1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 »Du bist doch nicht auch aus der Werbung …?« traute ich mich nach den schüchternsten Küssen zu fragen, die ich je bekommen hatte.
»Nein«, schmunzelte sie. »Ich leite das Stadtkino.«
Also doch. Jetzt muss sie mir nur noch verraten, was das Kino mit drei Mäusen und mit einer Bank zu tun hat. Hat sie es für mich gemacht? Als Entschädigung? Als Wiedergutmachung? Sie war an jenem Abend so unausgeglichen, beinahe bösartig. War sie verzweifelt? Fühlte sie sich wie die kleinen Mäuse und hat sich davon inspirieren lassen?
»Ich arbeite allein. Ich muss alles selbst machen, auch die Werbung«, flüsterte sie. »Aber die Mäuse haben damit nichts zu tun. Die sind für dich. «
Ich brachte kein »Danke« über die Lippen, es war ja nicht ungewöhnlich, dass eine Frau sich in Sehnsucht nach mir verlor und komische Anwandlungen bekam. Eigentlich wollte ich nur mehr über sie erfahren.
»Du managst doch nicht das ganze Kino allein?«
»Managen ja, durchführen nicht. Ich habe zwei Vorführer. Und dann gibt es noch drei Pauschalkräfte, die sich mit der Kassierung abwechseln. Mehr sind nicht nötig.«
»Und das funktioniert?«
»Nicht schlechter, als alles in unseren Köpfen … Man braucht nur die nötige Ordnung. «
Zu Hause in meiner Bude irrten noch immer Lailas Worte durch meine Gehirnwindungen. Ausgerechnet Laila sprach von der nötigen Ordnung im Kopf. Ich ärgerte mich, ungerecht gewesen zu sein. Ein stiller Mensch arbeitet in der Tiefe seines Ichs, auch das hatte sie gesagt. Laila war still und sanft, empfindsam und selbstlos. Solch ein Mensch war mir seit langem nicht mehr begegnet und ausgerechnet über sie hatte ich den Stab zu brechen versucht. Sigmund Waas hatte Recht. Sie ist nicht blöd. Sie ist zu sanft für diese Welt, man muss sie vor Bösem beschützen. Vor Lizzy, die sie sicher ausnutzte. Vor dem dicken Kneiper. Vor … ja, vor wem noch … wen kennt sie denn noch? Wo ist ihre Familie?
Ich wusste nichts über Laila – aber sie wusste ja auch nichts von mir, von meinen Eskapaden und von meiner Schlampenwirtschaft. Jeder Mensch hat seine Geheimnisse und soll sie für sich bewahren. Sie ihre und ich meine, solange es geht. Ich wusste bis dahin selbst nicht, dass mit meinem Sexleben etwas nicht in Ordnung war, mit meinem Leben überhaupt. Laila kannte mich - mit einer unbedeutenden Ausnahme – nur gepflegt und anständig, glatt rasiert und akkurat gekleidet. Ich musste ihr also gefallen – schließlich war ich auch ohne diese spießigen Normen bei Frauen immer erfolgreich.
In meiner stolzen Selbstbetrachtung erinnerte ich mich an ein Gespräch, das ich unlängst belauscht hatte – unfreiwillig. Es war ein Gespräch zwischen Conny und einer Kundin, die offenbar scharf auf mich war.
»Ihr Kollege … ich meine … wie ist er denn so? «
»In letzter Zeit hat er tolle Ideen. «
»Ich meinte, als Mann. Ist er nett, ordentlich, fleißig? Oder eher so etwas wie …«
»Eher so etwas wie«, beeilte sich Conny in voller Überzeugung.
Selbst wenn sie sich für einen minimalen Zeitraum noch auf der Seite des Rechts befand, so etwas sagt man nicht zu einem Kunden. Jedenfalls nicht ungestraft. Ich wollte mich bei Gelegenheit an ihr rächen, aber dafür war Conny momentan zu innig mit Tarrach liiert.
Nach dieser stillen Rückschau holte mich die kümmerliche Wahrscheinlichkeit aus meiner Ordnungsabstinenz, Laila könnte eines Tages vor meiner Tür stehen. Es fiel mir wahrlich schwer, denn jeder Mensch hat ein Recht auf Faulheit – das hat schon Paul Lafargue festgestellt, und das war kein Geringerer als der Schwiegersohn von Karl Marx. Seine Streitschrift sei neben dem «Kommunistischen Manifest» das wahrscheinlich populärste Buch der linken Bewegung, hatte Galle gesagt. Eigentlich müsste diese Weisheit an Galles Spiegel geschrieben werden: Arbeit sollte auf das nötigste Maß beschränkt werden. Muße ist dem Menschen viel angemessener. Arbeit ist Zwangsentfremdung von allem Schönen. Ich stöhnte, denn ich wusste, in welche Zeit ich hineingeboren war und stellte mich dem Seltenheitswert einer freiwilligen, wenn auch provokanten Mutation zum habitus correctus oder wie immer ein korrekter Mensch in gehobener Sprache heißen möge.
Struppiges Haar, unrasiertes Kinn und brüchige Fingernägel, zerknittertes Sakko und ausgebeulte Hosen hatten, jedenfalls im Rausche meines momentanen Übermutes, der Vergangenheit anzugehören. Mama wäre überglücklich.
Schwungvoll und mit größter Selbstüberschätzung häufte ich nach dem Musterbeispiel, das ich unlängst bei der G.U.T abgegeben hatte, allen herumliegenden Kram und Klamotten zusammen, um alles vorerst in einen der Schränke zu stopfen. Ich hätte drei davon gebraucht. Also schob ich den Rest unter mein Bett, Hauptsache es lag nichts herum. In einer der Schubladen lag eine Tischdecke, die mir Mama mitgebracht hatte. Ich befeuchtete sie, um sie so besser glätten zu können. Ich pustete die herumliegende Zigarettenasche vom Tisch und breitete das Textil darauf aus. Frappierend. Mein Zimmer sah plötzlich wie ein Salon aus. Ich brauchte mich wegen der saumseligen Einsicht trotzdem nicht zu schämen, es war ja niemand da. Am Problem erstarkt zelebrierte ich eine spontane Weisheit: Nur die Verdorbenen glauben unschuldig an ihrem Verderben zu sein.
Ich war entweder noch nicht verdorben genug oder zählte mich bereits zu den Geläuterten.
Der Morgen graute noch, doch die Dunkelheit hatte sich hinter die Stadtgrenzen verzogen. Vom Osten her lichtete sich bereits der Horizont, jene Zeit also, zu der ich mich bisher noch einmal auf die anderer Seite drehte und an nichts als an die zwei freien Tage dachte, die ich mir durch nichts und von niemand nehmen ließ. Nicht an diesem Samstag. So voller Vorfreude war ich noch niemals aus meinem Bett gehüpft. Gewöhnlich schlief ich bis zum Nachmittag. Fast eine Stunde lang saß ich in der Badewanne. Ich, der seit Jahren nur noch die rasche Dusche kannte, entdeckte die Erotik des Badens. Ich betrachtete meinen Körper und kicherte, wie klein und unbedeutend, dann aber wieder groß und mächtig er mir erschien, je nach der Wasserdichte, die meinen Durchblick brach. Alles ist relativ, schmunzelte ich und freute mich auf den sonnigen Tag, der es zu werden versprach.
Nach dem Bade probierte ich all meine Duftwässerchen aus, um herauszufinden, welches Laila gefallen könnte. Ich trödelte gut gelaunt vor mich hin, doch die Uhr schien auch nichts Besseres zu tun zu haben. Um die Zeit zu überbrücken, fiel mir ein, auch meinen Alfa-Romeo von seinem unverwechselbaren Charme einer Mülltonne zu befreien, schließlich sollte Laila mit mir fahren. Ich war mächtig stolz auf meinen wiedergeborenen Ordnungssinn, dabei gebührte der Stolz eher ihr. Sie allein war die Ursache meiner Narrheiten, zu denen ich mich seit kurzem immer wieder hinreißen ließ. Natürlich musste ich nach der Säuberungsaktion noch einmal unter die Dusche.
Schon zwanzig Minuten vor zwei Uhr brauste ich los. Die Altstadt war ätzend, wieder kein freies Plätzchen. Warum stand Laila nicht vor dem Haus? Wir hatten es so vereinbart. Ich hasste es, wie ein Freier auf eine der Bordsteinschwalben zu warten, weniger hasste ich, mein Prachtstück in eine begehrte freie Lücke zu stoßen. Ich blieb einfach in der zweiten Reihe stehen, schaltete auf Warnblinker und sauste die Treppen hinauf, immer zwei Stufen überspringend. Zu meinem Erstaunen wurde schon vor meiner Annäherung die Tür zu Lailas Wohnung aufgerissen. Doch es war nicht die ungeduldige Laila, es war Lizzy. Sie thronte zwischen dem Türrahmen und reckte mir ihre halbentblößten Pampelmusen entgegen, ohne den Weg frei zu machen. Lasziv benetzte ihre Zunge die Oberlippe bevor sie verführerisch lächelte: »Du weißt nicht, was du tust, Matti.«
»Doch. Ich hole Laila ab«, entfuhr es mir, obwohl ich ahnte, dass so kein Weg an Lizzy vorbei führte. Ich setzte meine gierigste Miene auf und schnippte über die Knubbel unter ihrem Pullover. Das zumindest öffnete mir zur Hälfte den Durchgang in den Flur. Lizzy konnte es nicht lassen und schubberte ein wenig nach, als ich mich an ihr vorbei zwängte. Auf meinem direkten Weg hin zu Lailas Zimmer hörte ich, wie sie giftete:
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