»Ana! Wie lange seit ihr jetzt zusammen?«
Da musste ich nicht lange überlegen.
»Fast zwei Jahre.«
»Und wann hast du ihn das letzte Mal gesehen?«, fragte sie und hob eine Augenbraue.
»Letzte Woche.«
Ihre Stimme veränderte sich und sie wirkte plötzlich sehr nachdenklich, was mir überhaupt nicht gefiel.
»Sag, ist bei euch denn noch alles in Ordnung?«
Überrascht über diese Frage riss ich die Augen auf.
»Ja, warum sollte es das auch nicht sein?«
Sie hob ihre Schultern an.
»Weiß nicht, mir ist nur aufgefallen, dass du nicht mehr so glücklich über eure Beziehung zu sein scheinst, kann das sein?«
Ich seufzte, schüttelte aber den Kopf. Sue war so glücklich über das Date mit Tom, da wollte ich ihr nicht meine Beziehungsprobleme unter die Nase reiben. Nein, das wollte ich nun wirklich nicht.
Sie schien mir nicht zu glauben, ließ es aber trotzdem sein und fragte nicht weiter nach.
»Und wann hast du dein Date?«, fragte ich, um das Thema endgültig zu beenden.
Sie hob ihren Arm und sah auf ihre glitzernde Armbanduhr.
»So in ungefähr einer Stunde.«
Ich verdrängte die Gedanken an Danny und setzte ein glaubwürdiges Lächeln auf.
»Und wo trefft ihr euch? Oder holt er dich etwa ab?«
Erneut ließ sie sich rücklings aufs Bett fallen. Die Matratze quietschte leise und erinnerte mich wieder daran, wie sehr ich dieses alte Ding hasste.
»Wir treffen uns in einem Café, gleich hier in der Nähe. Im Nachtcafé.«
»Ach so ist das! Jetzt wird mir auch klar, warum du kurz vorher noch zu mir kommst, da sparst du dir den Weg.«
Ich kannte dieses kleine Café. Es war vielleicht fünf Minuten von mir entfernt und an den meisten Abenden voll. Sie sah mich an und verdrehte die Augen.
»Falls du dich erinnerst, ich wohne fast nebenan. Um den Weg ging es mir also ganz sicher nicht.«
Ich nickte.
»Ja, stimmt auch wieder.«
Sue sah mich an und kicherte.
»Ich wollte dich einfach wissen lassen, dass ich mal wieder ausgehe, aber hätte ich gewusst, dass du lieber lernst, dann hätte ich es natürlich nicht getan. Verzeih mir bitte.«
Ich konnte es mir nicht verkneifen, bei der Ironie in ihrer Stimme zu lachen.
»Schon gut, du hast mich immerhin vor einer weiteren Stunde Langeweile gerettet. Es sei dir verziehen.«
»Das heißt also, dass ich dich öfter vom Lernen abhalten darf? War das gerade eine Erlaubnis?«, fragte sie mit großen Augen und einer hochgezogenen Augenbraue. Sie wirkte fast wie ein kleines Kind, das sich fragte, ob es zu Weihnachten auch das bekam, was es wollte.
»Kann ich dich denn davon abhalten?«
»Nein, nicht wirklich«, schüttelte sie den Kopf.
»Das hab ich mir schon beinahe gedacht …«
Noch einmal warf sie lachend ihre blonde Lockenmähne nach hinten, dann stand sie auf und ging ein paar Schritte in Richtung Tür.
»Ich werde dann mal gehen. Wünsch mir Glück, ja?«
»Hast du nicht gesagt, dass ihr euch erst in einer Stunde trefft?«, fragte ich, verwirrt über ihren plötzlichen Aufbruch.
Sie nickte.
»Ja schon, aber ich muss trotzdem etwas eher da sein …«, sagte sie zwinkernd.
»Darf ich auch fragen warum?«
Ihre Hand hatte bereits den Türgriff umschlossen, als sie wieder einen Schritt in meine Richtung kam und mir zuzwinkerte.
»Es ist einfach blöd, wenn er schon da sitzt, finde ich, dafür gibt es keine Erklärung.«
Ich hob die Hand.
»Wenn du meinst. Ich wünsche dir auf jeden Fall ganz viel Spaß.«
»Werde ich sicher haben. Ich ruf dich morgen an und berichte dir, wie es gelaufen ist, ok?«
Ich bewunderte immer wieder, wie selbstbewusst sie zu einem Date ging. Sie hatte weder Scheu noch sonst irgendwelche Bedenken, dass etwas schief gehen könnte.
Wenn ich mich hingegen so an mein erstes Date mit Danny erinnerte, dann war das völlig anders abgelaufen. Ich war sehr schüchtern gewesen und wäre beinahe an meinen eigenen Worten erstickt, als ich mich das erste Mal mit ihm getroffen hatte. Aber dennoch waren wir an diesem Tag zusammengekommen. Ich musste unwillkürlich lächeln, als ich daran dachte.
Noch gut konnte ich mich daran erinnern, was für ein wunderbares Gefühl es gewesen war, in der Schule neben diesem tollen, blonden Jungen mit den eisblauen Augen zu stehen und ihn küssen zu dürfen. Ich verspürte bei ihm immer ein intensives Kribbeln auf der Haut, wenn er mich umarmte, welches so stark gewesen war, dass ich nicht genug davon haben konnte. Er war immer so zärtlich und liebevoll zu mir gewesen wie niemand anderes zuvor.
Ja, er war in jeder Hinsicht immer mein Traummann gewesen und ich war hin und weg von ihm. Damals waren wir wirklich unzertrennlich gewesen.
Jetzt allerdings hatte sich einiges verändert. Vieles war zum üblichen Beziehungsalltag geworden und das Kribbeln war längst nicht mehr so stark wie noch am Anfang. Manchmal fragte ich mich sogar schon, ob diese Beziehung überhaupt noch einen Sinn machte. Oder ob es vielleicht doch besser wäre, es sein zu lassen? Wäre eine Trennung womöglich besser für uns?
Ich seufzte. Warum musste ich jetzt auch wieder ausgerechnet daran denken? Und warum stellte ich mir schon wieder diese Frage?
Gut, unsere Beziehung durchlebte gerade ein ›kleines Beziehungstief‹, aber das würden wir sicher auch überstehen. Es gab in jeder Beziehung mal ein Tief, aber deswegen durfte man nicht gleich aufgeben und alles an den Nagel hängen, oder?
Nein, das durfte man nicht! Eine Beziehung ist nun einmal nicht immer einfach.
Ich wandte mich zur Seite und fragte mich, was er wohl grad machte. Das war ein dummer Gedanke. Wahrscheinlich saß er gerade mit seinen Kumpels irgendwo in einer Kneipe und sah sich ein Fußballspiel an oder war sonst irgendwo unterwegs. Erneut seufzte ich und sah zu meinem Handy. Sollte ich ihm vielleicht einfach mal schreiben? Fragen, was er gerade machte? Ob er Zeit hatte und vorbeikommen wollte?
Ich überlegte kurz, schlug mir den Gedanken dann aber schnell wieder aus dem Kopf. Nein! Er konnte sich ja immerhin ruhig auch mal melden, und nicht immer nur ich.
Also drehte ich mich wieder um und schloss die Augen.
Am nächsten Morgen weckte mich ein leises Geräusch am Fenster. Noch bevor ich meine Augen öffnete, wusste ich, dass es regnete. Ich wusste es deshalb, weil regnerisches Wetter hier nicht gerade selten war und ich in den vergangenen Jahren genug Zeit gehabt hatte, mir dieses Geräusch einzuprägen.
Ich atmete tief ein und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, dann setzte ich mich langsam aufrecht hin. Wie lange hatte ich denn überhaupt geschlafen?
Ohne mich umzusehen griff ich nach links und fand den Wecker. Die roten, leuchtenden Zahlen wurden bei längerem Hinsehen etwas schärfer und zeigten 09:53 Uhr an. Ich stellte ihn zurück und ließ mich noch einmal ins weiche Kissen fallen. Es war Samstag und ich hatte noch keine Lust, aufzustehen. An diesem Tag sollte man ausschlafen und das bedeutete - zumindest wenn man Sue glauben wollte - dass man das Bett vor zwölf Uhr eigentlich nicht verließ. Trotz dieser Vorstellung meiner Freundin war mir das selbst allerdings noch nie gelungen. Ich war einfach kein Langschläfer und würde es sicherlich auch nie sein.
Nach einer Weile zwang ich mich jedoch dazu, trotzdem aufzustehen. Ich stieg aus dem Bett und ging hinüber zum Kleiderschrank, doch gerade als ich mir etwas überziehen wollte, überfiel mich plötzlich ein leichtes Schwindelgefühl und ich musste mich an der Schranktür festhalten, um nicht umzukippen.
Was war denn plötzlich los? Gerade eben hatte ich doch noch gar nichts gemerkt, wie konnte das denn so plötzlich kommen? Warum war mir auf einmal so extrem schwindelig?
»Verdammt, was …?«, fluchte ich, doch es gelang mir nicht mehr, alle Worte auszusprechen.
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