Der Tag zog sich hin, aber irgendwie langweilte er mich weniger als die unzähligen Tage vorher in dieser Agentur. Das lag wohl an der Gewissheit, tagsüber ohnehin nicht mit Laila sprechen zu können. Ich nahm mir vor, sie vom Dienst abzuholen, wusste aber nicht so genau, wann das sein konnte und wie ich es anstellen würde. Auch war mir nicht klar, wie Laila darüber denken würde. Ob sie mich liebt? Eine solche Frage wäre mir früher nie in den Sinn gekommen. Ich schämte mich beinahe vor mir selbst. Ich, der sich den Frauen ausschließlich mit der Geilheit eines Heißblütlers genähert hatte, ich sollte, so mir nichts dir nichts, die Unbeschwertheit eines jungen Fohlens aufbringen? Niemals im Leben hatte ich von Liebe gesprochen. Welcher Mann kann daran schon ernsthaft glauben? Ich hatte Liebe gemacht wo immer es ein verborgenes Plätzchen gab, aber ich hatte nie geliebt und bin wohl auch niemals geliebt worden – Oma Hannah mal ausgenommen und Mama und Vater selbstverständlich auch. Im Zentrum eines Wirbelsturmes verführerischer Frauen war ich der Held, der mit vollem körperlichem Einsatz alles umknickte, was ihm beliebte. Darin lag meine wichtigste Daseinsform. Nie hätte ich daran gedacht, mich eines Tages nach Sanftheit zu sehnen, nach Sekunden, die durch nichts außer empfangener Zärtlichkeit in mir ruhen bleiben. Ich hatte auch keine bestimmte Vorstellung davon, wie lange so etwas anhalten konnte. Nur eines war mir klar; all diese absurden Wünsche sah ich in Laila erfüllt. Sie war sanft und gütig und schien mich zu mögen, aber sie war eben nicht von dieser Welt. Ihr Stolz, den sie zuweilen an den Tag legte, und ihre Tiefgründigkeit, machten merkwürdigerweise die erschreckende Erkenntnis vergessen. Zumindest in den normalen Momenten des Lebens mit ihr.
Ich lief durch die Stadt, die ich aus unbestimmten Gründen verabscheute. Alles hier schien meine Phantasie zu lähmen. Es war also gesetzmäßig, dass ich ein Kind der Nacht geworden war. Der Gedanke, ich könnte eines Tages mit weichen Knien und einem Glückstaumel in meinem Kopf vor eine Frau hintreten, wäre wohl nicht nur mir ziemlich lächerlich vorgekommen.
Ich nahm den Weg vom Altmarkt zum Neumarkt durch die Marktstraße, direkt auf das Rathaus zu. Es zog mich immer öfter direkt an Lailas Haus vorbei, obwohl ich wusste, dass sie nicht zu Hause war. Ein süßer Duft verwirrte meine Nase.
»Laila«, packte mich ein unverhoffter Wunsch, sie möge vor Sekunden hier entlang gelaufen sein und ich würde sie im nächsten Moment treffen. Es wäre ein Glücksumstand, sie zufällig zu sehen. Sie könnte keine Absicht vermuten und mir niemals Vorwürfe machen, ihr nachgestellt zu haben.
Ich hob meine Nase ein wenig, um diese Lieblichkeit zu inhalieren, die ungestört in meiner Erinnerung geschlummert hatte. Mein so erhabener Blick verriet mir schnell und schonungslos den Grund meiner kurzen Verwirrung.
Wie oft bin ich schon hier entlang gelaufen? Noch niemals hatte ich die üppigen Blütenwülste bemerkt, die blau und gelb von den Fenstersimsen des Rathauses rankten und dem ehrwürdigen Backsteinbau die Freundlichkeit des Sommers einhauchten. Warum sah ich sie an diesem Tag zum ersten Mal? Warum hatte ich die Schönheit der Friedhofspforte vorher nie wahrgenommen? Mein überreiztes Gemüt hörte Galles nervenden Ermahnungen:
Füllen Sie Ihre grauen Zellen mit Informationen, die Ihnen helfen, über Ihren begrenzten Tellerrand zu schauen – Bauchgefühl, mehr Bauchgefühl, Herr Braun. Kreative müssten neugierig auf das Leben sein – Der Glaube an den Menschen und der Sinn für alles, was uns umgibt – das macht einen guten Werber aus.
Er hatte wohl Recht, aber mein Bauchgefühl sagte mir heute nur eines – Laila. Der Gedanke an sie erfüllte mich schon den ganzen Tag. Ich hätte mir in diesem Moment und in tausend Momenten vorher nichts mehr gewünscht, als dass jede Frau zuvor Laila gewesen wäre. Dieser neue Zustand war bedrückend und beflügelte mich zugleich. Jeden Augenblick, an dem ich mich nicht gerade einer äußerst wichtigen Angelegenheit zuwenden musste, irrten meine Gedanken zu ihr und ich hoffte, es möge nicht die Vorfreude auf ein unerfüllbares Geschenk sein. Ich verleugnete vor mir selbst vehement, genau zu wissen, wie lange bisher in meinem Leben die Freude über ein sehnlich erwünschtes Geschenk angehalten hatte. Was nun Laila betraf, hatte ich das Geschenk noch nicht einmal in Aussicht – wenn ich es erst einmal habe, würde ich weitersehen.
Die Tür zum «KinOh» war weit geöffnet. Ich trat in den Vorraum und schaute mich um. Rechts ging es in den großen Saal «Leinwand 1». Links neben dem Kassentresen, der mit allerlei Informationsblättern ausstaffiert war, prangte ein riesiger Pfeil hin zu «Leinwand 2».
Ich nahm mir eines der Programmhefte und bemühte mich, sehr interessiert zu erscheinen.
»Wenn Sie noch in den Pianisten möchten, müssen Sie sich beeilen«, rief die Kassiererin herüber.
Ein Deutsch ist das heutzutage, dachte ich.
»Ich hatte nicht vor, irgendeinem Pianisten in den Arsch zu kriechen«, brummte ich leise, während mein Blick auf die Plakatwand das Problem klärte. «Der Pianist» war einer der Filme, die hier gezeigt wurden.
Mein peilendes Designerauge taxierte ein Plakat nach dem anderen. Es waren vorrangig Dramen im Programm, was bei Laila auch zu erwarten war. Nur über Leinwand Nr.2 flimmerte heute die Komödie «Bruce Allmächtig». Ich kannte diesen Streifen, in dem es nicht eine einzige Szene gab, die dem Plakatmotiv glich. Ich fragte mich beim Betrachten, wo bei all den Filmplakaten, die als Hauptmedien galten, die Winzigkeit einer Werbeaussage lag. Gute Motive – ja – aber kaum eine Animation. Würde ich ein solches Plakat abliefern, bekäme ich es von Galle um die Ohren gehauen. Diese Filmplakate hier zierte ein schöner Held, ein dominanter Filmtitel und jede Menge Namen und Logos, in unleserliche Schriftblöcke gezwängt, die man aus einem Meter Entfernung nicht mehr entziffern konnte.
»Matthi΄s«, hörte ich hinter mir ein Flüstern und gleich darauf, »wie kommst du denn hier her? «
»Zu Fuß« Zwar lächelte ich, aber ich bemühte mich, meine Freude über ihr plötzliches Erscheinen hinter der kühlsten Gelassenheit zu verbergen, die mir je an einem warmen Sommertag geglückt war.
»Möchtest du einen der Filme ansehen?«
Ich wagte nicht, mich zu rühren, denn Laila hatte ihre freie Hand auf meinen Arm gelegt und noch nicht wieder zurückgezogen. Unter meiner Haut stieg etwas aufwärts, drang durch die Adern, bis es sich zwischen den Rippen verteilte. Sie lächelte so süß, als wollte auch sie sagen, dass sie sich freue, doch sie stand erhaben neben mir und wartete. Nur ihre großen dunklen Augen nahmen einen eigentümlichen Ausdruck an, so zwischen Ungeduld und Vorwitz.
»Nein«, sagte ich und fügte leise hinzu, damit es die Frau an der Kasse nicht hören konnte: »Nur dich!«
»Ich habe wenig Zeit, weißt du«, flüsterte sie ebenso und schob die Akte mit einem Ruck unter die Achselhöhle, als wollte sie auch ihre Linke noch für mich frei haben. Sie sah bezaubernd aus. Sie trug einen graugrünen Seidenanzug und ihr Haar war zu einer seitlichen Rolle gedreht, die ihren wundervollen Hinterkopf noch mehr betonte. Auf ihrem Namensschild stand tatsächlich unter dem Firmenlogo: Laila El Sahib, Projektmanagerin. Ich bemühte mich, nicht zu staunen, hatte ich doch gelernt, meine Augen niemals direkt auf etwas zu richten, das mich brennend interessierte. Nach und nach wurde mir ihre distanzierte Nähe unerträglich. Warum nahm ich sie nicht einfach und entführte sie aus der Kühle des Foyers hinaus in die milde, blühende Natur, die ich selbst erst vor wenigen Minuten entdeckt hatte. Warum küsste ich sie nicht einfach, hier und jetzt, vor aller Welt, auch wenn diese Welt nur eine kleine, unbedeutende, ältliche Kassiererin war.
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