Inmitten des grünen Pavillons erhob sich ein Podest, auf dem die Führerin der Baumhüterinnen und die Weise Prophetin die neue Hüterin weihen würden. Es sollte eine feierliche Zeremonie sein, die man mit Respekt begehen wollte. Danach konnte das bunte Treiben beginnen, dem viele schon entgegen fieberten.
Mit dem ersten Abendrot füllte sich der Platz.
Die Spieße über der Feuerstelle drehten sich und begannen die Lichtung inmitten der Kegelbäume mit dem verlockenden Duft gebratenen Fleisches zu erfüllen. Die meisten Ankömmlinge brachten Schüsseln mit Brot, Salat, Käse, Pilzen oder anderen Nahrungsmitteln. Einige Männer und Frauen fanden sich zusammen und begannen zu musizieren. Gelächter war zu hören und die Vorfreude auf den gemeinsamen Abend war überall spürbar.
Eine Gruppe von Frauen ragte deutlich aus den anderen heraus. Das waren die Baumhüterinnen, die keine besonderen Gewänder angelegt hatten, aber nun, als Zeichen ihres Standes, einen Kranz aus geflochtenen Blättern um den Kopf trugen. Eine von ihnen hielt die Umhängetasche mit dem Zubehör einer Hüterin bereit. Obwohl Eolanee längst eine benutzte, würde sie ihr erst an diesem Abend offiziell überantwortet werden.
Auch die Auraträger waren erschienen, so fern sie nicht zur Wache in den Siedlungen benötigt wurden. Fast die Hälfte von ihnen war versammelt und sie sahen eindrucksvoll aus in ihrer einheitlichen Kleidung mit den blauen Umhängen und goldenen Stirnreifen. Von den blauen Steinen, dem Symbol ihrer Macht, schien ein sanfter Schimmer auszugehen.
Bergos trug ebenfalls die Bekleidung eines Auraträgers, verzichtete aber auf den goldenen Stirnreif mit dem Zeichen seines Ranges. Er stand bei den anderen und blickte nervös in die Richtung, aus der die Hauptpersonen des Abends kommen mussten.
Schließlich war es so weit und als die Prophetin sichtbar wurde, verstummten Musik und Gespräche. Ehrfurchtsvolles Schweigen begleitete die Weise Frau, die durch die Menge ging und das Podest unter dem grünen Baldachin betrat.
Dann folgten Neredia und Eolanee. Sie trugen Gewänder ohne Zierrat. Trotz ihres unterschiedlichen Alters waren sie von unvergleichlicher Schönheit und die Schlichtheit ihrer Kleidung unterstrich dies noch. Sie folgten der Prophetin die Stufen hinauf, die nun die Arme hob. Auch das letzte Raunen verstummte. Jemand hüstelte aufgeregt und erntete sofort ein paar kritische Blicke.
„Wir sind die Enoderi“, sagte die Weise feierlich. „Das Volk des Baumes. Wir leben durch den Baum und für den Baum. Er gewährt uns Schutz und Leben, so wie wir ihm Schutz und Leben gewähren. An diesem Tag will eine junge Frau den Kreislauf des Lebens beitreten und sich seinem Schutz verschreiben. Welche Hüterin wird für Eolanee sprechen?“
„Ich, Neredia Ma´ededat´than, werde für Eolanee sprechen.“
„Neredia Ma´ededat´than, Führerin der Baumhüterinnen, wurde Eolanee im Kreislauf des Lebens unterwiesen?“
„Ja, Weise Frau, das wurde sie.“
„Neredia Ma´ededat´than, Führerin der Baumhüterinnen, wurde Eolanees Fähigkeit geprüft und hat sie sich bewährt?“
„Dies wird bezeugt.“
„Eolanee, bist du bereit, dem Kreislauf des Lebens und den Bäumen zu dienen?“
Eolanees Stimme war klar und fest. „Ja, Weise Frau, das bin ich.“
Die Prophetin trat an Eolanee heran und legte ihre Hände an den Kopf der jungen Frau. Die Weise schloss die Augen und kaum jemand schien in diesen Augenblicken zu atmen. „Ich kann die Kraft in Eolanee spüren und es ist eine gute Kraft“, sagte sie schließlich. Sie löste ihre Hände und wandte sich Neredia und den anderen Hüterinnen zu. „Gib mir das Zeichen ihres Standes.“
Die Hüterin mit der Umhängetasche trat vor, reichte sie an Neredia, die sie wiederum der Prophetin gab. Die Weise Frau lächelte sanft, während sie Eolanee die Tasche umhängte. „Trage dies als Zeichen deiner Gabe, Eolanee Ma´ededat. Du bist nun Eolanee, Hüterin der Bäume und eine Dienerin des Lebens.“
„Ja!“ Bergos konnte einen Triumphschrei nicht unterdrücken, aber das fiel nicht weiter auf, denn nun jubelte auch die Menge, um die neue Baumhüterin willkommen zu heißen.
Neredia Ma´ededat´than und Eolanee Ma´ededat warteten, bis die Prophetin das Podest verlassen hatte, dann folgten sie ihr. Nachdem ihre Füße den Waldboden berührten, endete der feierliche Teil des Abends. Der Jubel wandelte sich in Glückwünsche, denn viele Menschen traten vor, um Eolanee ihre Freude zu zeigen. Die Musik begann wieder zu spielen und Gespräche füllten den Platz.
Die Menge löste sich in zahllose Gruppen auf.
Viele freundliche Gesten luden Bergos und die beiden Baumhüterinnen zu den Tischen ein, aber der alte Auraträger sah seinen Freund Merius Ma´ara, dessen grauer Bart sich in den letzten Jahren zu einem fahlen Weiß gewandelt hatte. Der Blick von Merius war noch immer fest, als er die drei zu sich heran winkte. Auch Rolos Ma´ara saß am Tisch und nickte ihnen freundlich zu.
Sie nahmen Platz und ließen sich die Schüsseln reichen. Um sie herum waren Gespräche und Gelächter zu hören, dazwischen die leise Musik der Musikanten, die zur Begleitung aufspielten.
Sobald der erste Hunger gestillt war, würde man zum Tanz rufen und Bergos schien dem entgegen zu fiebern, denn er schlug unbewusst den Takt der Musik mit seinen Fingern. Für ihn war es wohl eine der seltenen Gelegenheiten, sich vollkommen zu entspannen. Nur hin und wieder warf er einen forschenden Blick auf Eolanee und er war beruhigt, dass sie der Musik ebenfalls entspannt lauschte. Obwohl er und Neredia viel Zeit mit der jungen Frau verbrachten, fand sich nur wenig Raum für das Spielen eines Instrumentes oder das Singen der Balladen. Bergos entschuldigte dies immer wieder mit seiner kratzigen Stimme und seinen ungeschickten Händen, und überließ solche Dinge der Baumhüterin.
Schließlich kam der Augenblick, den viele schon sehnsüchtig erwartet hatten. Weitere Musikanten traten zu der musizierenden Gruppe und fröhliche Weisen begannen zu erklingen. Die ersten wurden noch von den Anwesenden mitgesungen oder doch wenigstens mitgesummt, aber nachdem die ersten Männer und Frauen auf die freie Tanzfläche eilten, schlossen sich bald andere an.
Es gab die traditionellen Rundtänze und Reigentänze und Bergos zog Eolanee und Neredia einfach mit sich. Musik und Rhythmus nahmen sie bald gefangen. Bergos musste sich ein wenig darauf konzentrieren, seine Beine im Takt mit der Musik zu bewegen, aber den beiden Frauen fiel es nicht schwer. Ihre Bewegungen waren voller Anmut. Selbst die Kegelbäume fühlten die Schwingungen der Freude. Im Takt mit der Musik der Enoderi begannen die Fangwurzeln sanft zu vibrieren und ein auf und ab schwellendes Summen begann den Platz sanft zu erfüllen.
Dies war der Klang des Waldes, der die Bäume und Menschen gleichermaßen in Freude verband.
Eolanee war eine junge Frau, die durch ihre Schönheit auffiel. Es war verständlich, dass viele Männerblicke länger auf ihr ruhten, als es eigentlich erforderlich war. Aber sie war eine Baumhüterin und somit durfte sich ihr kein männliches Wesen auf eine Weise nähern, wie dies sonst zwischen Mann und Frau üblich war. Die Gabe einer Hüterin war wertvoll und durfte nicht gefährdet werden.
Im Verlauf der Stunden löste sich die tanzende Gemeinschaft in kleine Gruppen und Paare auf. Bergos tanzte, wie alle anderen, mit verschiedenen Partnern und war ein wenig verlegen, als sich Neredia mit sanftem Lächeln in seine Arme schmiegte.
Ihr Gesicht war nicht so entspannt, wie es eigentlich sein sollte und der Auraträger spürte, dass etwas nicht stimmte. „Etwas beunruhigt dich, das kann ich spüren.“
Neredia lachte freudig auf, aber ihre Augen nahmen daran nicht teil. „Jemand verbreitet böse Reden über Eolanee.“
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