im tiefen Afrika, ich hätte ihn lauthals ausgelacht, trotz meiner Angina.
Augenblicklich notwendige Dinge wie Badezeug, Handtuch, Seife und Tagebuch mussten aus dem »Uhuru« geholt werden. Geschlagene fünfzehn Minuten wartete ich am Einstieg auf die Gelegenheit, das Fahrzeug zu betreten, immerhin lächelnd ob der Wonne, am Meer zu sein, aus den Dünen zurückgekehrt und leidlich erfrischt vom Erlebnis des Meerwassers an Händen, Füßen und Gesicht. Dann erst fand sich auch für mich ein wenig Raum, wieder einzusteigen. Gebückte Körper drängten sich im Mittelgang. Sie versperrten einander Weg und Sicht. Elsie musste in dem Augenblick, da Wilfried sich durch die Türöffnung quetschen wollte, ausgerechnet ihren Rucksack hinauswerfen. Beide entgingen nur dank Wilfrieds akrobatischen Fähigkeiten einem Absturz. Das Geschrei schreckte die anderen nur kurz auf. Inga versuchte, Rudi eine Tasche durch das Fenster zu reichen und wurde von Dietmar im Vorbeidrängen der Länge nach über einen Sitz hingeworfen. Karli saß sinnend vor seinem wie ein Schlachttier geöffneten Rucksack und versperrte Ilse den Zutritt zu ihren eigenen Sachen auf dem Nachbarsitz. Ilse wiederum vermochte nicht zur Seite zu treten, um den schimpfenden Armin samt Zigarette und Schlafsack an sich vorüber zu lassen, da Erich, der ältere, mit seinem Wasserkanister in der Hand soeben den Aufstieg ins Wageninnere wagte und sein Kopf in Ilses Hüfthöhe zwischen ihr und dem Sitz steckte.
Ich wartete.
Neugierige Strandhändler umringten unseren Konvoi. Die bunten Sachen, die sie uns entgegenstreckten, wirkten verspielt und verlockend, aber noch fanden wir keine Muse, sie uns anzusehen. Plötzlich ertönte ein erboster Schrei. Senior Otto schlug mit einem Handtuch nach einem jungen Einheimischen, der sich blitzschnell duckte, Otto schlug nochmals, fuhr herum und versuchte dem Jungen nachzulaufen.
»Er hat mich bestohlen! Afrikanisches G’frast, deppertes ...« wetterte Otto, und er schien gar nicht mehr mit dem Fluchen aufhören zu wollen. Marga suchte ihn zu beruhigen. Angeblich hatte der Bursche den alten Mann durch ein Gespräch abgelenkt und ihm sodann einige Münzen aus der Seitentasche seiner Shorts gezogen. Erich, der jüngere, sprach ebenfalls beruhigend auf den Bestohlenen ein. Dann händigte ein dunkelhäutiger Bursche in wallendem Männerrock Otto das wiedererlangte Geld aus und entschuldigte sich umständlich in gebrochenem Englisch.
»Er soll nicht so ein Theater machen, der Otto,« flüsterte Anita mir aus der Seele, »... er verdirbt ja das Meeresrauschen.« Ein paar Kinder standen mit betretenen Gesichtern herum und kauten an Halmen des harten Halfagrases. Ihre Gesichter waren gelblich braun, die riesigen, dunklen Augen gebannt auf unser Tun gerichtet, ihr Haar schwarzes wirkte wollig, und Fetzen von T-Shirts, Hemden und bunten Kleidchen hingen an ihren zarten Körpern. Mit nackten Zehen gruben sie Muster in den Sand. Sie lächelten kein bisschen. Als ich winkte, flüchteten sie. Otto fluchte weiterhin Zeter und Mordio, keuchte kurzatmig empört und umkreiste in höchste Erregung die Wagen, in den Gesichtern der anderen Mitgefühl wohl suchend. Obgleich groß von Gestalt und von beachtlichem Taillenumfang, schien mir seine Erscheinung wenig fähig, gröbere Strapazen zu ertragen. Erich, der ältere wirkte geradezu jugendlich neben seinem Seniorkollegen.
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