Versonnen stand ich vor dem Spiegel im Badezimmer, das nur wenig von der Ordnung in Lailas Zimmer spüren ließ. Überall begegnete mir Lizzy. Sogar die Wäsche auf der Leine konnte ich eindeutig zuordnen. Ich hasste mich mal wieder und wusste zugleich, wie sehr ich jeden Augenblick mit Laila liebte, jeden normalen zumindest. Wie ein Kind aber fürchtete ich mich vor jenen Ausbrüchen, an die sich Laila nicht mehr zu erinnern schien. Ich hoffte so sehr, es möge nicht stimmen, was ich heimlich zu vermuten begann: Ist sie gerissen? Spielt sie mir etwas vor?
Alles in mir war sofort bereit, dieses Spiel mitzuspielen, wenn es nur darin gipfeln würde, Laila ganz für mich zu haben. Sie lehrte mich wie keine andere Frau zuvor, scheitern zu können, ohne verzweifelt zu sein, den Teufel zu sehen und an den Himmel zu glauben.
»Der Kaffee wird kalt«, rief sie vom Flur her und tippte vorsichtig gegen das Holz der Tür. Ich musste mich sputen, hatte aber keine Ahnung, wie die Frauen mit dieser ekligen Creme ihre Haare von den Beinen bekamen und von dem sündigen Garten dazwischen. Eines aber merkte ich ganz alleine. Die Stellen an meinem Kinn, wo es bereits funktioniert hatte, waren seidenweich und glatt.
Laila hatte in ihrem Zimmer einen Tisch gedeckt, der mir vorher nicht aufgefallen war. Ein Hubtisch offenbar. An einem so liebevoll gedeckten Tisch hatte ich seit meinem Ausriss von zu Hause nie wieder gesessen. Strahlend empfing sie mich, legte ihre Arme um meinen Hals, küsste mich zärtlich, rubbelte dabei ein wenig an meinem Kinn und sagte:
»Heut ist es besser. « Ihr Unterton ließ keinen Zweifel daran, dass sie etwas an mir störte.
»So schlimm ist mein Bart?«
»Nicht dein Bart, dein Aftershave.«
»Mein Aftershave? Es riecht doch nicht schlecht.« Jetzt war ich doch einigermaßen baff. Es gab keine Frau, die den Duft meines Aftershave noch nicht gelobt hatte, doch konnte ich Laila das sagen?
»Ich habe keins benutzt«, verteidigte ich mich.
»Deshalb geht es ja auch, aber sonst ... Es ist das Gitter. Das ist grundhässlich.«
»Welches Gitter?« Schon fürchtete ich, mit meiner Frage wieder eine Katastrophe auszulösen und griff mit gleichgültiger Miene nach der Konfitüre, die Laila in winzigen Schälchen nach dem Farbenkreis von hell bis dunkel sortiert um mein Gedeck angeordnet hatte. Ich liebte sie für all das Schöne, das sie umgab und spürte immer mehr, dass sie selbst so viel Schönes schuf. Ihre schönen Augen aber schauten mich an, als wollten sie sagen, ich solle keinen Spaß mit ihr treiben. Ihr schöner Mund sagte gar nicht Laila gemäß: »Das Gitter, das man eben bei diesem Geruch sieht.«
Mir blieb der Bissen im Hals stecken. Sie sagte es wie mein Psychologie-Professor, wenn er nach seiner Meinung Lapidares noch einmal idiotensicher zu erklären versuchte. Im Geiste hörte ich seine Worte: Unser Gehirn bildet die Außenwelt nicht einfach nur ab, wie das eine Kamera tut. Es interpretiert die Signale von außen und setzt daraus eine ganz persönliche Welt zusammen – unsere Innenwelt. Sehr oft haben die beiden Welten nur wenig miteinander zu tun. Die Nervenzellen schaffen nicht nur ein Abbild, sie bewerten es auch.
Ich erinnerte mich genau, wie er von der großen Liebe sprach, die durch den Anblick einer Rose in unsere zärtliche Erinnerung zurückkommen könne, bei einem anderen Menschen aber die Angst vor dem Sterben bedeuten konnte. Es musste wohl so sein. Warum sonst empfindet jeder Mensch anders? Mir leuchtete etwas zum ersten Mal ein: Durch unseren Körper strömen Millionen elektrische Schwingungen. Wie sonst wäre es möglich, dass wir an jedem Punkt der Welt erreichbar sind, egal ob über das Handy oder ob Radiowellen uns erreichen. Wenn diese Wellen in uns auf eine Antenne stoßen, interpretieren wir diese Meldung mit den Sinnen, die gleiche Frequenzen aufweisen.
Ich haderte mit mir. Anstatt Laila für das leckere Frühstück zu loben, drifteten meine Gedanken immer weiter in den Pool der Absonderlichkeiten, die mir an Laila aufgefallen waren. Ich hoffte, sie konnte meine Gedanken nicht hören oder riechen oder so was, und ich fragte: »Warum ist es immer so still bei dir?«
»Das kunterbunte Durcheinander geht mir auf die Nerven – meistens jedenfalls. «
Etwas an ihren Worten passte nicht zusammen. Ich hatte von Klängen gesprochen, nicht von Farben. Mozart, durchfuhr es mich. Sie nennt das Bild im Flur Mozart. Sie hört Mozart, wenn sie das Bild sieht. Gehört dieses Symptom in den schizophrenen Formenkreis?
Ich stand auf, lächelte ihr zu und nahm sie bei der Hand. Im Flur bat ich sie zu erklären, was sie hört.
»Hier? Nichts«, sagte sie, drehte sich um, blickte übermütig hinter den blauen Vorhang, vor dem die Bodenvase mit dem vorjährigen, aber noch immer prächtigen Sanddorn stand und begann zu kichern. Ich nahm sie an den Schultern und drehte sie zu einem der beiden Bilder.
»Was ist das?«
»Die Moldau, von Smetana.«
»Ich sehe keinen Fluss, Laila. Ich sehe Farben, phantastische Farben, sie fließen ineinander. Aber ich sehe keinen Fluss.«
»Wenn du Smetana kennen würdest, könntest du es so sehen, genau so! Aber du hörst nur immer diese Blechmusik …«
Bei den letzten Silben hob sich ihre Stimme ein wenig, noch nicht hysterisch. Sofort nahm ich sie in meinen Arm und küsste sie, sanft doch voller Sorge.
Bevor ich etwas zu unternehmen gedachte, wollte ich mit Ottmar sprechen.
»Hattest du ein Duell mit dem Rasenmäher?« So empfing mich unser Doktorchen Ottmar, als er mein glattrasiertes Kinn und den neuen kurzen Haarschnitt sah. Noch griente er ein wenig verschlafen. Während seiner Bereitschaft, so hatte er versprochen, wollte er ein halbes Stündchen für mich opfern, warnte mich aber unmissverständlich: »Falls du da was verwechselst – ich bin Urologe, kein Psychologe. «
Jetzt grinste ich in sein lautes Gähnen hinein, das durchaus verriet, wie anstrengend das Warten auf den nächsten Notfall sein konnte.
»Falls du da was verschwiegen hast! «
Ottmar verzog sein Gesicht, das Mühe hatte, die müden Muskeln in Schach zu halten.
»Ich wusste gar nicht, dass du schon das Rigorosum hinter dich gebracht hast …?«
»Ich habe nicht Doktor der Urologie gesagt«, zischte er genervt und schob gähnend hinterher: »Schieß los, ich hab nicht ewig Zeit. «
Mein Blick wanderte über die zerwühlte Pritsche.
»Deine Zeitnot ist ja nicht zu übersehen. Was ich von dir will, geht niemanden etwas an, klar? «
»Gut so. Du kannst auch etwas für mich tun, was keinen etwas angeht. «
Na also, dachte ich, langsam zerbröselt die Clique. Wer wird auch ernsthaft erwartet haben, dass wir uns auf Dauer unsere Weibergeschichten erzählen, mehr noch, die Weiber gegenseitig zuschieben wie die elitären Schwerverdiener ihre Bälle auf dem Kunstrasen. Ohne zu wissen, was Ottmar unter den Nägeln brannte, stimmte ich monoton zu und entlockte meinem Gegenüber allein damit ein zufriedenes Grinsen.
»Du erinnerst dich vielleicht an Laila?«
»Nee, wer ist das denn – Die Inderin etwa? «
»Die Kleine aus der Harmonika . Sie ist Deutsche, aber sie ist … ein wenig sonderbar. «
Ich erzählte ihm von den Bildern und der Musik, die Laila, in welcher Reihenfolge auch immer, miteinander verknüpfte, von dem Aftershave, das ein Muster haben soll und ich erinnerte ihn zum Beweis an die Heavy Metall Musik in der Harmonika, die Laila störend blau erschienen war.
»Indigo«, berichtigte mich Ottmar und kratzte sich an seinem lichten Haupt, schwieg aber. Nach ein paar Schritten im kargen Raum entschied er bereits wie ein gestandener Weißkittel:
»Schick sie zum Psychologen, vielleicht hilft Zyprexan , keine Ahnung.«
Hinter der Trennwand rumorte es und gleich darauf erschien ein ebenso verschlafenes Gesicht, nur freundlicher als das von Ottmar.
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