1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 »Sieh an, man kennt sich aus.«
Laila saß still in ihrem Zimmer am Schreibtisch und arbeitete noch. Sie trug weiße Jeans und ein weißes T-Shirt mit verschieden breiten Querstreifen in leuchtendem Mintgrün. Ihr langes, dichtes Haar fiel glatt über die Schulter und wellte sich erst über ihrer festen Brust. Als sie mich sah, schreckte sie auf, schaute auf ihre silberne Armbanduhr und schien sich zu wundern.
»Ich komme«, hauchte sie und zauberte ein Lächeln in ihr Gesicht, das dem sonnigen Tag um nichts nachstand.
»Ich stehe im Parkverbot«, drängelte ich.
Laila lief zur Küche und verglich die Zeit ihrer Uhr mit dem Regulator an der Wand.
»Gibt es heute besondere Strahlungen?«
»Noch nicht, Schätzchen«, flötete Lizzy. Sie hatte sich an der Küchentür aufgepflanzt und grinste merkwürdig. Die Uhr in der Küche stand auf 13.30 Uhr und wie sich später herausstellte, auch Lailas Armbanduhr. Jemand wollte nicht, dass Laila rechtzeitig am vereinbarten Platz stand. Jemand, der wusste, dass ich mich von keiner Frau vertrösten ließ.
Für den Moment hoffte ich nur, Laila würde sich beeilen. Lizzy versuchte es derweil mit ihren Verführungskünsten.
»Vorsicht«, hauchte sie, während eine Mohrrübe wollüstig zwischen ihren kunstvoll lackierten Lippen rein und raus rutschte. »Bei Laila wirst du erst vorbohren müssen.«
Ich wendete mich ab. Warum widerte mich plötzlich an, was mir bisher Spaß gemacht hätte. Ich kam zu dem Schluss, Laila wirkte auf mich wie diese modernen Antisuchtmittelchen. Wenn man die konsumierte, sollte die einst begehrteste Droge einen Würgereiz erzeugen.
Etwas Neues fesselte mich und ich war drauf und dran, es zu ergründen.
Endlich kam Laila über den Flur. Sie trug flache, sehr biegsame weiße Schuhe mit einer winzigen mintgrünen Applikation. Jedes Detail an ihr stimmte. Ich freute mich über den charmanten Unterschied. Jedes andere Mädchen hätte sich für das erste Rendezvous mächtig aufgemotzt. Nicht Laila. Das Weiß ihrer Kleidung hob die Muskathaut wohltuend hervor. Sie brauchte kein aufreizendes Dekolleté - alles an ihr sah appetitlich aus. Lizzy war kalt gestellt, vergessen. Jede Sünde mit ihr war verleugnet.
Erst im Treppenhaus fiel mir ein, dass Laila trotz sommerlicher Temperatur nichts vom Chic der bauchfreien Mode hielt. Sie zupfte sogar ihren Pulli immer wieder unter den breiten Gürtel, den eine riesige Schnalle zierte. Laila war eben anders. Wie sehr, das wurde mir am Ende dieses Tages bitter klar.
Wir fuhren hinaus an den südlichen Stadtrand. Ich kannte die sanften Schluchten, die - mit Erlen und Eichen bewachsen - ein ansehnliches Terrain um den kleinen künstlichen Badesee bildeten. Unweit von hier, flussaufwärts, stand Oma Hannahs Haus. Dort, wo ich meine schönsten Kindertage verbrachte, lebte jetzt eine fremde Familie mit drei Kindern zur Miete.
Wenngleich ich ein halbes Leben nicht mehr in den Schluchten gewesen war, erinnerte ich mich noch an die schönsten Uferplätze, die verschlungenen Hohlwege, die sichersten Verstecke aus der Kinderzeit. Allein sie waren der Grund, hier zu sein und nicht anderswo. Worauf genau meine heimlichen Wünsche an diesem sonnigen Frühsommertag abzielten, wusste nur mein Unterbewusstsein. Mein Verstand hatte sich geschworen, sittsam wie der dümmste Anfänger zu bleiben.
Ich erzählte Laila, wie Vater immer tobte, wenn ich mein Fahrrad mit zerbeulten Felgen und zerschrammtem Rahmen heimlich in den Kellergang schob, aber am nächsten Morgen behauptete, ich wüsste bei Gott nicht, wer es so arg zugerichtet hatte.
Laila hatte noch nie etwas von diesen Schluchten gehört. Das lag wohl eher daran, dass es in Wahrheit nur ein paar Falten in der Landschaft waren, längsseits des Flusses, mit reichlich Natur kaschiert. In einer so lausigen Gegend entwickeln die Menschen ihre Erfindungsgabe auch bei Namen.
Laila lief wie eine Gazelle neben mir her und plauderte angenehm. Sie trug nicht mehr die Züge von Scheu auf ihrem Gesicht. Ihre großen dunklen Augen blickten bei jedem Lächeln munter zu mir auf und ich fasste Mut, meinen Arm um ihre Schulter zu legen und sie von Minuten zu Minuten enger zu umschlingen. Mit dem Eindruck größter Gelassenheit ließ sie es geschehen und redete ungestört weiter.
Mich beherrschte ein ganz anderer Gedanke: Ich werde sie besitzen, ich werde in ihr sein. In diesem schmalen Becken, von schlanken Schenkeln umschlungen.
Schon bald sah ich einen weichen Uferplatz. Dennoch zögerte ich wie niemals zuvor. Wir liefen den steilen Hang hinunter. Bei einer dicken Buche neckte sie mich. Ihr Körper verschwand vollends hinter dem beachtlichen Umfang des ehrwürdigen Baumes und ich hatte Mühe, ihrem Übermut zu entsprechen. Ich fing sie ein und küsste sie stürmischer, als sie es bisher von mir kannte. Eigentlich hielt ich nichts vom Küssen, dazu hatte ich schon zu viele gierige Lippen erdulden müssen. Wenn ich mal eine Frau geküsst habe, dann nur, um ihr endlich den Wind aus dem Wortgetöse zu nehmen, das mich nervte. Warum also drängte es mich so unbändig, Laila zu küssen?
Wir schlenderten auf dem schmalen Pfad am Ufer entlang und hatten nur Platz in engster Umarmung. Eine Entenfamilie watschelte aus dem nahen Unterholz auf das Ufer zu. In den letzten Monaten war viel Regen gefallen. Die Böschung war überspült, der Sprung in die Fluten für die Kleinen ungefährlich. Trotzdem wartete der Entenvater mit stolzer Brust, bis alle Kinder das Wasser erreicht hatten und der umsichtigen Mutter hastig hinterher ruderten. Erst nach vollendeter Schutzfunktion ließ sich der Erpel hinter seiner Familie auf das Wasser gleiten. Warum funktioniert die Tierwelt ohne Regeln und Zwangsverfügungen, ohne auf Moral und Gesetz pochen zu müssen?
Lailas Atem ging schwer. Ich hörte auf das Trommelfeuer ihres Herzens, das zu überschlagen drohte und ich muss gestehen, auch zwischen meinen Rippen regte sich Unbekanntes. Ausgerechnet von dort hallte meine Freude zurück, mit der ich sah, wie entzückt Laila die Pracht der aufbrechenden Natur bewunderte.
Ein schmaler Wasserlauf schnitt uns den Weg ab. Wir liefen die Böschung hinauf und südseitig wieder hinunter. Da lag er, der See mit dem nördlichen Badestrand aus grobem Kies. Auf der Wiese an der Ostseite unter alten Eichen und jungen Buchen tobten zwei Hunde. Sie gebärdeten sich aufgeregt beim Anblick des Gegenstandes, dem sie furchtlos folgten, wenn ihr Herrchen ihn schwungvoll in die Fluten beförderte. Nach jedem Abort schüttelten sich die beiden, dass es nur so spritzte. Laila lächelte. Sie schmiegte sich enger an mich und flüsterte in die Stille unserer Gedanken.
»Es ist so friedlich hier …«
Ich drückte sie fester gegen meine Schulter, schwieg aber, wohl wissend, was ein falsches Wort bei ihr auslösen konnte. » … und da unten fallen die Bomben auf unschuldige Kinder.«
Ihre letzten Worte vibrierten sanftmütig durch die Frühlingsluft, zaghafter als das freudige Bekenntnis zuvor.
Da unten? wiederholten meine Gedanken lautlos. Ich nickte, als wäre auch ich betroffen und dachte: Warum denken alle Menschen bei einem Unglück nur an die Kinder? Es gibt auch unschuldige Erwachsene, Alte, Schwache, Gebrechliche, die in ihrer Hinfälligkeit schutzlos sind.
»Matthi΄s, die Welt ist entartet. Die Menschheit ist verkommen. Es ist schön, dass du anders bist … dass du da bist. «
Was sie sagte, war erhebend. Es glich der Ermunterung zu all jenem, was ich so sehr begehrte. Nicht, weil ich mich für unwiderstehlich hielt oder nur jene Frauen mochte, die mich bewunderten. Ich glaubte, mindestens genauso gut denken zu können wie gaffen. Und meinen Augen gefiel, was da neben mir her tappte, sehr sogar, aber konnte ich Laila wegen dieses kleinen Seufzers schon als Erfolg verbuchen? Hatte ich sie, oder begann sie gerade, mich mit ihren kindlich angstvollen Worten einzuwickeln. Ich konnte ihrem fragenden Blick kaum standhalten und wusste nicht, wo meine Augen verweilen sollten, außer auf den vorwitzigen Hügeln unter ihrem Pulli. Ihre Schmeichelei klang noch lange nach in der betörenden Luft dieser Landschaft, in meinen Ohren und in meiner Erobererbrust. Ich streichelte sie und versuchte, nicht auf ihre bekümmerten Worte einzugehen, die sie sehr zu beschäftigen schienen. Im letzten Moment war mir gerade noch eingefallen, wie sie in der «Harmonika» über den Krieg gesprochen hatte, obwohl sie so zart und schwächlich vor uns stand. Jetzt war ihr Körper in meinen Armen eine angenehme Empfindung, die durch nichts getrübt sein durfte. Mit versagender Stimme, aber im Glauben, Männer wüssten immer die richtige Antwort, hauchte ich: »Es ist doch so weit weg.«
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