»Und du,« fragte Anita mich, »... weshalb bist du eigentlich mitgefahren?« Sie erwartete wahrscheinlich keine andere Antwort als jene, dass ich, wie alle anderen, neugierig auf Afrika gewesen war. Meinen Traum, die Welt so zu sehen, wie sie vielleicht einmal gewesen war, hoffte ich in Afrika zu erfüllen. Und ich hatte mein Leben in Wien mit tausend Schwierigkeiten einfach satt gehabt. Dass sie, wie ich, ahnte, dass für alle Reiseteilnehmer mehr dahintersteckte als bloß Neugier, sich kopfüber ins Unbekannte zu stürzen, dräute im verborgenen. Selbst die Fahrer waren vermutlich nicht nur des Geldverdienens wegen mit dabei. Brommel, der eigentlich Philipp hieß, gab sich aufbrausend, aber verständig, er bewegte sich inmitten der Szene, war einfach bloß da, immer in nächster Nähe »seiner« Autos. Wir gestanden uns gegenseitig den Verdacht, dass Brommel früher einmal recht viel Alkohol getrunken haben musste, seinem Aussehen und Verhalten nach zu schließen. Wenn er nur jetzt verlässlich war, konnte uns das einerlei sein. Bert kritisierte ihn oft dermaßen grob und lautstark, dass wir anderen erschrocken innehielten, er jagte ihn von einer Arbeit in die nächste. Aber Brommel würde sich selbst zu verteidigen wissen, dachten wir, also schwiegen wir zu Berts rüdem Umgangston. Verwunderlich schien uns allerdings, dass soviel an den Wagen zu tun schien, waren wir doch erst kurze Zeit unterwegs. Wir hatten an Berts Versicherung in Wien geglaubt, die Wagen seien perfekt. Gerry, der Reservefahrer, hielt sich im Hintergrund, aber wir hörten ihn öfter fluchen und sahen ihn mit den Handflächen auf das Wagenblech schlagen. Dass Bert so unzugänglich und schwer durchschaubar war, prägte das Gruppenleben von Anfang an. Aus dem jovialen Kameraden schien ein verschlossener Geschäftsmann geworden zu sein. Er traf Entscheidungen, ohne sich mit uns zu besprechen oder auch nur Dampf abzulassen wegen seiner Sorgen, er arbeitete, lenkte »Uhuru« und blieb unantastbar. Der größte Rückhalt, den wir auf die Reise mitgenommen hatten, Berts Erfahrung, verwandelte sich schnell in bange Enttäuschung und Misstrauen. Manchmal wandte Bert uns beim Sprechen nicht einmal seinen grünen Blick zu. Er besaß die geradezu chemisch bedingte Gabe, Menschen abzuweisen, und wären sie auch noch so sehr von der Absicht getrieben, ihm auf den Pelz zu rücken. Immer häufiger schien es, als interessiere ihn nicht sonderlich, ob wir zufrieden seien. Mit dem Essen, beispielsweise, waren wir es ganz und gar nicht, und das wusste Bert sehr wohl, wenn er auch kein Wort darüber verlor oder anstalten machte, etwas daran zu ändern. Zeigte er sich ernsten Vorwürfen gegenüber oft einfach ignorant, lieh er dann aber plötzlich unerwartet jedem sein Ohr für Kleinigkeiten wie für eine verlorene Zahnbürste oder einen zerrissenen Schnürsenkel, wegen eines Sonnenbrandes auf der Nase oder dem Wunsch, den Namen eines Dorfes, durch das wir vor Stunden gekommen waren, zu erfahren. Definitiver Kritik stellte er sich mit verschleiertem Blick und so vagen Argumenten und Antworten, dass nichts zu erwidern blieb.
»Bert, wir werden verhungern, wenn das so weitergeht.«
»Auf den Märkten weiter unten werden wir genug einkaufen können.«
»Wir fahren zu lange Etappen ohne Pause.«
»In der Wüste wird es interessanter sein, anzuhalten. Wollt ihr hier vielleicht Staub schlucken?«
»Wir haben zu wenig Platz im Wagen.«
»Ihr könnt ja den Tarzan besiedeln.«
»Die Medikamente gehen aus.«
»In Tozeur gibt es eine große Apotheke.«
»Es zieht im Uhuru.«
»In der Hitze werdet ihr noch froh darüber sein.«
»Die Filteranlage streikt.«
»Wenn ihr Mikropur zum Entkeimen nehmt, ist das gut für die Verdauung.«
Karli beklagte, dass an diesem Mann ein Wesenszug sei, der ihn kaum noch ruhig schlafen ließe. Karli selbst entpuppte sich als ein echter Lichtblick. Er wusste stets viel zu erzählen und war so hilfsbereit, wie er es selbst an sich noch nicht gekannt hatte, wie er sagte. Der Mathematikstudent bewies erstaunlich viel Sinn für Romantik. Von Dietmar, beispielsweise, dem bleichen Schwarzhaarigen, der wie ein Wolf verhalten spähend herumgeisterte und zu ähnlich spröder Ironie fähig war, wie Karli, spürte man kaum eine Regung, aber einmal angesprochen, gab er sich aufmerksam und freundlich. Wir beobachteten einander heimlich und scheinbar achtlos, aber ich bin sicher, dass jeder von uns gleichermaßen skeptisch die Gemeinsamkeit nach Stacheln, Ecken und Kanten abtastete, um nicht verletzt zu werden. Allerdings entwickelte sich ein Phänomen, das sich fatal auswirken sollte: Fand sich eine gefährliche Stelle im Gruppenleben, wurde sie nicht etwa entschärft. Nein, sie wurde großräumig umgangen, bis man einander durch das Ausweichen erst recht gefährlich in die Quere kam ...
Die Wagen wurden neu beladen, Wochenrationen an Kleidung und Sonstigem aus den Rucksäcken sortiert, die großen, tageweise entbehrlichen Gepäckstücke auf »Tarzans« Dach verzurrt. Wir hofften, die Plane darüber möge dicht sein. Der Sitzraum war allerdings immer noch derart hoffnungslos überfüllt, dass auch die schweißtreibende Umschichtungsaktion nur wenig zusätzlichen Raum schuf. Wenigstens aber würden uns die beklemmenden Anflüge von Klaustrophobie fortan erspart bleiben, und wir würden an unser Hab und Gut gelangen, ohne in Tobsuchtsanfälle ausbrechen zu müssen, weil gerade in dem Augenblick, da man etwas Wichtiges suchte, auch der Nachbar etwas noch Wichtigeres zu suchen trachtete. Und wenn nur der Fotoausrüstung nichts passierte!
Die Route durch Algerien sollte fünfzehn bis achtzehn Tage in Anspruch nehmen. Was noch in Wien klar gewesen war, ergab nun, da wir noch nicht einmal die algerische Grenze überschritten hatten, Konfliktstoff. Bei Plaudereien kamen wir darauf, dass es keine Garantie dafür gab, dass die Pisten durch entlegenen Wüstenabschnitte fern den Hauptrouten gut sein würden. Vielleicht war es das erste Erleben von Weite und Hitze, das uns plötzlich nachdenklich machte und unseren abenteuerlustigen Mutwillen verwässerte. Bert verließ sich auf Informationen, die er angeblich in Tunis eingeholt hatte und behauptete, wir würden keine Probleme haben. Über Tozeur sollte es gegen Libyen hin eine Piste ins Tassili-Gebirge zur berühmten Wüstenstadt Djanet geben. Herrlich, hatten wir uns schon in Wien ausgemalt, tagelang Wüste und dann das Erlebnis einer wunderschönen, alten Festungsstadt inmitten einer malerischen Oase! Allerdings kursierten Gerüchte, unterwegs nach Djanet seien erst kürzlich wieder Touristen umgekommen, und die Pisten seien aufgrund von Verwehungen kaum noch zu finden. Obgleich wir uns unter »Pisten« noch nichts vorstellen konnten, beunruhigten uns diese Gerüchte, die irgendjemand aus der Gruppe aufgebracht hatte.
»Lächerlich,« urteilte Armin, »... wir sind im einundzwanzigsten Jahrhundert!«
Ich hatte keine Angst vor der Wüste und war ebenfalls der Meinung, wer sich an die Markierungen hielte und genügend Treibstoff- und Wasservorräte mit sich führte, hätte wohl nichts zu befürchten. Bert nannte mich mutig und bei gesundem Verstand und knurrte, Feiglinge hätte bei dieser Tour eigentlich nichts zu suchen. Diese Grobheit war unpassend, denn es war verständlich, dass das eine oder andere Gruppenmitglied ängstlichen Respekt vor der Wüste empfand. Der eine fürchtete die Hitze, der andere das Wasser .... schade, dass wir nicht mehr voneinander wussten. Wir hätten besser miteinander reden können.
*
Schaf- und Ziegenherden wurden von Hirten mit scharfen, dunklen Gesichtszügen und bunten Gewändern über staubige, endlos öde Steppenebenen getrieben. Abschnitte von Schotter- und Steinwüste wechselten einander ab. Frisch geschlachtete, an den Beinen zum Ausbluten vor den Hütten neben den Straßen aufgehängte Ziegen und Schafe bildeten bizarre Staubfänger neben Holzbaracken, kahlen Betonbauten, rostigen Drahtverschlägen und Autowracks und waren bewunderte Fotomotive für uns Touristen. Nomaden, so selten sie hinter den Hügeln oder als kleine Punkte mitten in der Ebene auftauchten, wirkten traurig unpassend inmitten dieses Chaos aus Einöde und Ausläufern einer rohen Zivilisation.
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