Einmal, ich hatte mir gerade die ungefähr zwanzigste Zigarette angezündet, schaute ich zum Tresen. Eine zierliche Frau stand da, den Rücken zum Gastraum gewandt. Sie besprach etwas mit dem Barkeeper. Weniger ihr dunkelblauer, sehr eleganter Anzug, mehr ihr dunkles Haar, das von einem ebenso dunklen Einsteckkamm seitlich zusammengehalten wurde, kam mir sehr vertraut vor. Mein Atem stockte. Ich erinnerte mich genau an diese Frisur, nur ragten diesmal nicht die Haarspitzen über den wohlgeformten Kopf hinaus. Doch es war Laila.
Ich schob mich so gut ich konnte in die Nische und versteckte mich hinter dem breiten Rücken von Tarrach. Jetzt sollte sie mich nicht sehen. Nicht jetzt.
Niemals zuvor war mir meine Situation zwischen grölenden Trinkern so peinlich. Dazu schweinigelte Ottmar gerade ziemlich laut:
»Manchmal wünschte ich mir, ein Ohrenkneifer zu sein.« Er lachte dreckig und kniff Stella in die drallste Stelle ihres Körpers, während seine unergründlichen Blicke an Conny hafteten.
»Ohrenkneifer kriechen aber niemanden in den Arsch«, wehrte Stella Ottmars Angriff handgreiflich ab.
»Nein aber es hat zwei …«
»Zwei Arschbacken? Die hab ich auch.«
Alles grölte und ich sah, wie Laila sich kurz zu uns umdrehte, dann aber dem Barkeeper etwas übergab. Mir fiel auf, dass sie ein Namensschild an ihrem Revers trug.
»Zwei Penisse, Blödmann!«, jaulte Otti und feixte dabei.
»Wozu brauchst du denn zwei Penisse.«
»Ist der eine schlapp, kann der andere weiter machen«, kicherte Conny und das war zumindest für Conny sehr beachtlich.
»Oder man könnte es mit Siamesischen Zwillingen treiben!« Tarrachs polterndes Lachen übertönte uns alle und ich befürchtete schon, das wippende Auf und Ab und das schaukelnde Hin und Her seines massigen Körpers würde den Blick in die Nische freigeben. Laila durfte mich nicht sehen. Nicht so.
Das Verstecken war unnötig geworden. Unser Gelächter im Rücken stürmte Laila bereits aus der Tür. Ich machte mir darüber wenig Gedanken, ob sie etwas entrüstet haben könnte. Laila war eben anders als wir. Ich bemerkte nur, wie toll es aussah, als der leichtfließende Stoff ihrer Jacke den Blick auf ihr ansehnliches Hinterteil freigab.
Aber was macht Laila in der Eule? Was macht ihr Nervenkostüm? Was macht sie überhaupt. Was ist sie von Beruf?
So viele Fragen und nicht eine konnte ich beantworten. Lizzy war schließlich nicht gekommen und erst jetzt begriff ich, welchen Dusel ich damit hatte. Ich hielt es nicht mehr aus, ging unter einem Vorwand zum Tresen und bestellte einen Magenbitter. Ich redete mit dem Barkeeper über das letzte Fußballspiel unserer hochgejubelten Abstiegsmannschaft, der man nach kontroversen Diskussionen und klaffendem Haushaltsloch doch noch eine bombastische Osttribüne ins Stadion gesetzt hatte, die in Anbetracht des energielosen Unvermögens wohl bald die gleiche gähnende Leere aufweisen würde, wie der städtische Haushalt.
»Ist doch purer Betrug, das mit den Fördergeldern«, winkte der Mann ab, verzog den Mund und wischte sich den Schaum von den Lippen. Ich konnte dem Dicken nur beipflichten.
»Aber clever angestellt. Wenn den Herren Pensionsberechtigten etwas in den Kram passt, dann finden sie schlaue Begründungen«, gluckste er.
»Bauernschläue. Auf die deutsch-polnische Begegnungsstätte bin ich ja mal gespannt«, gab ich ihm Recht. Über mehr sprachen wir nicht, aber jeder wusste, was kommunalpolitisch gespielt worden war. Eine Investition listig zu begründen und dafür Bundesgelder zu lockern, dafür reichten die Iden unserer Volksvertretern noch immer. Beinahe derselbe Betrug wie alles in der Werbung.
Die Abwechslung durch meine Anwesenheit am Tresen schien dem Mann zu gefallen, seine Schimpfkanonaden nahmen kein Ende: »Rasenkomiker! Grottenschlecht wird einem dabei. Weißt du, was meine Gerti gesagt hat? Warum gehst du noch dahin? Miste den Hühnerstall aus, danach hast du das gleiche beschissene Gefühl. Recht hat sie.« Beinahe rutschten ihm die Gläser, die er ins Spülbecken tauchte, aus den aufgeregten Fingern. Doch er wetterte weiter. »Diese Großkotze. Und das für so viel Knete. Und unsereiner…?«
»Ja, ja, ich glaube es hackt mächtig«, erwiderte ich Fußballignorant gelangweilt. Ich musste höllisch aufpassen, dass sich der Mann nicht in Ekstase redete. Schließlich sollte er mir noch eine entscheidende Frage beantworten. Während er noch wetterte und mir mit vollem Körpereinsatz die lausigsten Szenen vor dem gegnerischen Tor schilderte, betete ich heimlich zu Gott: Bitte lass Laila nicht zurückkommen. Nicht jetzt. Hier am Tresen wäre ich ihren Blicken ungeschützt ausgesetzt gewesen. Der Mann bezeichnete mich plötzlich als Kumpel und fragte: »Noch einen? «
»Danke«, grinste ich ihn an und nutzte blitzschnell die Gelegenheit. »Sag mal, wer war die Kleine vorhin. «
»Welche Kleine? Die Chefin meinst du, oder?«
»Nein, die zierliche Frau in dem blauen Anzug. «
»Ist doch die Chefin. Den Namen kann ich nicht sprechen – Elhabib oder so…«
»Das ist deine Chefin?«
»Nein. Nicht meine.« Er griente und reckte seinen Oberkörper in eine erhabene Position, die mir wieder einmal die Augen öffnete, warum man Bier «Molle» nennt. Den Dicken müsste ich für meinen neuesten Auftrag ködern, der wäre der ideale Typ für das Motiv, das ich suchte. «Das Bier im Manne»
»Ich bin selbständiger Pächter«, prustete er. »Die Sahib ist die Managerin vom Kino. «
Er rollte mit seinen verklärten Augen, als müsse jeder Mensch dieser Stadt wissen, was jeder Mensch dieser Stadt tut.
Die Managerin vom Kino also. Ich glaubte zu träumen. Hätte mir jemand gesagt, Laila sei Abstauberin in einer Bibliothek, das hätte ich sofort geglaubt. Aber Managerin? Kann eine Nervenkranke überhaupt Managerin sein? Diese Laila wurde immer rätselhafter. Ich schlich zurück zum Stammtisch und setzte mich still wieder dazu.
»Matti hat heute seine Tage«, hörte ich Ottmar frotzeln.
»Nein, ihm ist nur kalt am Kinn«, nuschelte Cora, die schon vor einiger Zeit angedeutet hatte, heute wäre ein schadloses Kuscheln mit Matti möglich. Es fiel sofort auf, wenn ich einmal rasiert war. Spätestens zu dieser Zeit wusste ich, dass ich sie an jedem anderen Tag abschleppen würde. Cora war blond, hatte große dunkle Augen und sehr dünne Brauen. Alles andere an ihr war eher üppig. Sie war eine, die sehr viel Zeit damit verbrachte, jeden Zentimeter ihres Körpers zu beobachten. Wie weh ihr das tat, verrieten ihre giftigen Anfeindungen gegen jede potentielle Konkurrentin, die ohne ständige Diät auskam. Aber Cora war … nun ja, keine Perle, eher ein zu scharf geschliffener Diamant. Die Männer gafften ihr nach, wenn sie mit ihrem schwingenden Ganzkörper-Schritt provozierte. Niemand kam mit so hohen Absätzen und so engem Rock so schnell vorwärts wie Cora, und wie keine Andere beherrschte sie es, Männer einzufangen und sei es nur durch ihre Art, wie sie mit ihren Hüften schwang. Sie brauchte männliche Blicke wie den Sauerstoff zum Leben. Heute aber übertrieb sie ein wenig. Wie eine Ikone saß sie da, zückte den Lippenstift, wandte sich zu mir und schlug die langen Beine übereinander, wie eine von der leichten Sitte, die nicht mehr zu bieten hat, als ihren Körper. Ich hatte keine Lust auf Cora, schließlich hatte ich mir geschworen, für eine einzige Liebesnacht mit Laila notfalls eine gewisse Zeit blonde Frauen zu meiden. Man muss sich schließlich auf Veränderungen einstimmen.
Ich rauchte viel zu viel und paffte die Kringel in den fetten Dunst der «Eule». Und was machte das für einen Sinn? Ich sah in jedem Kringel Laila auf dem Boden hocken und still vor sich hin summen. Langsam wurde auch ich verrückt – Laila hatte mich auf rätselhafte Weise infiziert.
»Die weiße Unschuld- 1.20 €« stand auf dem Schild, das sich über die Blüten erhob. Im Blumenshop gleich hinter der Lindenpforte standen zu später Stunde noch Eimer und Schalen vor der Tür, prall gefüllt mit Rosen, Lilien, Rittersporn und allerlei farbenprächtigen Blüten, deren Namen ich nicht kannte. Die Kirchenglocken läuteten weit hin vernehmbar den Abend ein. Also war es kurz vor Ladenschluss und ich wunderte mich wie schon tausendmal zuvor über die Fülle der kurzlebigen Ware. Ob die Blüten je rechtzeitig an den Mann gebracht werden können, ehe sie verdorben sind? Auf den südamerikanischen Plantagen ruinierten sich die Feldarbeiterinnen für ein paar Pesos ihre Gesundheit, und wie ich unlängst gehört hatte, mit dramatischen Auswirkungen, nur um uns materialistisch orientierten verwöhnten Ästheten ein kurzes, sinnloses Vergnügen zu bereiten.
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