Sie antwortete mir nicht, sondern lies sich leise schluchzend auf die Couch fallen.
Ich setzte mich neben sie und strich vorsichtig durch ihr Haar.
»Sue, was ist denn los? War das Date etwa so schlimm?«
Sie schüttelte den Kopf, antwortete aber noch immer nicht, und ihr Benehmen beunruhigte mich mit jeder Sekunde mehr. Dieses Verhalten kannte ich nun überhaupt nicht von ihr. Sie war nicht der Mensch, der wegen irgendeiner Kleinigkeit weinte. Wenn sie weinte, dann musste etwas Ernstes geschehen sein.
»Bitte, erzähl mir, was passiert ist. Ist irgendetwas mit deiner Familie?«
Wieder schüttelte sie den Kopf, aber dieses Mal sah sie mich an. Ihre Lippen zitterten, und es fiel ihr mehr als schwer, zu reden.
»Ana, ich weiß nicht wie …«
»Psst, ganz ruhig. Erzähl mir, was geschehen ist.«
Sie wischte sich mit einem Ärmel über die Augen und legte ihre Hand auf mein Knie.
»Es geht um Danny …«
Ich musste schlucken.
»Was? Um Danny?«
Mir fiel wieder ein, was ich heute gesehen hatte, und das mulmige Gefühl in mir wurde augenblicklich wieder stärker.
»Um Danny? Was ist mit ihm?«
Die Hysterie in meiner Stimme lies sich nicht verbergen. Ihre Hand suchte meine, und sie strich vorsichtig über meine Haut.
»Er hatte heute Morgen einen schweren Unfall.«
Ich spürte, wie meine Augen sich ungläubig weiteten, bis es schmerzte.
»Was? Wovon redest du da? Einen Unfall?«
Sue wich meinem Blick aus, fast so, als könnte sie es nicht ertragen, mich anzusehen.
»Er liegt im Krankenhaus, auf der Intensivstation.«
Es war, als schnürten sich raue Seile um meine Lunge und drückten mir die Luft ab.
»Das ist ein schlechter Scherz, hab ich recht?«
Sie schüttelte nur den Kopf und sah noch immer weg. Das konnte doch nicht wirklich ernst gemeint sein, oder? Danny hatte einen Unfall gehabt? Wann sollte das geschehen sein?
Und plötzlich sah ich es wieder vor mir, wie Danny blutend vor mir stand und meinen Namen keuchte. Wie er in meinem Zimmer war, und ich ihm einfach nicht helfen konnte. Das hatte ich mir doch erst heute Morgen eingebildet - oder etwa doch nicht? War das etwa doch keine Einbildung gewesen? Ich spürte, wie mir schlecht wurde und die Tränen sich ihren Weg brennend nach außen bahnten. Sie liefen über meine Haut und hinterließen eine brennende Spur.
»Was? Was ist passiert?«, stotterte ich und musste mich zusammenreißen.
»Jemand muss ihm außerhalb von Boston die Vorfahrt genommen haben. Er ist von der Straße abgekommen und gegen einen Baum gefahren.«
Auch der laute Knall schien sich in meinem Kopf zu wiederholen. Es war fast so, als könnte ich ihn erneut in meinem Kopf schreien hören. Mir wurde augenblicklich wieder schwindelig, und obwohl ich schon saß, musste ich mich am Polster festhalten, um nicht zu Boden zu sacken. Das war einfach zu viel für mich. Ich sah meine Freundin noch einmal an.
»Und wann ist es passiert?«
Sie schluckte.
»Gerade eben, deswegen bin ich gleich zu dir gekommen. Ich dachte, du solltest es wissen. Sie mussten ihn ins künstliche Koma versetzen.«
»Danke«, sagte ich nur.
Ich ließ meinen Kopf etwas nach unten sinken und spürte, wie die Tränen weiter über mein Kinn liefen und meine Atemnot stärker wurde. Das, was sich auf meine Lunge gelegt hatte, schien sich unaufhaltsam immer weiter zuzuziehen.
Ich hatte mir eingeredet, dass das heute Morgen nur Einbildung gewesen war. Jetzt allerdings, wo ich wusste, dass meinem Freund tatsächlich etwas zugestoßen war, war ich mir da überhaupt nicht mehr so sicher. Warum hatte ich ihn schon vorhin blutend in meinem Zimmer gesehen? Warum hatte ich den Knall gehört? Und wie konnte es sein, dass ihm jetzt wirklich etwas zugestoßen war?
Das konnte, nein, es durfte nicht wahr sein. Aber auch wenn ich versuchte, es mir einzureden, so wusste ich doch genau, dass es die Wahrheit war. Über so etwas machte niemand, und vor allem Sue, keine Scherze.
Ich fing an, stark zu zittern.
»Komm mal hier her …«
Sie zog mich fest an sich und ihre Arme umschlangen mich.
»Aber das kann doch nicht, ich meine, das geht doch nicht …«
»Bestimmt geht es ihm bald wieder besser …«, sagte sie zuversichtlich und in ihrem Gesicht konnte ich plötzlich so viel Zuversicht und Hoffnung lesen, dass es mich überraschte. Gleichzeitig beruhigte es mich.
Na ja, zumindest ein wenig.
Rückblick 2
Es waren nun schon drei Tage vergangen, seitdem meine Freundin mir die Nachricht von Dannys Unfall überbracht hatte. Ein paar Stunden später hatte sie mir sogar Beruhigungstabletten holen müssen, um mich zur Ruhe zu bringen. Jetzt allerdings ging es mir schon ein wenig besser, was aber vermutlich daran lag, dass ich die Medikamente noch immer nahm.
Die Ärzte machten einem etwas Hoffnung, dass es ihm bald wieder besser gehen würde. Er lag zwar noch immer im künstlichen Koma, aber sein Zustand war zumindest stabil und verschlechterte sich nicht weiter. Und die Blutwerte waren, wenn auch nicht viel, so doch wenigstens etwas besser geworden.
»Sagen Sie, können Sie denn abschätzen, wie lange er noch im Koma liegt?«
Der Arzt sah mich mit hochgezogener Augenbraue an und schüttelte bedauernd den Kopf. »Entschuldigung, aber diese Frage kann man zum Zeitpunkt noch nicht beantworten. Die Werte müssen noch besser werden, und auch seine Verletzungen sind noch zu schwerwiegend, als dass wir ihn schon aus dem Koma holen könnten.«
Ich nickte, denn genau das hatte ich erwartet, und sah zu Danny, der völlig regungslos im Bett lag. Er wirkte sehr bleich und ausgezehrt, obwohl man ihn durch irgendwelche Schläuche ernährte. Welcher Schlauch wozu war, konnte ich nicht sagen, es gab einfach zu viele. Fast überall an seinem Körper schien ein anderer Schlauch zu verlaufen.
Noch nie zuvor hatte ich ihn so schwach und verletzlich gesehen und sein Anblick versetzte meinem Herzen immer wieder aufs Neue einen gewaltigen Stich. Und auf einmal bereute ich die Gedanken an eine Trennung. Ich bereute es sehr, dass ich doch tatsächlich so oft an unserer Beziehung gezweifelt hatte.
Der Arzt legte mir eine Hand auf die Schulter.
»Sie sollten sich etwas ausruhen, immerhin waren sie jetzt jeden Tag hier. Ein bisschen Ruhe tut ihnen sicher auch ganz gut.«
Ich wusste ja, dass er Recht hatte, aber dennoch fragte ich mich, ob ich das tun konnte. Durfte ich ihn einfach alleine lassen? Was, wenn er doch noch aufwachte? Wenn seine Werte sich schnell besserten und ich dann nicht bei ihm war? Die Hand des Arztes lag noch immer auf meiner Schulter.
»Es wird ihnen sicherlich guttun, wenn sie sich etwas hinlegen und etwas zur Ruhe kommen.«
Ich seufzte.
»Ja, aber bitte halten sie mich auf dem Laufenden, ja?«
Er nickte freundlich.
»Natürlich, sobald es etwas Neues gibt, melden wir uns bei Ihnen.«
Ich lief zur Tür, dann sah ich noch einmal zurück. Es fiel mir mehr als schwer, Danny wirklich wieder alleine lassen zu müssen.
»Wir werden unverzüglich Bescheid geben, sobald sich etwas an seinem Zustand ändert …«, versicherte der Arzt noch einmal und begleitete mich zum Aufzug.
»Danke, das ist wirklich freundlich.«
Er schüttelte sanft lächelnd den Kopf.
»Das ist doch selbstverständlich. Sie legen sich jetzt erst einmal hin und ruhen sich aus, ja?«
Ich reichte ihm nickend die Hand, dann stieg ich in den Aufzug, ohne mich noch einmal umzudrehen. Er musste ja schließlich nicht sehen, dass ich schon wieder begonnen hatte zu weinen.
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