Sabine hielt ein wachsames Auge auf Alfi, und die beiden unterhielten sich zuweilen angeregt. Luis, der sympathische muskulöse Naturbursche, war stets mit von der Partie. Anita zeichnete, obwohl blass vor Müdigkeit, recht frech ein Dreieck in die Luft, und wir kicherten, um unserer Unwohlsein zu vergessen. Milan war seit zwei Tagen ständig mit der Filmkamera auf der Schulter anzutreffen, liebevoll umschwänzelt von seiner holden Dunja. Silvia ergriff energisch das Zepter, da es galt, die Leute im Hafengewühl zusammenhalten und nannte uns einen »chaotischen Haufen Kinder«. Elsie gesellte sich an meine Seite.
»Ist schon ein Hammer, so eine Reise! Ihr seht alle so müde aus!« Sie lachte mich an, munter wie ein verspieltes Fohlen.
»Ja, hast du denn schlafen können im Schiff?«
»Klar doch! War gar nicht so übel.« Tiefe Grübchen erschienen in ihren Wangen, während der gedrungene, hübsch mollige Körper, vor Elan nur so strotzend, unter lautstarken Geplapper die Metalltreppe zum Parkplatz hinab tanzte. Halb schoben wir einander, halb sanken wir hinab vor Erschöpfung, und unten, bei den gelassen wartenden Zebras, trafen wir Bert und die beiden Fahrer. Sie sahen ebenfalls aus, als hätten sie im Rinnstein genächtigt.
»Bleibt weg von mir,« schnauzte Bert uns an, »... während ich alles mit den Beamten kläre! Es ist nicht notwendig, dass hundert Leute um mich herumstehen! Das macht die Burschen nur nervös.« Gerald und Tommy hatten ihre Annäherung sicher gutgemeint, aber Bert verscheuchte sie unfreundlich, mit gespreizten Beinen vor »Uhuru« aufgebaut unablässig in den nackten, sommersprossigen Knien wippend. Tommy, der blonde, schweigsame Athlet mit den stechend blauen Augen, wandte sich »Uhuru« zu, als lausche er still Berts Abfuhr nach und stieg ein. Drinnen hörten wir ihn mit Wilfried, dem hageren, stets nachdenklichen Hippie diskutieren. Weitere abwehrende Gesten gegen uns schleudernd, folgte Bert, jovial darauflos plaudernd, einem Uniformierten ins Büro. Allein.
Anita zuckte die Schultern, Peter und Karli wandten sich betreten ab. Luis murmelte etwas von ».... schmieren ....«, und die anderen fanden sich zu Plaudergruppen zusammen. Kopfschütteln überall. Was hatte unser Chef nur? Und warum sollten wir den Formalitäten fern bleiben? Dass Bert uns Bürokratisches aus Rücksicht auf unseren Reisegenuss ersparen wollte, war lachhaft. Der Anflug von Freude, ihn nach der langen Schifffahrt wiederzusehen, war verblasst, ohne jemals vollständig erblüht zu sein. Stoppelbärtig und käsig die Männer, bleich und zerzaust die Damen, statteten wir dem Duty-free-Laden einen Besuch ab. Im folgenden gesellte sich einige alkoholische Last zur menschlichen Ladung.
Es war Afrikas Luft, die wir nun atmeten. Das hielten wir einander vor, um endlich in richtige Abenteuerstimmung zu kommen. Die vorsichtige Annäherung der ersten Tage lag hinter uns. Umgangston und Gestik gerieten bereits deutlich legerer.
»Schleich’ dich,« bellte Armin Inga an, als sie die Dachluke öffnen wollte. Ingas Gespons Rudi brummte nur und schaute aus der Fensterluke neben seinem Kopf. Ich widmete mich den Ausblick durch mein Fenster, kein bisschen daran interessiert, partnerschaftliche Krisen bezeugen zu müssen.
Auf abgasverpesteter Küstenstraße strebten wir Sousse entgegen. Nach Abstechern in Straßengraben und Gebüsch bei den Pinkelpausen wurde die Rückkehr in »Uhurus« Inneres bereits zum vertrauten Ritual und der hartnäckig verteidigte Sitzplatz zur Heimat im kleinen. Auch ich empfand es allerdings zuweilen bereits als angenehmer, »Uhuru« bei manchen Stopps gar nicht zu verlassen, um dem Gedränge am Einstieg zu entgehen anstatt bei jedem Halt – der Frischluft wegen – hinauszustreben. Besser, in Ruhe aus dem Fenster zu schauen und die Füße auf Armins köstlich verwaisten Sitz zu legen, als sich steif das Trittbett hinabzutasten und sich sogleich beeilen zu müssen. Aber auch Armin gewöhnte sich an, die Pinkelpausen nicht jedesmal zum Aussteigen zu nutzen ...
Ob sie glaube, dass wir irgendwann auch Pausen machen würden, um tatsächlich etwas zu erleben, fragte Inga Silvia. Die Oberlehrerin bleckte die Zähne. Na, deshalb seien wir doch hier. Soso, murrte Rudi, Ingas Gespons, er habe gedacht, wir seien gekommen, um entlang der Überlandrouten die Blumen zu gießen ...
Hin und her geschüttelt, Motorenlärm unablässig im Ohr, flüchtige Anblicke auf Bäume, Häuser, Telegrafenmasten und Gewässer durch die viel zu kleinen Fenster erhaschend, Fliegen mit blinzelnden Lidern verjagend und der Zugluft um Hals und Stirn wehrend, waren wir überdies eifrig damit beschäftigt, alle möglichen Sitzpositionen auszuprobieren. Whiskey aus dem Dutyfree machte die Runde und lockerte Zunge und Stimmung.
»Mir scheint!« empörte Ilse sich, und das »scheint« schwang sich gleich eine Oktave über das »mir« auf, als Bert ein Schlagloch allzu sorglos nahm und wir Insassen nur knapp einer groben Begegnung unserer Schädel mit der Wagendecke entgingen. Wir lachten über den lustigen Hüpfer. Als der nächste kam, lachten wir wieder, beim nächsten immer noch. Allerdings, im nachhinein betrachtet, waren die Schlaglöcher auf der Straße zwischen Tunis und Sousse kaum der Rede wert.
Immer wieder schwoll Ilses lamentierendes Gemurmel an, stets gebremst von Karlis beruhigenden oder zustimmenden Worten.
»Wir werden noch unsere Gesundheit ruinieren! Wenn der so weiterfährt! Das ist doch –«
»Aber nein, das halten wir schon aus ...«
»Ach Gott, der Mensch nimmt keine Rücksicht!«
»... wenig, ja ... ist aber doch nur ein kleines Schlagloch gewesen ...«
»Mir scheint!«
»... so schlimm ist es auch wieder nicht ...«
»Wenn das nur gut geht!«
»Klar, es soll doch auch ein bisschen Abenteuer sein ...«
Karlis geflüsterte Klagen strandeten unweigerlich an meinem Ohr, da ich ihm am nächsten saß.
»Ich frage mich, warum sie nicht zu Hause geblieben ist! Steht eigentlich im Vertrag, ob man Mitreisende knebeln darf?«
»Geh’, Karli, mein Lieber,« flötete die anspruchsvolle Dame im Safarianzug, und Karli schnaubte, »... schließ’ bitte das Fenster, ich erfrier’ ja!« Und mit einem Knurren, in Afrika erfriere jeden Tag jemand, ließ der Angesprochene das Schiebefenster zuknallen. Mir blieb nichts übrig, als Armins, mich wie immer belästigende Augäpfel anzugrinsen. Tatsächlich konnte ich mit dem Wissen, dass der Boden unter »Uhurus« Bauch wahrhaftig Afrika war, noch nichts anfangen.
Die Mittagssonne glomm auf dem Dach, und das Glimmen setzte sich im Wageninneren fort. Mangels Luftzufuhr würde die Hitze im Passagierraum bald unerträglich sein. Dennoch. Das Fenster neben mir musste so oft wie möglich geschlossen bleiben, denn ich konnte kaum noch schlucken vor Halsschmerzen. Einigen der anderen erging es ähnlich. Die Rauchschwaden aus Armins Giftstängeln zogen leidlich durch den Fensterspalt neben ihm ab. Meistens waberten sie allerdings aus unerfindlichen Gründen direkt auf mein Gesicht zu. Die Antibiotikapillen aus meiner Reiseapotheke zeigten allmählich Wirkung, zumindest war das Fieber gesunken und meine Laune besserte sich. Ich hoffte die ekelhaft schmeckenden Lutschtabletten schon am nächsten Tag wegpacken zu dürfen. Dann würde ich auf Tunesiens Märkten alles Kulinarische ausprobieren, das ich nicht kannte.
»Du wirst dich mästen,« hatte Karli weise gewarnt. Dass wir allesamt nun nach der Kälte der letzten Tage wonnig schweißgebadet waren auf unseren Plüschsitzen, konnte sich beim kleinsten Luftzug rächen – ärgerlich, sich mit derlei beschäftigen zu müssen, während draußen doch das exotische Tunesien sich auftat. Wir würden uns an das Abenteuer herantasten müssen. Es fing damit an, dass die klammen Sitze endlich zu trocknen begannen.
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