»Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib ist nur ein Gebot, kein Verbot! Das gilt auch für Tarrach!«
Conny zog ein Papiertaschentuch aus dem zerknüllten Päckchen und schnäuzte sich lautstark, während sie gleichzeitig zu heulen und zu klagen begann:
»Vor Gott hat er sich selber zu verantworten. Aber vor mir sollte er …«
»Du willst doch nicht klagen, dass er dich betrogen hat?«
»Ich will sagen, dass er ein Schwein ist, ein verdammtes…!«
Warum blieb mir dieses weibliche Aufbegehren vor den Abgründen einer unerfüllten Liebe nicht erspart. Gleich würde sie mir ihren Todeswillen kundtun. Zu jener Zeit hatte meine Diplomatie im Umgang mit Frauen noch den Status eines unterentwickelten Ober-Primaten.
»Schade«, sagte ich in Gedanken, doch die meinten nicht Tarrach und auch nicht Conny, die meinten den Detailverlust an Informationen, die Conny im Anfall ihrer körperlichen Erschütterung mit den Worten bedacht hatte: wenn ich das Galle sage …! Ich feixte, doch das brachte sie noch mehr aus der Fassung. Ihre fiebrig glitzernden Augen lagen tief in einer dunklen Höhle, von breiten, braunen Ringen umgeben.
»Schade«, wiederholte ich gelassen. »Du hast gerade deinen berühmten Charme verloren. Dabei hatte ich noch eben vor …«
»Das Eine sage ich dir…«, krächzte sie.
»Gut. Und das Andere sagst du mir, wenn du wieder den nötigen Charme entwickeln kannst, für Ottmar zum Beispiel.«
Conny erstarrte für einen Moment. Dann rollten ihre blutunterlaufenen Augen, dass mir himmelangst wurde. Ich stellte mir vor, wie es aussähe, wenn einem die Augen platzten. Peng – und du hast die wütende Linse an deiner Backe kleben. Ich musste mich beherrschen. Wenn ich jetzt kicherte, würde der bevorstehende Suizid in der Agentur stattfinden. Das hatte ein loyaler Mitarbeiter und angehender Kuppler unbedingt zu verhindern.
Im nächsten Moment verrieten Connys Augen, dass sie sich zwischen dem Tiefschlag der Demütigung und der hoffnungsvollen Neugier entschied.
»Ottmar sagtest du?« Während sie posaunend in ihr Taschentuch schnäuzte, schien in ihrem Köpfchen ein neuer Film abzulaufen, der Film eines Widerstreites, eines unendlichen Dialoges über die schwierigste Frage dieser Zeit: Geld oder Liebe. Ottmar ist schließlich angehender Arzt, und Ärzte verdienen mehr als sie verdienen, das wusste auch Conny.
Ich formulierte die nächsten «Qs and As», klimperte fröhlich auf meiner Tastatur herum und sprach alles laut mit
. Manchmal möchte man Hirnforscher sein, zumindest wenn es die Erforschung des weiblichen Hirns betrifft. Warum sind die nur so dünnhäutig, beziehen sogar auf sich, was nur den Background unseres Lebens darstellt? Ich versuchte, ruhig zu bleiben, ohne sie noch weiter zu reizen. Bald mussten Tarrach und Galle erscheinen und sollten nicht erfahren, was ich jetzt wusste.
Mit moralapostelionischer Heuchelei versuchte ich, ein Lächeln auf Connys Gesicht zu zaubern.
»Ich weiß, du bist nicht gerade eitel, aber du bist sehr mutig, und kannst den Blick in den Spiegel ertragen. «
»Wenn du alles noch verschlimmern willst«, presste sie heraus, ohne Ausrufezeichen, ohne Punkt. »Dann denke ruhig weiter, was du gerade denkst …!« Sie hob drei Finger zum Schwur, doch ihr Mienenspiel glich schon ein wenig mehr jener Conny, die ich kannte, die beim Orgasmus zwar keine Lieder jauchzte, die aber ihre körperliche Unterlegenheit vor einem Mann mit weiblicher Wortgewalt kompensiert. »Deine Ehrlichkeit ist wie der Schwanz einer indischen Kuh - heilig, aber irgendwie total beschissen.«
Jetzt kam das Ausrufezeichen. Laut und klar überschlug es sich im Raum und hallte dreifach von den Wänden wider. Wer kann das Weib als solches schon verstehen? Warum wurde sie jetzt so ekstatisch und warum konnte ich mein Lästermaul nicht halten?
»Hättest du damals in ähnlicher Ekstase einen Orgasmus vorgetäuscht, wäre es mit uns beiden nicht das letzte Mal geblieben. Mir zuliebe hast du dir nicht die Mühe gemacht.«
Vielleicht war es Tarrach ähnlich ergangen, wer weiß das schon. Ich wendete mich schweigend meinem Monitor zu und erlebte nicht zum ersten Mal das Paradoxon, das ich selbst nicht verstand. Seit ich Laila kannte, gingen mir die anderen Weiber komplett auf die Ketten und Conny sprang gerade mit voller Kraft auf meinen Bremsklötzern herum.
»Fick du deine indische Kuh, lass mich aber in Zukunft in Ruhe«, schrie sie, versetzte ihrem unschuldigen Bürostuhl einen gewaltigen Stoß und rannte heulend aus dem Zimmer.
»Versprochen!«, raunte ich ihr hinterher, doch ich musste ziemlich bedeppert ausgesehen haben. Es hatte sich also herumgesprochen, das von Laila und mir. Früher hätte mich das in eine schadenfrohe Höchststimmung versetzt, doch das jetzt ging zu weit. Zum ersten Mal taten mir so dahergesagte Worte sehr weh. Gekränkt vertiefte ich mich in meine Arbeit und war sogar froh darüber, wie stark mich die Qs & As in Anspruch nahmen. Nicht eine einzige meiner grauen Zellen widmete sich der Frage, ob Conny im Begriff war, hier und jetzt ihren vorprogrammierten Suizid zu vollenden.
In Deutschland sterben zurzeit mehr Menschen an Selbstmord als im Straßenverkehr, das hatte ich gelesen, wusste aber zugleich, dass Männer den Rekord hielten, nicht die Frauen. Lass sie, dachte ich, sie wird zu feige sein. Es traf mich nicht einmal, dass sie mich zu hassen schien. Ich hatte ja nichts mehr mit ihr vor, war die Ruhe in Person und irgendwie begriff ich plötzlich Mamas Erdbeerenpredigt.
Seit man immer Erdbeeren bekommt, mag ich sie gar nicht mehr. Weißt du noch Matthias, wie du dich gefreut hast, wenn Mama ein Körbchen Erdbeeren erstanden hatte? Und wie die geschmeckt haben, so frisch vom Feld und so natürlich – Nicht wie die heutigen, künstlich hochgezüchteten, luftgepolsterten ...
Auch ich ertappte mich neuerdings in der geduldigen Warteschleife, bis die natürliche Zeit anbrechen möge, die Laila-Zeit, wie früher die ostdeutsche Erdbeerzeit. Ein bisschen genascht hatte ich ja schon, aber beim Naschen kommt der Appetit.
Noch bevor die Chefs einrückten, hatte ich meine Vorgabe erledigt und erinnerte mich wieder an Conny, deren Stuhl noch immer verwaist mitten im Raum stand, wohin er nach ihrer wütenden Tirade gerollt war. Ich ging nachsehen wo sie steckte. Wie konnte es anders sein – im Serverraum. Sie lehnte am Pfosten und trauerte den wilden Zeiten mit Tarrach nach. Ihr Körper zuckte, ihr Blick aber hätte jedes Ungeziefer getötet, wäre dies nicht ohnehin der sterilste Ort in der Agentur gewesen.
»Illusionen sind gefährliche Typen«, sagte ich. Die Worte waren eine einstudierte Hypothese, die ich aus der Tiefe meiner Erinnerungen schöpfte. »Sie tun alles was du möchtest und scheren sich einen Dreck um die Wirklichkeit. «
Conny warf sich heulend an meinen Hals und jammerte:
»Vergiss das mit der Kuh, es war nicht so gemeint.«
Es war schwierig, Conny noch zu mögen, so verheult und unmanierlich wie sie war. Zum Schutz meines empfindlichen Trommelfelles verlor ich kein Wort. Ich zog sie wortlos mit mir aus dem Raum. Früher wäre es nicht bei der unverhofften Umarmung geblieben, wir hatten schließlich unsere Rituale, die im Moment vor der Tugend Platz machten. Die Tugend warnt den Menschen vor Irrwegen – doch die meisten metaphysischen Fragen sind für die weibliche Vernunft unlösbar.
Soweit die Weisheit, aber inzwischen gab es Laila, und so manche meiner Weisheiten über die Frauen passten einfach nicht mehr. In diesem entscheidenden Moment wünschte ich mir, Laila könnte sehen, wie stark, wie konsequent ich war, doch im Handumdrehen war dieser fromme Wunsch zweitrangig geworden. Unten kamen Galle und Tarrach zur Tür herein. Ich schob Conny vor mir her und drückte sie konsequent auf ihren Stuhl. Galle, wie immer geschniegelt und gebügelt, wallte erhabenen Schrittes an uns vorbei ins Chefzimmer. Es fehlte nur noch eine Mitra und der alte Galle könnte wieder von der Kanzel predigen, von der er sich einst abgewendet hatte. Es war schon komisch. Als er merkte, dass ihm diese Art Verkündigungen nicht lagen, versuchte er es mit Werbung. Jetzt formte er andere Götzenbilder, betete sie an und erwartete von seiner (Rezipienten-) Gemeinde absolute (Produkt-) Ergebenheit.
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